Gericht entscheidet über Bergmannstraße: Lärmende Ruhe

Das Berliner Verwaltungsgericht befindet die Verkehrsberuhigung im Bergmannkiez für rechtens. Geklagt hatte ein Anwohner einer Nebenstraße.

Fahrradweg auf der Bergmannstraße, Schild mit "Tempo 10"

Bringt das alles Ruhe rein? Oder erzeugt es anderswo Lärm? Foto: picture alliance/dpa | Fabian Sommer

BERLIN taz | Die verkehrsberuhigte Bergmannstraße ist ein Sinnbild der Verkehrswende – und sie kann es vorläufig auch bleiben. Nach mehrstündiger mündlicher Verhandlung entschied das Berliner Verwaltungsgericht am Dienstagnachmittag, dass im Juli 2021 rund um die Kreuzberger Flaniermeile getroffenen Verkehrsanordnungen des Bezirksamts rechtmäßig sind. Ein Anwohner und ein Radfahrer hatten dagegen aus unterschiedlichen Beweggründen geklagt.

Hintergrund ist ein Beschluss der BVV Friedrichshain-Kreuzberg von 2019, den Durchgangsverkehr aus dem beliebten Kiez zu verbannen – nach jahrelangen Testphasen für eine „Begegnungszone“. Seit 2021 verläuft auf einem Abschnitt der Bergmannstraße ein Zweirichtungsradweg. Er nimmt zusammen mit einem „Multifunktionsstreifen“ so viel Platz ein, dass dem Autoverkehr nur noch eine Spur bleibt, die als Einbahnstraße ausgewiesen ist. In dem Abschnitt gilt Tempo 10, durch Einbahnstraßenregelungen in den Seitenstraßen ist ein Durchqueren des Kiezes nicht mehr möglich.

Anstoß genommen hatte der Kläger mit Eigentumswohnung in der Nostitzstraße an dem Lärm vor seinem Fenster, der ihm zufolge dadurch enorm zugenommen hat. Er störe sich nicht am Ziel der Verkehrsberuhigung, versicherte er vor Gericht: „Mich stört, dass es nicht gut geplant ist.“ Vom westlichsten Abschnitt der Bergmannstraße zum Mehringdamm hin, wo sich unter anderem zwei Supermärkte befinden, würden nun schwere Lkws nach der Anlieferung den Kiez wegen der Einbahnstraßenregelung durch die kopfsteingepflasterte Nostitzstraße verlassen. „Da wackeln die Wände“, sagte der Anwohner, besonders schlimm sei es morgens.

Aus demselben Grund zwängten sich auch Pkws „in Kolonnen“ durch seine Straße, in der es vorher praktisch keinen Durchgangsverkehr gegeben habe, so der Kläger. Problematisch sei auch deren Fahrverhalten: Weil vor der Einmündung der Wohnstraße in die vielbefahrene Gneisenaustraße eine Ampel steht, würden viele AutofahrerInnen beschleunigen, um die Grünphase zu erwischen.

Gefühlte Zahlen

Die Vertreter des beklagten Bezirksamts, darunter der Leiter des Straßen- und Grünflächenamts, Felix Weisbrich, hielten dem Verkehrszählungen entgegen, die eine Abnahme des Verkehrs in der Nostitzstraße belegen. So seien im Jahr 2012 an einem Abend 212 Fahrzeuge registriert worden, im Jahr 2022 nur noch 118. Der Kläger zog das in Zweifel: Er und seine NachbarInnen nähmen eine Zunahme wahr. Gegen die Macht der Zahlen kam er jedoch nicht an – auch nicht im Fall der auf der Bergmannstraße verzeichneten Verkehrsunfälle: Auf diesen nämlich basieren die ganzen Anordnungen zur Verkehrsberuhigung.

Die Vorsitzende Richterin wies auf eine verbreitete Wahrnehmungsvezerrung hin: „Weil immer so viel über planerische Ideen gesprochen wird, übersieht die Öffentlichkeit oft, dass solche Anordnungen der Gefahrenabwehr dienen müssen.“ Tatsächlich erlaubt die deutsche Straßenverkehrsordnung beruhigende Eingriffe in den Verkehr nicht einfach, weil es die Aufenthaltsqualität einer Straße steigert – auch wenn das absolut nachvollziehbar wäre. Vielmehr muss eine überdurchschnittliche („qualifizierte“) Gefahrenlage vorliegen, die so entschärft werden soll.

Im Falle der Bergmannstraße kann das Bezirksamt aber tatsächlich auf die polizeiliche Unfallstatistik verweisen. Diese ordnet die Bergmannstraße als Unfallhäufungspunkt ein: Zwischen 2018 und 2020 wurden hier 4 Radfahrende schwer und 13 leicht verletzt.

Alles „Ermessensausübung“

Wieso sich daraus ausgerechnet die Einrichtung einer Einbahnstraße ergebe, wollte die Vorsitzende dennoch wissen. Das ergebe sich aus den „Gesamtsystem“, argumentierte der Anwalt des Bezirksamts: Der Zweirichtungsradweg sei erforderlich, um die Gefahrenlage zu minimieren, daraus ergebe sich eine deutlich reduzierte Fläche für den Autoverkehr. „Wenn man jetzt nicht die Gehwege schmaler machen will, kommt man zur Einbahnstraße.“ Letztlich handele es sich bei der konkreten Ausgestaltung der verkehrsberuhigten Zone um eine „Ermessensausübung“.

Den Richterinnen der 11. Kammer reichte das, um die Klage abzuweisen: Die getroffenen Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung seien begründet und nicht „ermessensfehlerhaft“. Die Verkehrssicherheit habe höher gewichtet werden dürfen als das Interesse des Anwohners, von Lärm am Morgen verschont zu bleiben – zumal dessen Angaben zur Lärmbelastung „vage“ geblieben seien. Während der Verhandlung hatte die Vorsitzende Richterin vorgeschlagen, die Klage zurückzuziehen, weil das Bezirksamt zusagte, auch in der Nostitzstraße noch „Berliner Kissen“ zur Geschwindigkeitsreduzierung einzubauen. Das hatte der Kläger aber abgelehnt.

Auch die Klage eines Fahrradfahrers gegen das Tempolimit von 10 km/h wurde zurückgewiesen. Er hatte argumentiert, Unfälle würden ja schon durch den baulich abgetrennten Radweg vermieden. Dem hielt das Gericht entgegen, die bauliche Umgestaltung der Straße habe zu einer „komplexen Gemengelage von Fuß-, Rad-, Liefer- und Durchgangsverkehr“ geführt, das Tempolimit schütze vor allem querende FußgängerInnen.

Dem Argument des Klägers, die Radfahrenden hielten sich ohnehin nicht an die Geschwindigkeitsbeschränkung, hielten die Richterinnen entgegen, dies sei „reine Spekulation“ und stelle die Erforderlichkeit der Maßnahme nicht infrage. Die Klage war zuvor schon im Eilverfahren abgewiesen worden.

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