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Der HausbesuchDem Wolf in die Augen schauen

Über die Liebe zum Hund wuchs ihr Interesse am Wolf. Sie erforscht sein Leben und führt Menschen zu ihm. Zu Besuch bei Catriona Blum-Rérat.

Catriona Blum-Rérat vom Verein Lupus Foto: Rainer Weisflog

Auf dem Heimweg durch den Wald sah sie ihn, den Wolf. Er stand in strömendem Regen ein paar Meter von ihr entfernt. Eine Sekunde (oder vielleicht zwei) schauten sie sich in die Augen, bis er verschwand. „Eine Begegnung mit einem Wolf ist ein Highlight für uns Menschen. Nicht für das Tier“, sagt die Biologin und Wolfsexpertin Catriona Blum-Rérat.

Draußen: Die kleine Spree fließt unweit ihres Hauses im sächsischen Spreewitz vorbei. Wer die Holzbrücke über den Fluss überquert, steht im Wald. „Hier hat man das Gefühl, in einer Zeit ohne Zeit zu leben“, sagt Blum-Rérat, die aus Freiburg kommt. Mit Mann und zwei Kindern wohnt sie in der Dachwohnung des ehemaligen Pfarrhauses. Im Erdgeschoss ist das Lupus-Institut, seit 13 Jahren ist das ihr Arbeitsplatz. Das sei praktisch, sagt sie, mache es aber manchmal schwer, Privates von Beruflichem zu trennen. Die meisten Häuser der Dorfaue sind aus rotem Backstein, alle haben einen Vorgarten. Eine Fachwerkkirche ist am Ende der Straße, irgendwo dahinter die große Spree und die Wölfe.

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Drinnen: Es ist eine großräumige, helle Wohnküche in Weiß, Hellblau und Beige. Dicke Holzbalken stützen die Decke. An den Wänden hängen keine Bilder mit Wolf-Motiven – Blum-Rérat findet sie „kitschig“; doch ein paar Bücher und Kuscheltiere habe sie schon. Und eine große Tüte Hundefutter, auf der „Wolfsblut“ steht. Das sei Zufall, sagt sie. Neben der Couch ist der Teppich von Isla, der Hündin. „Sie ist nicht nur Familienmitglied, sondern auch Arbeitskollegin.“

Hunde: Catriona Blum-Rérat geht ohne Isla nicht auf Wolf-Touren. Die Hündin unterstützt das Lupus Institut bei der Suche nach Wolfskot und gelegentlich auch beim Aufspüren von verletzten Wölfen. „Sie riechen und sehen, was du nicht riechen und sehen kannst.“ Hunden ist Blum-Rérats Interesse an Wölfen zu verdanken. Das sei der klassische Weg. Sie wollte als Kind einen Hund, die Mutter hat irgendwann nachgegeben.

Wölfe: Mit 14 fand sie auf einem Flohmarkt ein Sachbuch über das Leben der Wölfe und wusste, das ist für sie. „Ich träumte schon damals von Wölfen, aber nicht davon, mit ihnen zu leben“, sagt sie, „sondern davon, von ihnen zu lernen.“ Später machte sie in Schottland einen Bachelor in Ökologie und in Göttingen einen Master in Internationalem Naturschutz. Das erste Mal sah sie Wölfe in freier Wildbahn in Russland, als sie 2006 zu einer viermonatigen Expedition in die Twer-Region fuhr, nordwestlich von Moskau, um dort zwei Wolfsrudel zu erforschen. Noch nie davor hatte sie sie heulen gehört. „Das war einprägsam.“ Allerdings habe sie dort sofort gemerkt: „Will man mit Wölfen zu tun haben, hat man es in erster Linie mit Menschen zu tun.“

Niederlausitz: Nach dem Studium wollte sie in Afrika arbeiten. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mich stattdessen in Ostdeutschland zu Hause fühlen würde.“ Und doch habe sie sich in die Natur der Gegend verliebt, in die Einsamkeit im Wald. „Wenn du keine Selbstgespräche führst, hörst du hier nichts außer Tiere und den Wind.“ Menschen sind ihrer Meinung nach nicht mehr daran gewöhnt, in der Natur zu sein. Das merkt sie bei ihren Wolftouren, die sie anbietet. Eine Stunde das Handy wegzulassen, kostet Überwindung. Dass jemand mitten im Nichts nach einer Toilette fragt oder mit Ballerinas zur Tour kommt, habe sie auch schon erlebt.

Das Hundefutter heißt „Wolfsblut“. Zufall, sagt die Wolfsexpertin Foto: Rainer Weisflog

Vorurteile: Nicht nur die Landschaft habe sie gelockt, auch die Be­woh­ne­r*in­nen ihrer Wahlheimat mag Catriona Blum-Rérat. „Ich kenne viele Lebenskünstler und -künstlerinnen und sehe Veränderungspotenzial. Es sind nicht nur Nazis hier.“ Es sei ihr wichtig, dass diejenigen, die ihr sagen, „ich war noch nie im Osten“, den „Guten“ begegnen. Deshalb macht sie ihre Touren mit drei Kollegen aus der Region, „die auf jeden Fall zu dieser Gruppe gehören und ganz viel über Wölfe wissen“.

Der Hochsitz: Vereinzelt hatte sie Begegnungen mit Wölfen, aber eigentlich beobachtet die 42-Jährige Wolfsrudel lieber aus der Entfernung. Sie steht auf einem Hochsitz und wenn sie auftauchen, belauert sie ihren Alltag durch Ferngläser und Spektive. „So sieht man, wie Wölfe in der Natur wirklich leben.“

Unsicherheit versus Hass: Wölfe haben in Deutschland nicht nur Freund*innen, das sei bekannt. Das Gleiche gelte aber auch für diejenigen, die mit Wölfen arbeiten. Das sei ein Grund, weshalb sie mit den Touren bewusst aktive Öffentlichkeitsarbeit macht. „Ich möchte den Leuten die Angst vor Wölfen nehmen“, sagt Blum-Rérat. Sie versteht, wenn Spa­zier­gän­ge­r*in­nen oder Menschen mit Hunden sich unsicher fühlen. „Man kann den Leuten erklären, dass Hunde an der Leine zu führen sind und Menschen nicht ins Beuteschema der Wölfe passen“, sagt sie. „Mit den absoluten Wolfsgegnern kann man aber nicht diskutieren.“ Sie seien allerdings in der Minderheit. „Ich möchte Wölfe nicht romantisieren, sie sind keine Kuscheltiere, doch sie müssen, wie andere Wildtiere, mit Respekt behandelt werden.“

Symbolik: Der Wolf kommt in unseren Märchen und Mythen nicht gut weg. Er gelte als unehrlich, gierig, bösartig. Menschen liebten es eben, alles zu Symbolen zu machen, auch Tiere. „Die Wolfssymbolik in der katholischen Kirche und der Bibel ist auch äußerst negativ. Er wird als Metapher für Satan verwendet“, sagt Blum-Rérat. „Wölfe sind Teufel, die auf der irdischen Welt umherlaufen.“ Doch der Wolf könne auch etwas Positives repräsentieren. Bei indigenen Menschen in Nordamerika steht er für Mut, Kraft und Loyalität, erklärt sie. Auch für die Kelten sei der Wolf ein heiliges Tier gewesen.

Realität: Catriona Blum-Rérat versucht, die Wölfe „so zu sehen, wie sie wirklich sind, nämlich fürsorgliche, familienorientierte und freundliche Rudeltiere“. Ihre Stärke liege im Zusammenhalt des Rudels, bei der die Fähe, die Wolfsmutter, eine zentrale Rolle spielt. „Die Fähen bilden eine wichtige Konstante in einem Rudel, also sie sind immer da.“

Wolfsnähe: Immer, wenn sie Menschen zu den Wölfen führt, sie einlädt, ein Wochenende mit ihnen in der Lausitzer Wildnis zu verbringen und ihnen näherzukommen, merke Blum-Rérat, was für ein großes Bedürfnis an Gesprächen besteht. Die Erfahrung zeigte ihr, dass vor allem Frauen die Beobachtung von Wölfen zum Anlass nehmen, sich zu öffnen und von sich zu erzählen. Es müsse an dieser Wolfsmystik liegen. Oft seien es sehr intime Dinge, die angesprochen werden. „Etwa Kindsverlust, Kinderwunsch oder Abstand von der Routine. Viele bringen etwas mit, das sie gerne abarbeiten würden.“ So kam sie zusammen mit einer Familientherapeutin auf die Idee, eine Tour nur für Frauen zu organisieren, bei der diese Themen ihren Platz haben dürfen. „Es ist aber keine Voraussetzung, ein Thema zu haben“, sagt sie. „Es geht vielmehr darum, unter Frauen zu sein, gemeinsam diese Abenteuer zu erleben und von Wölfen und insbesondere Wölfinnen etwas für das Leben zu lernen.“

Wölfin: Die Rolle der Wölfin sei überragend: „Man kann nicht vom Matriarchat sprechen, aber die Wölfin behält oft ein Leben lang ein Territorium, auch wenn die Rüden immer mal wieder wechseln.“ Und es gebe auch immer mehr Beispiele, wo Töchter nicht abwanderten, sondern im mütterlichen Territorium blieben. „Die Wölfinnen haben eine enge Verbindung zueinander.“

Dann macht sie einen Gedankensprung und sagt, auch der Forschungsbereich und die Arbeit mit Wölfen sei zumindest in Europa sehr weiblich dominiert. Was kein Wunder sei: „Frauen können sich eher lange mit schlechter Bezahlung durchboxen, wenn ihnen die Arbeit am Herzen liegt.“

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