Reichstagsbrand 1933: Die falschen Bilder vom Feuer
Eine Arte-Doku untersucht, wer für den Reichstagsbrand 1933 verantwortlich war. Sie entlastet Marinus van der Lubbe als Alleintäter.
Über den Reichstagsbrand wird seit Jahrzehnten gestritten. Lange sah es so aus, als wäre bewiesen, dass Marinus van der Lubbe den Reichstag allein angezündet hatte; die Nazis hätten den Brand anschließend „nur“ virtuos genutzt, um über Nacht sämtliche bürgerliche Freiheiten abzuschaffen und tausende Oppositionelle zu verhaften. Mit dem Brand selber hätten sie demnach nichts zu tun gehabt.
Diese Sichtweise verändert sich aber seit Jahren. Und so schließt auch die Arte-Dokumentation „Als der Reichstag brannte“ eine Alleintäterschaft van der Lubbes aus. Ein O-Ton eines Brandsachverständigen, der 1933 im Reichstagsbrandprozess aussagte, hält fest, dass eine Einzelperson zum Legen der Feuer „mindestens 20-25 Minuten Zeit benötigte – wenn das Material bereitstand. Es ist weiter festgestellt worden, das Kohlenanzünder mit Naphtalin mit selbstentzündlicher Flüssigkeit getränkt worden sind und die auf eine petrol- oder schwerbenzingetränkte Unterlage gelegt worden sind.“
Folgte man dieser Aussage – es gibt weitere sehr ähnliche –, wäre es nie zu der jahrzehntelangen Auseinandersetzung um den Reichstagsbrand gekommen, denn van der Lubbe hatte keine Kanister mit derartigen Flüssigkeiten bei sich, als er in den Reichstag eindrang, sondern nur seine Kohlenanzünder, die er hier und da ablegte; sie hinterließen lediglich einige Brandflecken.
Fehler in der bundesdeutsche Geschichtsschreibung
Als van der Lubbe am Ende seines Laufs den Plenarsaal betrat, hatte er diese Kohlenanzünder längst verbraucht, sie hätten dieses Riesenfeuer auch nicht bewirken können. Doch nun, im Plenarsaal, entstand innerhalb weniger Minuten ein Riesenfeuer, das van der Lubbe nicht entfacht haben kann. Ihm fehlten dazu die Brandmittel und die Zeit, was von den Vertretern der Alleintäterthese standhaft ignoriert wird.
„Als der Reichstag brannte“, bis zum 5. Mai 2023 in der Arte-Mediathek
Der Film, eine französische Produktion, stellt sachlich fest, dass es nicht so gewesen sein kann, wie es die bundesdeutsche Geschichtsschreibung seit Jahrzehnten unduldsam vertritt: Marinus van der Lubbe war kein Alleintäter. Aus ausländischer Sicht ist diese Feststellung leichter zu treffen als hierzulande; man ist ja nicht in diesen erbitterten Streit verwickelt, der in der Bundesrepublik seit einer Spiegel-Serie im Herbst 1959 (!), der Geburtsstunde der Alleintäterthese, schwelt.
Doch auch diese Doku enthält Fehler. Selbst bei noch so intensiver Recherche ist es kaum möglich, das riesige Deutungsschlachtfeld, das der Reichstagsbrand hinterlassen hat, ganz zu überblicken. So irritiert die gebetsmühlenartig wiederholte Gleichsetzung von Kommunisten und Nationalsozialisten bis hin zu dem Satz, dass van der Lubbe der perfekte Sündenbock der Nationalsozialisten und der Kommunisten gewesen sei.
Sensationellen O-Töne aus der Gerichtsverhandlung
War es nicht vielleicht doch so, dass die Nazis auf den Sündenbock van der Lubbe zeigten und unter Bezugnahme auf seine Tat die Kommunisten einsperrten, folterten und ermordeten? Auch der Satz, dass der „letzte altersschwache Halt der Republik“ ausgerechnet Reichspräsident Hindenburg gewesen sein soll, hält einer Überprüfung nicht stand. Wer hatte denn Hitler zum Reichskanzler ernannt? Dem entspricht auch der Gebrauch des Wortes „Machtergreifung“, das man eigentlich schon fast glaubte vergessen zu dürfen.
Die filmischen Mittel, die Archivfunde, die sensationellen O-Töne aus der Gerichtsverhandlung sind dicht und überzeugend eingesetzt – wobei die nachträgliche Kolorierung alter Schwarz-Weiß-Aufnahmen eher stört. „Wochenschau“-Material vom Brand und von der Gerichtsverhandlung wechselt sich ab mit Sequenzen aus dem 1955 gedrehten DEFA-Spielfilm „Der Teufelskreis“. Um den Brand dramatisch darzustellen, hatte man damals den gesamten Reichstag brennen lassen – als Modell. Tatsächlich hatte aber nur der Plenarsaal gebrannt, wie der Film an anderer Stelle korrekt berichtet.
Doch diese Nachstellung für den Film „Teufelskreis“, der übrigens in der Bundesrepublik verboten war, ist so realistisch gelungen, dass ein Foto dieses brennenden Modells immer wieder als Originalfoto vom 27. Februar 1933 bezeichnet wird. Aufgeklärt wird dieser Widerspruch in der Doku leider nicht; der Reiz, die „historischen Aufnahmen“ zu zeigen, war dann wohl doch zu groß.
Uwe Soukup hat soeben im Heyne-Verlag das Buch „Die Brandstiftung – Mythos Reichstagsbrand. Was in der Nacht geschah, in der die Demokratie unterging“ veröffentlicht.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen