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Vom Maschsee bis an die MoskwaMännerabend mit und ohne Würstchen

Wie geht Politik ohne Würstchen und Seilschaften? Die Kritik am „System Schröder“ zeigt gesellschaftlichen Fortschritt, wirft aber auch Fragen auf.

Ein Bild aus glücklicheren Tagen, zumindest für Schröder Foto: DB Vladimir Rodionov/Ria Novosti/Kremlin Pool/dpa

D as ist schon ein ganz besonderes Vergnügen: Letzte Woche saß ich bei einer Lesung zur „Moskau Connection. Das Schröder-Netzwerk und Deutschlands Weg in die Abhängigkeit“ im Publikum, während vorne die zwei verehrten FAZ-Kollegen Reinhard Bingener und Markus Wehner erklärten, wie gut Schröders Männerkumpanei zu Putins Chauvinismus gepasst hat und andersherum.

Hach, dachte ich für einen Moment, es gibt ja vielleicht doch so etwas wie Fortschritt, wenn selbst die FAZ versteht, was toxische Männlichkeit ist, auch wenn sie das lieber anders nennt.

Nun haben die Kollegen ein kluges Buch geschrieben, in dem es um sehr viel mehr geht als um die Frage, wer wann mit wem Bier oder Wodka getrunken hat, denn es gab ja noch andere Einfallstore die Russland genutzt hat: die heilige Kuh der Ostpolitik, die halbgare Liberalisierung des Energiemarktes, die Gier und die Blindheit in Teilen der deutschen Wirtschaft, der CDU und CSU.

Das ist alles sehr spannend, aber auch sehr komplex und deshalb beugt sich das geneigte Publikum am Ende dann doch lieber über die saftigen Schmankerl, hier: die legendären Herrenabende in der Villa des langjährigen Schröder-Kompagnons Götz von Fromberg, seines Zeichens Rechtsanwalt und Rocker-Verteidiger mit Faible für alles, was nach Geld oder Macht oder Prominenz riecht – sofern es männlich ist.

Nudelsalat und Krökeln

Diese Abende, so will es die Legende, sagen viel über das System Schröder, die Maschsee-, Niedersachsen- und später eben Moskau-Connection. Und deshalb werden mit großer Hingabe immer wieder die gleichen Details kolportiert: Bouillonwürstchen! Nudelsalat! Krökeln! (Immerhin weiß jetzt die ganze Republik wie Tischkickern in Hannover heißt).

Was ich daran ein bisschen seltsam finde: Glaubt wirklich jemand, dass Herrenabende und Männerseilschaften eine Erfindung Schröders sind? Schon klar, in den meisten Golf- und Segelclubs ist sicher die Verpflegung besser, bei Rotariern und Lions Clubs gibt man sich auch noch die Mühe, das Ganze mit Wohltätigkeit zu garnieren, aber Studentenverbindungen?

Oder auf dem Land: Schützenvereine? Ist das nicht irgendwie der gleiche Summs, im Großen wie im Kleinen? Männer saufen miteinander und schustern sich dann Posten und Aufträge zu? Oder geht es hier darum, dass jetzt sogar Proleten mitmachen? Dass die Seilschaften einfach noch nicht so alt und verwittert sind und deshalb unangenehm auffallen?

Geht Politik eigentlich auch ohne? Oder muss man sich zwangsläufig mit ein paar alten Vertrauten umgeben, weil man dieses Geschäft sonst nicht überleben kann? Und wie funktioniert das nun heute, wo fast alle Parteien und Fraktionen diverser werden?

Und nun? Vergeschwisterung beim Spieleabend?

Von politisch bedeutsamen Frauenabenden höre ich selten. „Mädelsabende“ kenne ich aus dem privaten Umfeld, aber die haben oft mehr mit Prosecco und Konsum zu tun als mit Macht, klingen ja auch schon so.

Aber vielleicht haben wir die Phase der billigen Retourkutschen ja auch längst übersprungen. All diese jungen, neuen Kol­le­g*in­nen legten ja viel Wert darauf, auch gemeinsam zu feiern und Spaß zu haben, bemerkte der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen Volker Bajus (59) bei einer der ersten Pressekonferenzen in dieser Funktion.

Das sei ein bisschen ungewohnt für jemanden wie ihn, der von einer eher protestantischen Arbeitsmoral herkomme. Aber er sei ja lernfähig.

Bitte sehr, es gibt doch Hoffnung und alte weiße Männer, die besser sind als ihr Ruf. Und in 30 Jahren schreiben wir darüber, wie sich die Dings damals in Hannover mit dem X vergeschwisterte, um sich die Republik unter den Nagel zu reißen. Beim Spieleabend! Mit veganen Würstchen! Das wird fein.

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Nadine Conti
Niedersachsen-Korrespondentin der taz in Hannover seit 2020
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4 Kommentare

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  • Die Taz verehrt Kollegen von der FAZ. Allein daran sieht man schon, daß in der Medienlandschaft etwas schief läuft.

    Aber im Ernst: Die freie Marktwirtschaft hat doch die Seilschaften erst ermöglicht. Wer dachte, daß Vitamin B eine Erfindung des Kommunismus ist wurde schwer enttäuscht. Was wird hier nicht alles gekungelt. In Wirtschaft, Politik und im öffentlichen Leben. Und natürlich auch in der internationalen Politik. Die EU, so sehr ich sie mag, ist doch ein prominentes Beispiel. Hinterzimmerpolitk vom feinsten.

    Letztlich führt die Kungelei zu einer Verschiebung des Marktes, in dem immer die Gleichen das Sagen haben. Man braucht sich ja nur die Talkshows anschauen. Wie damals Osten werden heute immer nur dieselben Gesichter präsentiert, Woche für Woche. Man hat es einfach nur satt.

    Die Kungelei abzuschaffen würde allerdings auch bedeuten, das System abschaffen. Markwirtschaft heißt Kungelei heißt Bestechung. Nichts anderes.

    • @Jens Barth:

      Kungelei? Was dat dann?

      “Man kennt sich - man hilft sich!“



      & Klüngel?



      “Klüngel??? Junger Mann. Heißt - öffentliche Belange - privat erledigen!“



      ©️ Ol Conny aka Konrad Adenauer - 🙀🥳 -



      Normal

  • Liggers. “Aber vielleicht haben wir die Phase der billigen Retourkutschen ja auch längst übersprungen.“ Yes. Schon gut vor Ihrer Zeit.

    “Naja. Männer haben Seilschaften.



    Wir nennen das lieber Netzwerken!“



    Sagte bereits in den 80ern meine umtriebige hochgeschätzte Kollegin Sozialrichterin.



    Die sich von den Spätzles an die Küste begeben & dann wg der Liebe - “komm laß uns mal an die Elbe runtergehen - diese hier Rhein nennen“ - eh‘s das LSG im Pott wurde.

    ps Ekel Maschmeyer hab beim Matsch am Maschsee vermißt.



    Naja - Veronika der Lenz ist da - Tabletten satt - Depri un so Tralala!



    & deswegen lieber etwas 🎶 Jungs laßt gehn - 🙀🥳🥹 -



    m.youtube.com/watch?v=hEMvkPzqkAQ

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @Lowandorder:

      Seilschaften und Netzwerke sind halt "strategische" Partnerschaften. Sich da zu verbünden, das tut niemand gern. Das ist "strategisches" Krötenschlucken. Das ist kein Witz, das ist Clausewitz.