Die Zwei-zu-eins-Koalition

Die Ergebnisse des Koalitionsausschusses werden von vielen Grünen als unbefriedigend empfunden. SPD und FDP sind dagegen hochzufrieden. Was heißt das für die Ampel?

Wie soll es beim Klimaschutz weitergehen? Die versammelten Grünen auf dem Weg zum Koalitionsausschuss Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Aus Berlin Sabine am Orde
, Jasmin Kalarickal
, Anna Lehmann
und Tobias Schulze

Die einen gehen am Dienstagabend nach Hause, die anderen in die Verlängerung: Gleich nach dem Ende des Koalitionsausschusses und einem gemeinsamen Auftritt der drei Ampel-Par­tei­che­f*in­nen laden die Ver­hand­le­r*in­nen der Grünen zu Videokonferenzen ein. Sie tauschen sich mit Umweltverbänden, der Bundestagsfraktion, mit Grünen aus Ländern und dem EU-Parlament aus. Die Stimmung auf allen Kanälen: Schlecht. Für die Grünen scheint klar: Sie sind die Ver­lie­re­r*in­nen der bislang längsten Koalitionsausschussitzung der Ampelregierung. Gegen SPD und FDP haben sie den Kürzeren gezogen – mal wieder.

Eigentlich soll der Koalitionsausschuss regelmäßig tagen, damit man sich auf Augenhöhe austauschen und Streitthemen geräuschlos abräumen kann. Doch diesmal hatte sich schon im Vorfeld so viel Unmut angesammelt, waren Briefe geschrieben und Gesetze geleakt worden, dass klar war: Ein erbaulicher Sonntagabend wird das nicht. So kam es auch. Von Sonntagabend bis Dienstagabend zogen sich die Ko­ali­tio­nä­r*in­nen zurück, machten die Nacht zu Montag sogar durch. Kaum ein Wort drang durch die Mauern des Kanzleramtes nach außen. Drei Stunden vor Ende der Marathonsitzung verließ der Bundeskanzler den Ausschuss, statt seiner führte SPD-Co-Parteichef Lars Klingbeil die Verhandlungen zu Ende.

Heraus kam ein 16-seitiges Papier, ein „Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung“, welches besonders für die Grünen einige schwer verdauliche Brocken enthält: Neben Bahnschienen werden auch 1.200 Kilometer Autobahn superschnell ausgebaut und die für jeden Sektor geltenden Ziele zur CO2-Einsparung aufgeweicht. Sogar ein eigenes Kapitel zu den umstrittenen E-Fuels ist drin. Sehr zur Freude der Liberalen. Die Vorlage stammt aus dem Kanzleramt, sie sei, so heißt es aus SPD-Kreisen, von Olaf Scholz und Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt lange vorbereitet und vor allem mit dem Grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck und FDP-Finanzminister Christian Lindner immer wieder besprochen und abgestimmt worden – etwa auf der Kabinettklausur in Meseberg oder bei gemeinsamen Reisen. Die Spitzen von Partei und Fraktionen hatten den vollständigen Entwurf zwar erst einige Stunden vor der Sitzung erhalten – doch zumindest aus SPD-Sicht standen „keine Überraschungen drin.“ Und 95 Prozent seien auch so geblieben. Die Erzählungen der Grünen decken sich damit zu großen Teilen, weichen in einem entscheidenden Detail aber doch ab: Vorgespräche zwischen Scholz, Lindner und Habeck habe es tatsächlich gegeben, sie hätten bloß zu keinen wirklichen Ergebnissen geführt. Das Papier, mit dem der Kanzler in den Koalitionsausschuss ging, sei nicht mit ihnen abgestimmt gewesen. Habecks Punkte aus den Vorbesprechungen hätten sich darin nicht wiedergefunden.

Entsprechend zäh seien daher die Gespräche verlaufen. Die Grünen fühlen sich in der Koalition in die Ecke gedrängt: SPD und FDP zeigen ihrer Ansicht nach überhaupt kein Interesse mehr am Klimaschutz. Im Koalitionsausschuss hätten sich sowohl die Sozialdemokraten als auch die Liberalen sofort hinter das Scholz-Papier gestellt. In einer 1-gegen-2-Situation sei es dann alleine an den Grünen gewesen, in mühsamen Verhandlungen zumindest Halbsätze zu Gunsten des Klimaschutzes abzuändern. Eine Erzählung, die man in der SPD höchst ärgerlich findet, auch die Sozialdemokratie stünde schließlich für Klimaschutz. Aber bitteschön pragmatisch und ohne die Leute zu überfordern. Die Atmosphäre während des Verhandlungsmarathons sei auch keineswegs „showdownmäßig“ gewesen, sondern sehr kons­truktiv.

Aber wie konstruktiv ist es, drei Tage zu verhandeln, um fünf Prozent in einem angeblich abgestimmten Papier zu ändern? Hat sich das wirklich gelohnt? Ja, finden FDP und SPD. Der Finanzminister wirkte am Dienstagabend im Bundestag sogar richtig euphorisch, wünschte sich Marathonsitzungen mit solchen Ergebnissen monatlich. Gleich nach dem gemeinsamen Statement twitterten die ersten FDP-Politiker*innen Glückwünsche. Der klimapolitische Sprecher der Fraktion lobte die „sektorübergreifende Rechnung“ und „Technologieoffenheit“. Auch die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion strahlte am Mittwochmorgen: Die SPD-Fraktion sei mit allen Punkten des Papiers zufrieden.

Ganz anders das Bild bei den Grünen. Sie versuchen noch nicht mal, das Gesamtergebnis als Erfolg zu verkaufen. Sogar aus der Parteizentrale heißt es, dass zur Ehrlichkeit gehöre: Die Lücke, gerade beim Klimaschutz im Verkehr, sei weiter sehr groß. Die Rückmeldungen von der Basis, so berichten Abgeordnete am Mittwoch, sind ganz überwiegend negativ. Auf Instagram nennt etwa der Vorsitzende des Stadtverbands Hannover das Papier einen „Clusterfuck“.

Kaum Kritik gab es an der Verhandlungsleistung der sogenannten Sechserrunde – also an den Partei- und Fraktionsvorsitzenden sowie Robert Habeck und Annalena Baerbock, die die Grünen im Koalitionsausschuss vertreten haben. Die Dauer der Verhandlungen scheint die These zu belegen, dass wirklich alles versucht wurde, aber nicht mehr drin war. Auf die beiden anderen Parteien konzentriert sich dann auch ausnahmslos der öffentlich geäußerte Ärger der Grünen. Stärker als die FDP nehmen sie dabei mittlerweile die Partei des Kanzlers ins Visier. Klar erkennbar ist der Versuch, den öffentlichen Druck vor allem auf Olaf Scholz zu erhöhen, den die Sozialdemokraten auf Wahlkampfplakaten noch als „Klimakanzler“ betitelt hatten.

Es ist ein taktischer Schwenk, hinter dem eine größere Strategiefrage steckt: Die Grünen wollen die Koalition nicht platzen lassen, allein, weil eine bessere Alternative fehlt. Wie aber wollen sie dann in der Ampel bis zur nächsten Wahl überhaupt noch Klimaschutz durchsetzen?

Intern läuft die Strategiedebatte an. Dabei geht es auch um das Selbstbild der Grünen als fairer Player in der Ampel, der stets vertrauensvoll mit den Partnern zusammenarbeite. Bei der Existenzfrage Klimaschutz ist die Ausgangslage in der Koalition 2:1. „Die Klimakrise wird sich weiter verschärfen, wenn das nur als Spezialthema der Grünen verstanden wird“, sagt der Bundestagabgeordnete Sven-Christian Kindler. Man müsse inhaltliche Konflikte noch stärker machtpolitisch analysieren und angehen, folgert er. Konsens ist das in der Fraktion nicht. Eine Einzelmeinung aber auch nicht mehr.

Auf Instagram nennt der Vorsitzende des Stadtverbands Hannover das Papier einen „Clusterfuck“

Eine härtere Gangart könnte schon bald in den Gesetzgebungsverfahren herrschen, die aus den Ergebnissen des Koalitionsausschuss folgen. Rechtlich bindend ist das Papier des Gremiums ja nicht. In vielen Detailfragen bleibt es zudem schwammig.

Sowohl im Kabinett als auch im Bundestag bleibt also Raum für Verhandlungen. Grüne Ver­kehrs­po­li­ti­ke­r*in­nen haben bereits angekündigt, alle Hebel zu nutzen, die ihnen nun noch bleiben.

Auch nach 48 Stunden Koalitionsausschuss ist in der Ampel also noch lange nicht alles geklärt. Der nächste Gipfel kommt bestimmt.