Parlamentswahl in Bulgarien: Dauereinsatz an der Urne
Bulgarien wählt am Sonntag ein neues Parlament – zum fünften Mal in nur zwei Jahren. Das dürfte die politische Krise wieder nicht lösen.
Um den ersten Platz mit rund 25 Prozent der Stimmen konkurrieren die konservative Partei „Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens“ (GERB) des ehemaligen langjährigen Ministerpräsidenten Bojko Borissow sowie das liberale Duo „Wir setzen die Veränderungen fort“ (PP) von Kiril Petkow und Asen Wassilew und „Demokratisches Bulgarien“ (DB).
Als Dritte mit rund knapp 14 Prozent könnte die nationalistische Gruppierung Vazrazhdane (Wiedergeburt) ins Ziel kommen – dicht gefolgt von der „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ (DPS), die sich vor allem als Interessenvertreterin der türkischen Minderheit versteht. Mit 8,2 Prozent werden auch die Sozialisten (BSP) wieder im Parlament vertreten sein.
Sollten sich die Prognosen bewahrheiten, dürfte auch dieser Urnengang zu keiner stabilen Regierung und möglicherweise einer weiteren Abstimmung führen. Wie ermüdet die Bulgar*innen von dem Wahlmarathon sind, zeigt die Beteiligung im vergangenen Oktober: Nur noch 39,3 Prozent gaben ihre Stimme ab. „Die Hälfte der Wähler*innen geht nicht zur Wahl, und dann beschweren sich alle. 33 Jahre Übergang und der letzten Platz bei den meisten Indikatoren der EU: Wir haben das alles wahrscheinlich verdient“, heißt es in einem Post auf dem bulgarischen Nachrichtenportal mediapool.bg.
Schlusslicht der EU
Der Balkanstaat mit knapp sieben Millionen Einwohner*innen trat 2007 der EU bei. Das Pro-Kopf-Einkommen ist mit 11.000 Euro das niedrigste aller Mitgliedstaaten. Auch bei der Einkommensverteilung und dem Lebensstandard ist das Land Schlusslicht der EU, bei der Korruptionsrate jedoch EU-Spitzenreiter: Laut dem jüngsten Corruption Perceptions Index (CPI) auf Platz 71 von 180 Staaten.
Eine grassierende Korruption vor allem im Umfeld der damals regierenden GERB war es auch, die 2020 Tausende in Bulgarien zu Massenprotesten auf die Straßen brachte. Die Wahlen im April 2021 brachten mit der Partei „So ein Volk gibt es“ (ITN) des Entertainers Slawi Trifonow zwar neue Parteien auf die politische Bühne, aber keine stabilen Mehrheitsverhältnisse.
Seitdem dauert diese politische Hängepartie an. Aus der vorgezogenen Wahl im November 2021 ging die PP – auch sie als Antikorruptionsplattform ein Ergebnis der Protestbewegung von 2020 – als Siegerin hervor und bildete mit der ITN, den Sozialisten und der DB eine Regierung. Im Juni 2022 setzte ein erfolgreiches Misstrauensvotum diesem Versuch ein Ende. Ein Streitpunkt unter vielen waren Waffenlieferungen an die Ukraine, die die Sozialisten, traditionell Russland-affin, nicht mittragen wollten.
Zu Recht gewisser Sympathien für Moskau verdächtig ist auch der 2021 für eine zweite Amtszeit wiedergewählte Staatspräsident Rumen Radew. Die Übergangsregierungen, die mit Unterbrechungen seit 2021 die Geschicke des Landes führen, ernennt Radew, was ihm einen erheblichen Machtzuwachs beschert hat. Auch der pensionierte Luftwaffengeneral tritt bei militärischer Unterstützung für die Ukraine auf die Bremse und bezeichnete Befürworter von Waffenlieferungen als „Kriegstreiber“.
Anonyme Bombendrohungen
Beobachter*innen rechnen nicht nur erneut mit unklaren Mehrheitsverhältnissen, sondern auch mit einer weiter sinkenden Wahlbeteiligung. Das könnte auch mit einer Welle von anonymen Bombendrohungen zu tun haben. Adressaten sind Schulen in verschiedenen Städten, die am Sonntag zu Wahllokalen umfunktioniert werden. Interimsregierungschef Galab Donew forderte die Menschen auf, trotzdem wählen zu gehen. Zusätzliche Polizeikräfte würden die Sicherheit bei der Abstimmung gewährleisten.
Das voraussichtlich gute Abschneiden des Duos aus PP und DB werten einige auch als positives Zeichen. Zum ersten Mal seit dem Fall des Kommunismus 1989 gebe es eine breite Reformkoalition, heißt es in einem Beitrag auf der Webseite des US-Zentrums für europäische Politikanalysen (CEPA). Und: „Es ist extrem wichtig, dass die politischen Entscheidungsträger Bulgariens und der EU die Dynamik der weit verbreiteten Unterstützung für eine demokratische Erneuerung aufrechterhalten, bevor sie verloren geht. So könnte die politische Krise den Weg für tiefe und lang anhaltende Veränderungen ebnen.“
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