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Warum TikTok so toll istZufluchtsort in Boomer-Deutschland

Was für andere der Fernseher, ist für unsere Kolumnistin TikTok, nur besser: Der Algorithmus schneidet das Programm schön zu, Zombies bleiben draußen.

Die Risiken und Nebenwirkungen der App sind bekannt Foto: Jakub Porzycki/NurPhoto/imago

I ch werde Zeu­g*in eines Streits unter vier Leuten. Es ist unklar, weshalb sie sich in den Haaren liegen. Mittendrin fängt einer der vier leidenschaftlich an zu tanzen, während zwei andere sich gegenseitig beleidigen. Die letzte im Bunde hält sich eher raus. Über sie kursieren Gerüchte, sie sei in den Fängen eines Freiers, der sie zur Sexarbeit zwingt.

Belege gibt es dafür keine. Doch auf TikTok, dem Ort des Geschehens, verbreitet sich so was unkontrolliert. Ich scrolle weiter. Ein Satanist. Ich scrolle weiter. Bushido-Peiniger und Clan-Mitglied Arafat Abu Chaker macht sich über irgendjemanden lustig. Befremdlich, dass er die Plattform so für sich nutzen kann. Andererseits wundert es mich nicht. Schließlich treiben auf TikTok Salafist*innen, die teils vom Verfassungsschutz beobachtet werden, ihr Unwesen, und die AfD und Polizei machen da genauso auf harmlos.

Ich verlasse den inhaltlich chaotischen Live-Modus und switche zu vorgedrehten Clips auf meiner For You-Page. Hier bin ich zu Hause, hier fühle ich mich wohl. Live Laugh Love. Eine Ex-Mormonin erzählt mit der nötigen Dramatik, warum sie ausgestiegen ist. Auf sie folgt das Video eines Fluglotsen, der auf dem Flugfeld zu Beyoncé voguet. Meine Füße wippen mit. Bis ich zusehe, wie der reichweitenstarke Account einer Frau sich gegen die „Haram-Polizei“ auf TikTok wehrt und sie zurechtweist. Bravo!

Was für andere der Fernseher ist, ist für mich TikTok. TikTok hat die Vorteile, die ich mir als Kind vom TV gewünscht habe: Der Algorithmus schneidet das Programm auf mich zu, zumindest auf der For You-Page. Ich zappe mich durch und aller Wahrscheinlichkeit nach begegnet mir ein Clip, den ich meinen Friends schicke, um sie etwas aufzuheitern in diesen dystopischen Zeiten.

Uncoole Leitbilder?

Anfangs habe ich nichts mit TikTok anfangen können. Ich fands uncool, was die Be­trei­be­r*in­nen für Leitbilder haben. Denn wenn man sich TikTok runterlädt, springen einem zunächst teils minderjährige schlanke Mädchen und Frauen tanzend entgegen. Ich frage mich, was das für eine Drecksplattform ist, die junge Mädchen für den eigenen Profit ausnutzt, um direkt Use­r*in­nen an sich zu binden.

Die Risiken und Nebenwirkungen der App sind bekannt. Recherchen haben dem Algorithmus unlängst böse Absichten nachgewiesen: Dicke und queere Menschen werden benachteiligt in ihrer Reichweite, bei Jugendlichen können sich negative Gedanken verfestigen und der Algo ist darauf ausgelegt, süchtig zu machen. So wichtig es ist, auf diese Tücken aufmerksam zu machen, so ist eine Entertainment-App nur so gut und schlecht wie die Gesellschaft, aus der sie wächst.

TikToks gute Seiten sind die Erfrischung, die dem ranzigen Boomer-Deutschland fehlen. Progressive politische Inhalte werden diskutiert und gelebt, ohne dass Harald Martenstein oder Alice Schwarzer dazwischenquatschen. Ein kleiner Zufluchtsort, den ich nach dem Schreiben dieser Kolumne wieder aufsuche.

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4 Kommentare

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  • 0G
    04405 (Profil gelöscht)

    Uncoole Leitbilder, alte Säcke bitte draußen bleiben, die eigene Blase rosarot: Same as it ever was. Bravo, Viva, TikTok. Heißt aber auch im Umkehrschluss, alles halb so wild, war immer so, wird immer so bleiben und die wachsen da irgendwann von alleine raus.

  • Mhhhh, bin wohl zu sehr ranzige Boomerin (ok, 'wir' haben den ganzen Kram aufgebaut, und A. Schwarzer hat eine ganze Menge Festgezurrtes ins Rollen gebracht) - denn Tik Tok ist mir in mehrfacher Hinsicht suspekt. Shantivanille hat erhellendes dazu zitiert. Schon bei den magersüchtigen Mädels bin ich weg. Glücklicherweise muß ich nicht jedem Trend hinterher. Da schmier ich mir lieber 'ne Stulle und freu mich, dass wir so viele Optionen haben.

    • @Anidni :

      Tja, die ranzigen Boomer*innen sind so furchtbar altmodisch, tatsächlich auf Eigentümerverhältnisse zu schauen, grade bei Massenveranstaltungen wie TikTok & Co.

      Die ranzigen Boomer kennen auch bestimmt noch Gordon Gecko in dem legendären Film „Wall Street“, gespielt von Michael Douglas. Gordon Gecko ist Henry Kravitz, die Ultra-Kapitalisten-Ikone.

      "Gier ist gesund."

      Der Satz entstand dort.

      TikTok ist neben der Gier nach Kohle auch die Gier nach Macht, die durch gigantische Berge an Daten gefüttert wird.

      Eine tolle Manipulationsmaschine.

  • Mit TikTok hat die Evolution ihren Höhepunkt überschritten.

    Weltweit gibt es mehr als 1,5 Milliarde TikTok Accounts. Facebook 2,9 Milliarden, YouTube 2,2 Milliarden, Instagram 1,4 Milliarden.

    Wäre interessant den globalen Durchschnitts-IQ vor und nach TikTok & Co. zu vergleichen, bzw. jetzt mittendrin.

    Digitales Daumenkino.

    Bei TikTok geben sich Superkapitalisten und der chinesische Staat ein Stelldichein.

    Bytedance, die Muttergesellschaft von TikTok ist in Privatbesitz, über die genauen Eigentumsverhältnisse ist wenig bekannt. Einer der größten Einzelinvestoren soll Softbank-Gründer Masayoshi Son sein, der 2018 rund drei Milliarden Dollar in das Unternehmen steckte. Weitere Investoren sind u. a. die großen US-Venture-Capital-Firmen General Atlantic, KKR und Sequoia Capital.

    Kapitalisten, denen es völlig egal ist, womit sie ihr Geld verdienen. KKR hat seinen Sitz in New York nur wenige Meter vom Trump Tower entfernt. Der Milliardär Henry Kravis und Trump beste Freunde?

    General Atlantic sitzt ebenfalls in der Gegend. Sequoia Capital in Kalifornien.

    Mittlerweile hat auch der chinesische Staat seinen Anteil erhöht.

    Ein weiterer Grund für Kritik ist die Frage, ob und wie sehr der Dienst die dort verbreiteten Inhalte möglicherweise im Interesse der chinesischen Regierung zensiert. So dokumentierte unter anderem das Info-Portal netzpolitik.org im November 2019 die Kriterien, anhand derer Moderatoren Inhalte bewerten und aus dem Videostrom filtern. Danach betreibe „TikTok ein ausgeklügeltes System, um Inhalte zu identifizieren, zu kontrollieren, zu unterdrücken und zu lenken.“ Auffällig sei zudem, dass beispielsweise Videos über die Proteste in Hongkong gegen die Ausweitung des chinesischen Einflusses dort, auf dem Portal kaum sichtbar waren.

    TikTok ist auch bekannt als das Portal der Nachrichtenmuffel.

    www.nzz.ch/feuille...-gefahr-ld.1693867