High- und Lowtech in Taiwan: Kampf im Schatten der Chinafrage
In Taiwan formiert sich wachsender Widerstand gegen die ausbeuterischen Bedingungen unter Hunderttausenden Arbeitsmigrant*innen aus Südostasien.
TAIPEH taz | Bei ihrem Besuch in Taiwan hatte die deutsche Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger im März voll Bewunderung von der dortigen Arbeitskultur gesprochen und für einen Fachkräfteaustausch geworben. Die Hightechfirmen des ostasiatischen Landes sind ein gefragter Partner für den angestrebten Aufbau der europäischen Halbleiter- und Mikrochipproduktion. Doch fehlen in vielen Branchen Taiwans Arbeitskräfte, auch in den Fabriken der für die Insel überlebenswichtigen Elektronikindustrie.
Die Regierung in Taipeh fördert daher die Einwanderung von Arbeiter*innen aus Südostasien. Über 700.000 von ihnen, vor allem aus Vietnam, Indonesien und den Philippinen, halten Taiwans Wirtschaft am Laufen. Mehr als die Hälfte von ihnen arbeitet in der Industrie, andere in Landwirtschaft, Fischerei und häuslicher Pflege, meist unter ausbeuterischen Bedingungen.
„In Taiwan werden die ausländischen Arbeiterinnen und Arbeiter meist nur als Werkzeuge wirtschaftlicher Produktivität gesehen, nicht als normale Menschen“, klagt Ying-Dah Wong von der Serve the People Association (SPA) Taoyuan im Norden Taiwans. Als Direktor der Abteilung für Arbeitsmarktpolitik in der Nichtregierungsorganisation setzt er sich für die Rechte der Wanderarbeiter*innen ein.
Viele verdienen ihm zufolge weniger als den Mindeststundenlohn von rund 5 Euro. Sie müssten außerdem an Vermittlungsagenturen in ihrer Heimat schon vor Ankunft in Taiwan hohe Gebühren zahlen, um sich einen Arbeitsplatz zu sichern. So kämen sie schon hoch verschuldet in Taiwan an.
Migrant*innen ohne Papiere arbeiten meist im Bau oder Feld
Inzwischen leben zudem mehr als 80.000 Wanderarbeiter*innen ohne legalen Aufenthaltsstatus im Land. Seit Ende 2022 ist ihre Zahl vor allem aufgrund der aktuell schlechten Beschäftigungslage in Taiwan dramatisch gestiegen. Die meisten von ihnen arbeiten illegal auf Baustellen oder in der Landwirtschaft.
In Reaktion darauf brachte die regierende Demokratische Fortschrittspartei (DPP) unter Präsidentin Tsai Ing-wen Anfang März eine Reform des Einwanderungsgesetzes ins Parlament ein. Noch laufen die Abstimmungen über deren umstrittensten Teil. Einwanderer*innen ohne Aufenthaltsstatus drohen Geldstrafen in Höhe etwa eines fünffachen Monatsgehalts.
Wong fürchtet, dass sich ihre Lage dadurch weiter verschlechtert: „Da werden Arbeiterinnen und Arbeiter noch weniger den Weg zurück in die Legalität wagen. Die strukturellen Probleme hinter der Illegalisierung werden so kein Stück gelöst.“
Sowohl die liberale DPP als auch die konservative Oppositionspartei Kuomintang (KMT) vertreten seiner Ansicht nach vor allem die Interessen der Arbeitgeber. Fragen der sozialen Gerechtigkeit stünden selten im Mittelpunkt der Debatte. Die Diskurse der Parteien drehen sich oft vor allem um den Umgang mit der Bedrohung durch China.
Arbeitsmigrant*innen gründen eigenen Vertretungen
Doch unter den Arbeitsmigrant*innen regt sich Widerstand. In den Fabriken organisieren sich viele von ihnen in eigenen Interessenvertretungen. Zuletzt sorgten Proteste von Arbeitern in der Fischerei für Aufmerksamkeit. Die meisten von ihnen stammen aus Küstenregionen Indonesiens. Auf den taiwanischen Kuttern arbeiten sie teils in Schichten von 20 Stunden am Stück, essen und schlafen an Bord.
Hochseefischer sind über Monate auf See ohne Kontakt zur Familie und Freund*innen in der Heimat. Seit Februar protestieren Fischer und NGOs gegen diese Bedingungen in Taiwan im Rahmen einer Kampagne des Indonesian Seafarers Gathering Forum (FOSPI). Sie fordern unter anderem die Einführung von W-LAN-Netzwerken auf den Kuttern, bisher vergeblich.
In Tamsui an der Nordküste arbeiten über hundert indonesische Fischer. Auf vielen Kuttern bilden sie neben den taiwanischen Kapitänen die gesamte Besatzung. „Wir haben kaum Freizeit. Wir stechen abends in See und kommen erst am nächsten Nachmittag zurück“, erklärt ein Arbeiter am Ende seiner Schicht. Er ist Muslim wie fast alle Kollegen. Derzeit arbeiten sie im Fastenmonat Ramadan unter erschwerten Bedingungen.
In einem Hafengebäude haben die Fischer einen behelfsmäßigen Gebetsraum eingerichtet. Der bekommt zum Ende des Ramadan eine besondere Bedeutung. Im letzten Jahr musste der Fischer in der Nacht des Fastenbrechens noch auf See arbeiten. Doch an diesem Samstag wird er gemeinsam mit Kollegen im Gebetsraum das Fasten brechen.