mitgegeben: Liebes Kind, ich glaube, der Klimastreik ist nicht antisemitisch
Liebes Kind,
du willst heute in Bremen auf die Fridays-for-Future-Demo, weil alle anderen gehen da auch hin, und ich fürchte, du beginnst zu verstehen, wie ernst die Sache mit dem Klimawandel ist.
Aber jetzt gibt es Leute, die sagen, die Bremer Demo würde von Antisemit:innen mitorganisiert und man solle deshalb besser nach Bremerhaven fahren und dort demonstrieren.
Ich bin mir zwar sicher, dass ihr das gar nicht mitbekommt, weil sich dieser Streit hauptsächlich auf Twitter und Instagram abspielt. Da treibt ihr euch noch nicht rum, soweit ich weiß, und wenn, dann garantiert nicht in den Kanälen, in denen das gerade Thema ist. Denen der grünen Jugend Bremen zum Beispiel oder vom Verband jüdischer Studierender Nord.
Aber falls doch, und falls du mich fragst, ob du mit zwölf Jahren alleine nach Bremerhaven fahren sollst, würde ich sagen, auf keinen Fall, für Klimaschutz demonstrieren geht genauso gut in Bremen. Vielleicht würde ich noch ergänzen, dass der jahrzehntealte Zwist zwischen der Judäischen Volksfront und der Volksfront von Judäa echt nicht deiner ist (was ich damit meine, wirst du verstehen, wenn du das erste Mal „Das Leben des Brian“ von Monty Python gesehen hast).
Damit würde ich es mir natürlich viel zu leicht machen und Antisemitismus, also Judenfeindlichkeit, ist kein Witz, das hast du ja bereits in der Schule gelernt. Aber es fällt mir wirklich schwer, dir das kleine Einmaleins linker Gruppierungen und die Nuancen ihrer jeweiligen Positionierung zum Staat Israel zu erklären, ohne mich darüber lustig zu machen. Das liegt auch daran, dass ich selbst nie Teil dieser Szene war und immer erst nachdenken muss, wer auf wessen Seite steht und aus welchen Gründen.
Also für die einen ist Israel so toll wie der FC St. Pauli und für die anderen so scheiße wie Bayern München, je nachdem, ob sie Deutschland oder die USA doofer finden. Nein, vergiss die Fußballanalogie, damit mache ich es noch komplizierter.
Ich kann dir noch nicht mal sagen, was an FFF Bremen antisemitisch wäre. Es ist nicht so, dass irgendwer eine Israelflagge verbrannt hätte, noch nicht einmal symbolisch auf Twitter.
Nur gibt es eben auch unter Klimaschützer:innen Menschen, die bei jedem Anlass gegen die israelische Besetzung palästinensischer Gebiete demonstrieren wollen, was andere für antisemitisch halten, weil man sich ja schon fragen kann, warum ihnen nun ausgerechnet dieser Konflikt so unter den Nägeln brennt und was der mit dem Klimawandel zu tun hat.
Andererseits kann man den für so bedrohlich halten, dass einem die Palästina-Freund:innen keine Schnappatmung bescheren sollten.
Also denk bitte unbedingt daran, nachher eine Mütze aufzusetzen und ab und an etwas zu trinken. Eiken Bruhn
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