Charlotte-Salomon-Ausstellung in München: Doch sie wehrt sich

Das Lenbachhaus zeigt Charlotte Salomons obsessive Malerei. Wie eine Graphic Novel erzählt sie von ihrem Leben bis zum Tod in Auschwitz.

Eine Gouache zeigt eine Frau vor gelbem Hintergrund und rote Herzen

Eher nachdenklich als passiv: Blatt aus Charlotte Salomons „Leben? oder Theater?“ (Ausschnitt) Foto: Sammlung Jüdisches Museum Amsterdam, © Charlotte Salomon Foundation

Es ist schwer, das Leben von Charlotte Salomon von einem anderen Standpunkt aus als von seinem Ende her zu betrachten. Die Künstlerin wurde 1943 im Alter von gerade einmal 26 Jahren von den Nationalso­zia­listen im Konzentrationslager Auschwitz ermordet. Kurz vor ihrem Tod, zwischen 1940 und 1942 hielt die Berliner Malerin in einem Konvolut aus rund 800 Blättern noch einmal ihr krasses, intensives Leben fest.

„Leben? oder Theater?“, so heißen die zusammengefassten Blätter. Und sie zeigen ein eigenwilliges Werk. Bilder und Texte auf dem immer gleichen Format von 32,5 mal 25 Zentimetern reihen sich darin in der Dramaturgie eines Romans aneinander. Die Gouachemalereien erinnern an den Expressionismus eines Ernst Ludwig Kirchner und an die schwebenden Figurenkompositionen Marc Chagalls, aber alles hastig in einem flinken Strich angelegt. Es könnten die Seiten einer Graphic Novel sein, auf die sie ihr Leben bannt. Angefangen bei ihrer Kindheit in einer liberal-jüdischen Familie in Berlin-Charlottenburg bis kurz vor ihrer Deportation durch die Nazis in Südfrankreich.

Seit die Blätter von „Leben? oder Theater?“ 2012 auf der documenta zu sehen waren, ist auch die Kunst von Charlotte Salomon stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Nun zeigt sie das Münchner Lenbachhaus in einer aufwühlenden und beeindruckenden Schau.

Die historische Figur der Charlotte Salomon wird schon lange in Theater und Film verarbeitet. Besonders bekannt ist die deutsch-niederländische Spielfilmproduktion „Charlotte“ von Frans Weisz aus den 1980er Jahren. Doch, so meinen nun die Ku­ra­to­r:in­nen der Münchner Ausstellung Stephanie Weber und Dierk Höhne, wurde Salomon in dieser künstlerisch-medialen Rezeption zu lange ausschließlich als Opfer ihrer Umstände gelesen.

Denn schon vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten war ihr Leben tragisch, in ihrer gutbürgerlichen Familie hatten sich über mehrere Generationen hinweg Menschen das Leben genommen. Und so wurde Salomon nach ihrem Tod zu einem Charakter stilisiert, der von Depressionen und Passivität gezeichnet war.

Der Mythos der passive Leidenden

Mit dem Mythos der passiv Leidenden räumt die Münchner Schau so gründlich auf, dass man schlucken muss: Salomon, die Künstlerin, Ermordete und – Mörderin. Ihren Großvater soll Salomon mit einem vergifteten Omelette getötet haben.

Bereits die ersten Eindrücke der Ausstellung mit dem gleichnamigen Titel „Leben? oder Thea­ter?“ zeigen die Vielschichtigkeit dieser Künstlerin. Auf den Hunderten farbintensiven Malereien sehen wir Erinnerungsfetzen einer Kindheit, Wimmelbilder von Zimmern und Straßen. Oftmals von weit oben aus betrachtet, als wäre eine unheimliche Präsenz, die alles verzeichnet, mit im Raum.

Darstellung eines Naziaufmarschs

Erinnert auch an Chagall, aus Charlotte Salomons „Leben? oder Theater?“ (1940-42) Foto: Sammlung Jüdisches Museum Amsterdam, © Charlotte Salomon Foundation

Für den intensiv rot leuchtenden Blumenschmuck auf einem Festtisch benötigt die Künstlerin kaum mehr als ein paar gekonnte Tupfer. Im späteren Verlauf ihres Bildromans finden sich mehrere Szenen wie diese auf einer einzigen Seite. In der Ausstellung entsteht eine dichte, rhythmische Bildfolge wie bei einem Storyboard, die Blätter hängen ohne Rahmung nebeneinander auf Schienen.

Salomon malt und schreibt unbändig, direkt, präzise. „Es scheint mir, als wenn da einer mit der ganzen Welt Fange­ball spielt“, lautet ein Schriftzug, den sie, typisch für ihre Arbeitsweise, ins Bild von sich und ihrem Geliebten montiert, der ebendiesen Satz sagt. Wir sehen die beiden nur schemenhaft von hinten, als würden wir ihren Gestalten auf der Straße folgen und dabei einen Schritt zu nah kommen.

Charlotte Salomon wird 1917 in Berlin geboren. Der Vater ist ein bekannter Chirurg. Ihre Mutter stirbt, da ist sie keine zehn Jahre alt. Noch vor dem Abitur verlässt sie das Gymnasium aufgrund der antisemitischen Beleidigungen. Im Wintersemester 1935 wird sie noch zur Probe an der heutigen Universität der Künste aufgenommen. Aber auch hier wird sie wegen ihrer jüdischen Herkunft schikaniert, eine Wettbewerbsauszeichnung darf sie nicht mehr annehmen.

„Ich bin der Minista für Propaganda“

Die Situation nach der Reichspogromnacht verschärft die Si­tua­tion für Juden in Deutschland derart, dass Salomon vom Vater und dessen neuer Ehefrau 1939 ins Exil nach Südfrankreich geschickt wird. Das Ehepaar selbst siedelt später nach Amsterdam über, wo es überleben wird.

„Leben? oder Theater?“: Charlotte Salomon. Lenbachhaus München, bis 10. September

Bei den Großeltern in Villefranche-sur-Mer bei Nizza schließlich entwickelt Charlotte Salomon ihre ganz eigene Form der Gouachemalerei. Obsessiv fertigt sie die vielen Hundert Blätter an, in die zusehends auch das politische Zeitgeschehen Einzug hält. Umgedrehte Hakenkreuze schleichen sich in ihre Bilder oder bedrohliche Farbflächen, die den Hintergrund durchziehen. Über Goeb­bels macht sie sich lustig: „Ich bin der Minista für Propaganda“, lässt sie den Reichspropagandaminister in Braunhemd und roter Krawatte gen Himmel gewandt sagen.

Immer wieder zitiert sie im Text Musikstücke. Einen Nazi­propagandaaufmarsch zeichnet Salomon unter dem flatternden Banner eines umgedrehten Hakenkreuzes – das echte reproduziert sie nicht; die unheimliche Szene aufmarschierender Massen, die eine braune Fläche bilden, definiert durch wilde, expressive Pinselstriche, die Fratzen unter den Marschierenden erkennen lassen, in finsteren Männergesichtern auch das Hitlerbärtchen.

Ein Trauma ist der Suizid der Großmutter, Charlotte Salomon erlebt ihn mit. Der Großvater offenbart ihr, dass auch Charlottes Mutter Suizid begangen hatte, was sie bis dahin nicht wusste. Ein Blatt in der Ausstellung zeigt den zerschlagenen, verdrehten Leib der Mutter auf dem Asphalt. Die Enkelin solle selbiges Schicksal ereilen, meint der Großvater. Doch sie wehrt sich.

Der Brief, ein Geständnis?

Ihr eigenes Ende muss Charlotte Salomon geahnt haben. 1943 noch heiratet sie ihren Geliebten Alexander Nagler. Ihr künstlerisches Werk, eingeschlagen nur in braunes Packpapier, bringt sie bei einem Freund der Familie in Sicherheit: „Sorg gut dafür, es ist mein ganzes Leben“, sagt sie zu ihm. Am 23. September 1943 nehmen die Nazis Charlotte Salomon und Alexander Nagler fest. Nagler war denunziert worden. Als sie in Auschwitz ermordet wird, ist sie im fünften Monat schwanger.

Eine Darstellung von einem Liebespaar

Ein Blatt aus Charlotte Salomons „Leben? oder Theater?“ (1940-42) Foto: Sammlung Jüdisches Museum Amsterdam, © Charlotte Salomon Foundation

Die überlebenden Eltern im Amsterdamer Exil konnten Salomons Nachlass sichern und übergaben ihn später dem Jüdischen Museum in Amsterdam. 1981 erfolgte erstmalig die Publikation aller Gouachen, gleichzeitig erschien der oben genannte Spielfilm „Charlotte“ des Filmemachers Frans Weisz. Zahlreiche Ausstellungen folgten, vorrangig in Museen zur Geschichte des Judentums.

2011 kam ein Brief Charlotte Salomons ans Tageslicht, der international für Furore sorgte. Die Familie hatte ihn bis dahin geheim gehalten. Darin gesteht Salomon die Tötung des Großvaters, durch Gift. Oder handelt es sich bei dem Brief auch um einen Teil von Salomons semifiktionalem Werk? Die Münchner Ku­ra­to­r:in­nen sehen die Schuld Salomons als belegt. Mit dem Mythos einer passiv Leidenden räumt die Schau auf. Charlotte Salomon wollte um jeden Preis leben. Ihre Verfolger ließen es nicht zu.

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