piwik no script img

Rentenreform in FrankreichWut auf Macrons Arroganz

Kommentar von Christine Longin

Bei den Streiks geht es längst nicht mehr nur um die Rentenreform. Der Protest richtet sich auch gegen die Selbstherrlichkeit des Präsidenten.

Entkoppelt vom Volk? Macron am 8. März in Paris Foto: Pool

D ie Rentenreform ist für Emmanuel Macrons zweite Amtszeit eine Art Leuchtturm. Sie soll das Licht des Reformers ins Land hinaus senden, lautet das Kalkül. 2017 war der Staatschef mit dem Anspruch angetreten, Frankreich umzukrempeln. Aber durch Coronapandemie und Ukrainekrieg wurde der Präsident in seinem Elan gebremst. Sein erstes Projekt einer Rentenreform, das mehr Gleichheit in das ungerechte System bringen sollte, blieb 2019 auf der Strecke.

Doch statt nun da weiterzumachen, wo er damals abbrechen musste, beschränkt sich der Staatschef auf eine Erhöhung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre. Statt den Maschinenraum komplett umzubauen, tauscht er lediglich einige Geräte aus. Und verbindet seine Maßnahmen auch noch mit Geschenken an die Handwerker – in diesem Fall die konservative Opposition, die ihm helfen soll, sein Vorhaben durchs Parlament zu bringen.

Den Sinn der Rentenreform können die Französinnen und Franzosen hinter all den Winkelzügen kaum noch erkennen. Vor allem, weil Macrons Zugeständnisse an die Konservativen kaum noch etwas von dem Geld übrig lassen, das die Reform in die Rentenkassen spülen soll. Und die oberlehrerhaften Rechnungen, mit denen der frühere Investmentbanker die finanzielle Notwendigkeit seines Vorhabens belegen will, gehen am neuen Verhältnis zur Arbeit vorbei, das die Französinnen und Franzosen während der Pandemie entwickelten. Und über das sie nun auch diskutieren wollen. Nicht nur über Beitragsjahre und Berufsgruppen.

Es geht ihm um Gesichtswahrung

Doch der Staatschef, der sich immer stärker vom Volk entkoppelt, ergreift diese Gelegenheit nicht. Ihm geht es nur noch um Gesichtswahrung. Macron hat seinen Landsleuten den Sinn seiner Reform nie wirklich erklärt. Zwar gelobte der 45-Jährige bei seiner Wiederwahl einen neuen Führungsstil, der aus mehr Dialog bestehen sollte. Geredet hat er seither aber mit kaum jemandem – schon gar nicht mit den Gewerkschaften, die seit Jahren darum werben, endlich wieder ernst genommen zu werden.

Die Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter werden den Protest gegen die sozial ungerechte Rentenreform, die rund 70 Prozent der Französinnen und Franzosen ablehnen, deshalb fortsetzen. Ihr Widerstand richtet sich längst nicht mehr nur gegen die Rente mit 64. Er richtet sich auch gegen einen Präsidenten, der diese Reform selbstherrlich und ohne wirkliche Notwendigkeit begonnen hat. Und der sie nun vor allem für sich selbst zu Ende bringen will.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • 6G
    659554 (Profil gelöscht)

    Damit hat Macron endgültig die Wahl von Le Pen 2027 besiegelt.

  • "Macron hat seinen Landsleuten den Sinn seiner Reform nie wirklich erklärt."

    Erstaunlich ist, dass die Fachminister und die Reports kaum das belegen, was die Regierung behauptet. Es geht mit Sicherheit nicht um das Defizit in der Rentenkasse. Die Rechnungen und Ergebnisse hierzu haben das gar nicht belegt, warum also?



    Und Macron produziert gerade eine Art Aufbauhilfe für die Linke.



    Selten hat sie so den Nerv der Franzosen getroffen, wie jetzt, wo die Debatten zudem auch noch stark abgewürgt wurden.



    Das Gesetz ist einem außérordentlichen Schnellprozess gemacht worden.



    Den Protest hat die Regierung ignoriert, die Fragen dazu eigentlich auch ignoriert, Änderungsanträge dazu ignoriert, das ganze Projekt ist wirklich in einem unglaublichen Alleingang gemacht worden. Das verspricht für die Zukunft nichts Gutes. Und es gab bereits den Protest der Gelbwesten, die Aufstandsstimmung könnte breiter werden, dazu noch die elitäre Abgehobenheit der Regierung, die Minister wirkten gar nicht so recht vom Volk gewählt oder dem Volk Rechenschaft schuldig, sie wirken echt eingesetzt, wie eine Mandatsregierung oder Amtsleiter eines Protektorats. Dazu noch die Augenwischerei, etwa die Rente für alle von mindestens €1200, die wohl nur für sehr wenige Menschen wirklich am Ende kommt. Dafür werden viele Rentner aber mit der neuen Regelung weniger haben, weil sie einfach keine Arbeit mehr finden können, oder ihr Körper schlapp macht. Es gibt jetzt schon arme Rentner in Frankreich, deren Anzahl würde wohl wachsen. Und es würde Rentner geben, die irgendwie dann mit Boulou (Minijobs) aufbessern müssten, so wie in Deutschland es jetzt ist.

  • Eine ungerechte Rentenreform?



    Soso. Wir sprechen hier von einer Erhöhung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre.



    Da springt einen die Ungerechtigkeit wirklich an.



    Dass in Frankreich Menschen im öffentlichen Dienst auch schon mit 55 in Rente gehen, spielt natürlich eine untergeordnete Rolle.



    Die Reformen, die in Deutschland vor 20 Jahren abgeschoben wurden , hat Frankreich bis heute nicht umgesetzt.



    Allerdings haben die Reformen neben der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hierzulande auch für 20 Jahre Wirtschaftswachstum gesorgt.



    Die Besorgnis, dass die Menschen beim erhöhten Renteneinstiegsalter von 67 zur Frührente mit Abschlägen gezwungen werden, ist auch Geschichte, wir haben soviele Beschäftigte wie nie und können nur hoffen, dass Zuwanderer die Lücken füllen.



    Liebe Französinnen und Franzosen, ich mag Euch und Euer Land wirklich sehr, Euer Präsident allerdings auch.

    • @Philippo1000:

      Wirtschaftswachstum für wen ist die Frage? Die meisten Arbeitnehmer*innen verdienen heute deutlich weniger als in den 1990er Jahren, die Reallöhne sinken seit Jahren und nicht erst durch die Inflation, durch diese merken viele Menschen mittlerweile nur einfach, wie dramatisch wenig sie letztlich für ihre Arbeit bekommen. Gleichzeitig geht hier nichts mehr ohne die Möglichkeit einer privaten Altersvorsorge, wenn man nicht in der Altersarmut landen will, was auch nur für diejenigen möglich ist, die eben über entsprechend Ressourcen verfügen, sich hier abzocken zu lassen, weil von staatlicher Seite die Verantwortung privatisiert wurde. Hinzu kommt, dass es einfach Berufe gibt, für die quasi eine Senkung des Rentenniveaus eingepreist ist, da kaum jemand mit fast 70 noch Dächer deckt oder Fliesen verlegt bzw. irgendwo in der Pflege schwer körperlich arbeiten kann. Für diejenigen Personen bedeutet die Erhöhung also ein Absenken ihrer Rente. Insbesondere in sozialen bzw pflegerischen Berufen betrifft das also Frauen in doppelter Weise.

      Wo die überwiegende Mehrheit der Deutschen hier etwas vom behaupteten Wirtschaftswachstum abbekommen haben soll, ist mir schleierhaft. Das klingt wie der vielbehauptete Trickle-Down-Effect, der sich auch nie eingestellt hat. Aber ja, es stimmt, in den letzten 20 Jahren, beschleunigt nochmals durch Corona, sind tatsächlich einige wenige nochmals bedeutend reicher geworden...

      • @White_Chocobo:

        Die Maßnahmen, die die Regierung in den Coronajahren und der Energiekrise ergriffen hat, wären ohne ein entsprechendes Wirtschaftswachstum nicht möglich gewesen.



        Die Sicherung der Arbeitsplätze durch Kurzarbeitergeld durch die Krisen der letzten Jahre wäre nicht finanzierbar gewesen.



        Wir haben derzeit soviel Beschäftigte wie nie zuvor.



        Es wurden Millionen zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen.



        Für Menschen, die in Ihrem Beruf nicht mehr arbeiten können, gibt es die Berufsunfähigkeitsrente.



        Dass es derzeit eine Inflation gibt, hat andere Gründe.



        Auch hier agiert der Staat unterstütztend mit den steuerfreien (Einmal) Zahlungen.



        Dies sind nur einige Beispiele dafür, wie der Bürger vom Wirtschaftswachstum profitiert (hat).

    • @Philippo1000:

      Als ungerecht empfinden es die Franzosen wohl, dass alle "Reformen" der letzten Jahre auf Kosten der Mittel- und Unterschichten gingen. Während Macron in seiner ersten Amtszeit gleich mal die Steuersätze für Unternehmen und Reiche senkte. Und diejenigen beschimpfte, die sich gegen seine Reformen stellten -- und damit eine unrühmliche Tradition fortsetzte. Etwas, das hier gerne vergessen wird.

      • @Libuzzi:

        Was auch gerne vergessen wird ist, dass die französische Rechte die Proteste gerne nutzt, um Stimmung gegen die Regierung zu machen.



        Dabei sind die Rechten , wie die AfD in Deutschland, nur oberflächlich am Wohlergehen der Armen interessiert.

      • 6G
        659554 (Profil gelöscht)
        @Libuzzi:

        Diese "Rentenreform" dient in Wahrheit auch nur wieder dazu, die Mittel für eine x-te Senkung der Unternehmenssteuern zu herbeizuschaffen. Wieder wird das Geld von unten nach oben umverteilt.

        Und von dem hauptsächliche Scheinargument, mit dem dieses Manöver begründet wird, der steigenden Lebenerwartung, wird nichts übrig bleiben, wenn Macron das Gesundheitssystem endgültig kaputtgespart hat. Aber diesen Rentenbetrug wird er dann natürlich nicht zurücknehmen.