Kinotipp der Woche: Abends in Feuerland

Das Kurzfilmprogramm „Feierabend“ im Kino Krokodil zeigt proletarische Lebensläufe zwischen Arbeitsalltag und Freizeitgestaltung.

Menschen feiern in einem großen Saal

„Feierabend“ (DDR 1964, R: Karl Gass) Foto: DEFA Stiftung, Michael Biegholdt, Gerhard Münch

Knatternd brechen vier Motorräder aus der Baustelle der Großraffinerie in Schwedt in die Weiten der Landschaft aus. 1964 zeigt der DDR-Dokumentarfilmer Karl Gass in „Feierabend“ junge Arbeiter, die in Schwedt in einem Barackenlager leben und tagsüber die Raffinerie aufbauen, jenseits der Arbeit.

Gass setzt die Aktivitäten der Arbeiter in Kontrast: einige tragen die Bierkästen aus dem Konsum in die Baracken, andere bessern Kleidung aus, spielen Tischtennis und Billard, in der Kneipe fließt das Bier, während es andere in die Bücherei zieht oder sie sich mit Kontrabass und Saxophon abplagen. Gass zeigt diese Szenen ohne Kommentar, setzt sie jedoch durch die Musik, die darunter gelegt ist, voneinander ab.

„Feierabend“ ist ein empathischer Film über das Leben in kargen Verhältnissen – mit klarem Blick für die Probleme des Alkoholkonsums, aber auch voller Interesse für die Realitäten. Gass’ Film ist Teil eines Kurzfilmprogramms zum Thema „Feierabend“, das das Kino Krokodil am Mittwochabend zeigt.

Das Programm beginnt mit der Mutter aller Filme über Arbeit und Arbeiter_innen im Film. 1895 drehen die Brüder Lumière die Arbeiter_innen ihrer Fabrik für Fotoplatten in Lyon beim Gang in die Mittagspause. „Arbeiter verlassen die Fabrik“ zeigt Inszenierung und Selbstinszenierung, das Ringen zwischen würdig gemessenem Schritt und der Eile auf dem Weg in die Pause.

Feierabend – Kurzfilm­programm: Kino Krokodil, 22. März, ab 19 Uhr, Greifenhagener Str. 32

1988 zeigt die polnische Dokumentarfilmerin Irena Kamieńska in „Dzień za dniem“ (Tag für Tag) zwei Schwestern, die seit 36 Jahren in einem scheinbar endlosen Strom Hohlbausteine aus Beton von Stapeln auf einen Laster und vom Laster auf Stapel an anderen Orten laden.

Kamieńskas unter anderem bei den Kurzfilmtagen in Oberhausen mehrfach ausgezeichneter Film kombiniert die Aufnahmen der unerschütterlichen Routinen der Arbeit mit Bildern des Wiederaufbaus von Warschau nach den Zerstörungen, die die Deutschen hinterlassen haben.

Heute fällt es schwer, sich die Gegend in der Oranienburger Vorstadt zwischen Torstraße, Ackerstraße und Chausseestraße als das Industrieviertel vorzustellen, zu dem es Mitte, Ende des 19. Jahrhunderts wurde. Wegen der Anzahl der Fabriken hieß die Gegend umgangssprachlich Feuerland.

1987, zwei Jahre vor dem Ende der DDR dreht Volker Koepp den Umbruch in der Gegend, die unzähligen Bauarbeiten, die den Aufschwung Ostberlins in den 1980ern begleiteten, nicht zuletzt die Rekonstruktion des Stadtbad Mitte, das kurz nach der Wende wiedereröffnet wurde.

Fußballfans ziehen zum Stadion der Weltjugend, einer der Fans reckt beharrlich einen gestreckten Arm. Im Borsig-Eck, Tieck- Ecke Borsigstraße, treffen sich tagein, tagaus die Rentner und die „Krankgeschriebenen“ wie der Wirt elegant formuliert. Einer von ihnen ist der ehemalige Schachmeister Kutte. Auf Nachfrage Koepps erzählt er kurz von seiner Verhaftung durch die Gestapo 1935, dann driftet der Film wieder zurück in die Gegenwart.

Das Kurzfilmprogramm des Krokodil schlägt einen Bogen durch die Jahrzehnte über proletarische Lebensläufe und Formen der Freizeitgestaltung in Gesellschaften, in denen Arbeit als Irrweg der Identitätsstiftung zentral war. Zugleich präsentiert das Programm vier Formen dokumentarischen Arbeitens, die jede für sich einen Mehrwert für die Gegenwart von heute bieten.

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