Nachtbus in Indien: Darum lieb’ ich alles, was grün ist
Unsere Autorin fährt mit einem Nachtbus von der indischen Küste ins Landesinnere – und wünscht sich ein solches Verkehrsmittel auch in Europa.
Meine Haare sind noch nass vom Tag am Meer und Strand, einzelne Strähnen kleben an der Stirn. Ich blicke rüber zu den blonden, längst getrockneten Haaren meiner Freundin. Wie unfair, denke ich und hoffe, dass ich keine Erkältung kriege. Dabei beträgt die Außentemperatur in Südindien auch nach Sonnenuntergang noch deutlich über 20 Grad.
Wir sitzen auf den Treppenstufen eines Restaurants in Gokarna, als der Greenliner um kurz nach zehn mit ein paar Minuten Verspätung ankommt. Der Bus soll meine Freundin und mich über Nacht von der Küstenstadt ins 500 Kilometer entfernte Bangalore bringen, wo wir auf der Hochzeit einer Freundin eingeladen sind. Der Bus macht seinem Namen alle Ehre: Außen weiß mit grüner Beschriftung, innen neongrün leuchtend.
Als ich einsteige, denke ich noch kurz an unheimlich beleuchtete Schulen in japanischen Horrorfilmen. Hier wirkt das grüne Neonlicht aber viel freundlicher und macht direkt Partylaune – auch wenn keine Musik läuft. Links vom Gang in der Mitte befinden sich die Doppelbetten, rechts Einzelbetten. Unsere Bettnummern U2 und U3 entdecke ich direkt oben links hinter dem Busfahrer. Die weißen Laken sind frisch bezogen, die hellbraunen Decken liegen sauber gefaltet am Fußende.
Meine Freundin parkt ihren Koffer unten beim Gepäckträger ein, ich nehme meinen Rucksack mit ans Bett, platziere ihn auf der großzügigen Ablagefläche am Fußende und blicke triumphierend um mich. Die Betten sind ausgestattet mit braunen Vorhängen, selbst zwischen den Doppelbetten kann ich mir Privatsphäre schaffen. Im hinteren Teil liegen ein paar Fahrgäste und haben ihre Vorhänge zugezogen. Sonst ist der Bus eher leer.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Reis kitzelt an den Füßen
Meine Freundin steigt über mich und legt sich ans Fenster, den eingepackten Biryani, gebratenen Reis, den wir beim Abendessen nicht aufessen konnten, legt sie ans Fußende. Den halben Tag über war sie skeptisch, weil dieser Nachtbus keine Toilette hat. Ist es dringend, muss man dem Busfahrer Bescheid geben, um irgendwo frei pinkeln zu können. Das hasst sie aber. Hinzu kommt die Sorge, dass der Bus ohne sie weiterfahren würde.
Entweder ist es meine Begeisterung, die sie ansteckt, oder es ist der Bus selbst: Jedenfalls scheint meine Freundin auch allmählich Freude an der Fahrt zu finden. Die Vorhänge, die wir noch nicht zugezogen haben, flattern in jeder Kurve. Auch der Biryani rutscht hin und her, jedes Mal, wenn er auf meine Seite rutscht, kitzelt er meine Füße. Draußen ist es stockdunkel. Innen die grüne Partyleuchte.
Wir liegen nebeneinander und überlegen, wie wir diesen tollen Nachtbus auch in Europa einführen könnten. Während ich für ein Deutschlandmodell plädiere, denkt sie gleich international. „Es müssten Strecken von Berlin nach Paris angeboten werden“, sagt sie. Der Sinn des Ganzen sei Tourismus, und inländische Routen seien für Nachtstrecken nicht lang genug.
Was, wenn jemand Sex hat?!
Während im Gehirn der Freundin ein Geschäftsmodell gedeiht, geht meines langsam in den Ruhemodus. Ich schließe die Augen und ziehe die Bettdecke über mich. „Willst du etwa schon schlafen?“, fragt sie empört. Als sei das ein Unding, nachts, in einem Bett. Ich ziehe die Vorhänge zu und kuschle mich ein. Es fühlt sich an wie damals als Kind, als man aus Decken und Laken eine Höhle gebaut hat.
Ich werde ein zweites Mal beim Einschlafen gestört, als meine Freundin plötzlich ihre Gedanken laut ausspricht: „Wie verhindert man denn, dass Paare in so einem Bus Sex haben?“ Vor allem geht es ihr darum, nicht mehr als unbedingt nötig Körperflüssigkeiten auf den Bettlaken zu haben.
Wir überlegen, dass Fahrgastkontrolle durch Buspersonal wegen der zugezogenen Vorhänge schwierig wäre. Meine Freundin schlägt vor, Bilder von lächelnden alten Menschen an die Decke zu kleben, die einen an die Großeltern erinnern. Schließlich entscheidet sie sich für Infoflyer zu sexuell übertragbaren Krankheiten: „Das sorgt gleichzeitig auch für Aufklärung.“
Seitenlanges Konzept für Europa
Letztendlich bringen Aufklärungsflyer aber nichts, wenn Erbrochenes, Schweiß oder Menschen mit Blasenschwäche – und was sonst so in einem Nachtbus alles an Körperflüssigkeiten ausgeschüttet werden könnte – nicht verhinderbar sind. Die Lösung für das Nachtbus-Geschäftsmodell lautet also: Viel und gute Investition in Hygiene und Putzkräfte. Ich nicke ab und überlasse den Rest des Geschäftsmodells ihren Gehirnzellen. Ich träume davon, dünne Tampons als Munition in einen Revolver zu schieben, als mich ein Wecker weckt.
Jedenfalls denke ich, dass mich ein Wecker weckt. Stattdessen ist es die Freundin, die mich am Arm stupst. „Wir sind da“, sagt sie. Draußen dämmert es, es wird langsam hell. Ich schaue aufs Handy, es ist 6 Uhr morgens, wir sind sogar eine Stunde zu früh da. Der Bus ruckelt heftig. Mich überrascht, dass mich der Fahrstil zu keinem Moment in der Nacht geweckt hat.
„Wie hast du geschlafen?“, frage ich meine Freundin beiläufig, sie schaut finster und antwortet: „Gar nicht.“ Ihre drückende Blase habe sie um den Schlaf gebracht, um sich abzulenken, entwickelte sie ein gesamtes Konzept für diese Busfahrt. Sie zeigt mir ihre Notizen auf dem Handy, die sind seitenlang. Ich nicke beeindruckt: „Oha. Nicht schlecht.“
Die Luft ist feucht, die Sonne versteckt sich
Hätten wir Internet im Bus gehabt, hätte sie noch nachlesen können, dass in Deutschland ein Paragraf der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) Liegebusse unmöglich macht, nämlich „§ 35i Gänge, Anordnung von Fahrgastsitzen und Beförderung von Fahrgästen in Kraftomnibussen“. Aber auch, dass das Schweizer Unternehmen „Twiliner“ bis 2026 ein Nachtbus-Netz in Europa inklusive deutschen Städten aufbauen will, mit Luxussesseln, die bis in die Horizontale geklappt werden können. Aktuell suchen sie aber noch Investor:innen.
In Bangalore ruft der Assistent des Busfahrers laut die Stationsnamen, wir steigen auf gut Glück irgendwo mittig in der Stadt aus. Die Luft ist feucht, über der Stadt hängt ein Nebel, oder vielleicht ist es doch Smog. Dahinter versteckt sich noch die Sonne. Ich strecke mich und setze den Rucksack auf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!