Die Wahrheit: Putins Phantomschmerz
Geschichte ist ein scharfes Schwert und hat schon für so manch schmerzhafte Amputation gesorgt. Erkundungen im Randmilieu raunender Heimatfrontkrieger.
Im Westberlin der achtziger Jahre gab es einige stadtbekannte Originale. Zu diesen schrägen Vögeln gehörte auch eine einbeinige Bordsteinschwalbe, die jeden Abend auf einem Stromkasten in der Potsdamer Straße saß. Dem Augenschein nach war die Hure mit dem Stumpf gut im Geschäft. Apropos Strom und Strich, Amputierte und historische Rückblicke: Vor einem Jahr begann Wladimir Putin seinen Krieg in der Ukraine. Der Hauptgrund für die „militärische Spezialoperation“ ist, wie Historiker dem russischen Führer immer wieder bescheinigen, ein „Phantomschmerz“ Putins: Den Verlust des Sowjetimperiums habe der neue Zar im Kreml nie verwunden.
Geschichte ist ein scharfes Schwert und hat schon für so manche schmerzhafte Amputation gesorgt – wie derzeit nicht nur auf dem Schlachtfeld in der Ukraine, sondern auch mit den bekannten Einschnitten im Energiesektor, nach denen Russland seine gasigen und öligen Innereien jetzt an anderen Ecken der Welt verkaufen muss. Wobei den Kriegsverbrecher Putin mit einer behinderten Hure zu vergleichen, dem ehrenwerten Beruf der Prostituierten nicht gerecht wird.
Vor einem Jahr war die Welt noch in Ordnung, der Krieg trieb sein grausames Unwesen in Syrien und anderswo weit weg von Europa. Den Donbass hielten die meisten Deutschen für einen Vorsänger im Kosakenchor. Die Wahrheit war noch das erste Opfer des Krieges, wie die medialen Binsenritter nicht müde wurden zu betonen, während sich bereits die ersten Leichen in Butscha stapelten. Heute kann jedes Kind die Namen Charkiw und Cherson heruntersingen. Und die Millionen Flüchtlinge sind keine „westasiatischen Messermänner“ mehr, sondern Frauen und Kinder aus der Ukraine, die vom sauertöpfischen CDU-Boss Friedrich Merz dennoch nach Art des Abschaums für Deutschland (AfD) als „Sozialtouristen“ geschmäht wurden.
Im zurückliegenden Kriegsjahr haben sich einige Politiker zu üblen Kampfdrohnen entwickelt. Wer aber richtig schlechte Laune bekommen wollte, der musste tiefer eindringen in das Randmilieu der raunenden Heimatfrontkrieger. Von der Peripherie sieht man das Zentrum am besten, an den Dienern erkennt man den Herrn.
Unter Putins Lakaien, den köppelnden Elsässern, stach einer besonders hervor: Mathias Bröckers. Der ehemalige taz-Redakteur, „Wahrheit“-Gründer und gelernte Verschwörungsfabulierer hat sich nach seinem ersten großen Lebensthema, dem Elftenseptember, nun auf seinem Blog „Question Authority“ vollkommen dem Putinismus verschrieben. Mittlerweile ist der glühende Putinist von Kreuzberg nach Zürich gewechselt, wo er sich für einen aus dem Exil mahnenden und warnenden neuen Thomas Mann hält, während er tatsächlich nur ein Horst Mahler auf links ist.
Putins historische Pein lindern
In der Westberliner Schimpfsprache der achtziger Jahre feiert Bröckers mit girlandenartigen Endsiegsätzen Kriegswoche für -woche seinen Herrn und Meister im Kreml und dessen „hypersonische Waffen“, die angeblich die von den bösen Amerikanern beherrschte Weltordnung verändern. Und allein die liebevolle Herzlichkeit, mit der Bröckers die todbringenden Hyperschallraketen umschreibt, ruft bei vernünftigen Beobachtern eine Gänsehaut hervor. Dabei ist die militärische Ahnungslosigkeit des einstigen Kreuzberger Oberkiffers atemberaubend, seine Fehleinschätzungen sind Legion, besonders obszön ist jedoch seine Tätersprache.
Schlechte Autoren verlieben sich in Worte, die sie für sich entdeckt haben und die sie Seite um Seite wiederholen. Wenn, um nur ein Beispiel zu nennen, zum hundertsten Mal „der Westen“ als „Natostan“ bezeichnet wird, dann ist das nicht das letzte ästhetische Verbrechen, es gibt durchaus Steigerungsformen: die Interpunktion. Bröckers schießt Satzzeichen mit der Kalaschnikow in seine Texte und scheißt auf alle menschlichen Gesetze, im vernebelten Bewusstsein, ein politischer und sprachlicher Desperado sein zu wollen. Wer aber brutal Kommas ausradiert, wird irgendwann auch Menschen vernichten.
Wie aber soll jemand, der nicht einmal die grundlegenden Regeln seines eigenen Metiers beherrscht, einem die Welt erklären können? Warum liest man dann überhaupt in diese Abgründe hinein? Um auf die Scheinargumente des Whataboutisten antworten zu können? Gegen Glaubensbekenntnisse helfen keine Argumente. Trotzdem hat Bröckers’ für Putinisten typische Erweckungsliteratur eine kathartische Wirkung. An ihr lässt sich absehen, was man als Journalist im Alter niemals werden möchte: ein skrupelloser Wortverbrecher in Gestalt eines renitenten Rentners.
Zurück zum Führer selbst und seiner Prothese, die weniger eine geschichtliche Geh- als eine Gärhilfe ist. Putin fehlt bei seinem Phantomschmerz eine in der russischen Schamanenmedizin gern genutzte sogenannte Antischmerzbrücke. Bei Nervenschmerzen am amputierten Glied wird der Stumpf mit Alufolie umwickelt. Ausgerechnet Alufolie, die ja Verschwörungsanhänger stets als Allheilmittel aus dem Aluhut ziehen!
Wäre das nicht eine wundervolle Methode, um Wladimir Putins historische Pein zu lindern? Den ganzen größenwahnsinnigen Mann einfach in Folie einwickeln, bis der Schmerz nachlässt! Also am besten eine Ewigkeit lang. Und wenn Russland dann bei der Entputinisierung einen stechenden Phantomschmerz spüren sollte, weil es seinen Führer vermisst, wird eben das gesamte russische Volk es fühlen müssen: Über sieben Schmerzbrücken musst du geh’n, sieben dunkle Jahre übersteh’n. Bis es langsam, langsam, aber sicher endlich aufhört.
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