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Film über AntiziganismusUnser Haus, unser Film

In „Amaro Filmos – Wir sind hier“ berichten Jugendliche über ihr Leben im „Block“ am Ostbahnhof und ihren Kampf gegen antiziganistische Vorurteile.

Jugendliche vor dem Holocaust-Mahnmal für Sinti und Roma im Tiergarten: Filmplakat von „Amaro Filmos“ Foto: Fenia Franz/Amaro Filmos

Berlin taz | Die 17-jährige Larissa hat gerne in dem Plattenbau am Ostbahnhof gewohnt: „Die Nachbarn sind alle sehr nett und hilfsbereit. Also manchmal ist es sehr schlimm und manchmal sehr schön da“, sagt sie in die Kamera und lächelt schüchtern. Samson, 14, sagt es kurz und knapp: „Der Block war für mich einfach richtig – geil.“ Neno, ein junger Mann, erklärt: Sehr viele verschiedene Menschen hätten dort gelebt, „manche haben eine Firma mit 50 Angestellten, andere sammeln Pfandflaschen“ – dennoch sei der Zusammenhalt sehr groß gewesen.

Schon die ersten Szenen des Films „Amaro Filmos – Wir sind hier“ machen deutlich: Hier geht es um die Perspektive der Jugendlichen auf ihr (ehemaliges) Wohnhaus. Ein Haus, das als „Problemimmobilie“ galt: heruntergekommen, überbelegt, vermüllt. Weil in dem Haus in der Straße der Pariser Kommune vor allem Romn*ja-Familien aus Rumänien lebten, wurden die Probleme medial oft mit ihnen in Zusammenhang gebracht. Dass die Eigentümerin die Immobilie gezielt überbelegte – in etwa 40 Wohnungen lebten teilweise rund 350 Menschen –, darüber wurde kaum berichtet. Genauso wenig darüber, dass sie trotz horrender Mieten – das Jobcenter zahlt ja! – alles bis zur Unbewohnbarkeit verkommen ließ und sogar, wie Be­woh­ne­r:in­nen berichteten, Müll dort abladen ließ.

Für die Kinder und Jugendlichen, die dort lebten, war „der Block“ trotz aller Widrigkeiten vor allem Heimat, ein Ort des Zusammenhalts – in einer Welt, die ihnen als Rom­n*ja vielfach mit Abwertung und Diskriminierung begegnet. Wie negativ viele Menschen reagieren, wenn sie hören, „man ist Roma“, erklärt Neno im Film recht drastisch (das von ihm verwendete Z-Wort, so wird im Vorspann erklärt, wurde absichtlich stehen gelassen, weil es als Selbstbezeichnung verwendet wird). „Bist du aus Rom?“, höre er dann. „‚Nein, sag ich, Zigeuner.‘ – ‚Ah, kramt ihr in Müll?‘ – ‚Nein, Bruder, warum sollen wir in Müll kramen?‘ Das war in der 5./6. Klasse, das hat mich runtergezogen. Sobald man gesagt hat, man ist Roma, wurde man gleich von den Freunden ganz anders angesehen, so komisch.“ Eltern von Freunden hätten Spielzeug versteckt, wenn er zu Besuch kam.

Erfahrungen dieser Art machten sehr viele Kinder und Jugendliche aus Romn*ja-Familien, sagt Alexander Rönisch im Gespräch mit der taz. Er ist Projektleiter des Bildungsprojekts „Wir sind Hier!“ der transkulturellen Roma*-Selbstorganisation RomaTrial und hat den Film mit den Jugendlichen und mit Straßensozialarbeitern von Gangway e. V. zusammen gemacht. Mit dem Projekt wollten sie die Selbstwirksamkeit der Jugendlichen stärken, ihnen die Erfahrung geben, gehört und ernst genommen zu werden. Gleichzeitig gehe es darum, das Publikum über verbreitete antiziganistische Vorurteile aufzuklären.

Über die Stadt verstreut

Rönisch war auch am Vorläuferprojekt beteiligt, dem Film „Bei uns ist das so“, der 2018 Premiere hatte. Auch in ihm spielen Jugendliche aus dem Haus die Hauptrolle; entstanden war er nach ersten diffamierenden Berichten, in denen die Be­woh­ne­r*in­nen – wie so oft – nicht zu Wort gekommen waren. „Später kamen die jüngeren Geschwister auf uns zu, sie wollten jetzt auch einen Film machen“, erklärt Rönisch. Denn inzwischen, ab 2020, hatte die Vermieterin begonnen, die Be­woh­ne­r*in­nen rauszudrängen. Viele waren in der Hoffnung auf Arbeit aus dem Dorf Fantanele bei Bukarest nach Berlin gekommen.

Die neue Besitzerin wolle das Haus abreißen lassen und durch einen lukrativen Bürokomplex ersetzen, erklärt ein Gangway-Mitarbeiter im Film. Anfang 2022 waren die meisten Familien gezwungenermaßen ausgezogen, viele haben wohl mithilfe des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg neue Bleiben gefunden. „Sie leben jetzt in der ganzen Stadt verteilt“, erklärt Rönisch. Für den Film, der im vorigen Frühjahr/Sommer entstand, habe man die Jugendlichen noch einmal zusammengetrommelt.

Und so sieht man die 14-jährigen Jungen Samson und Elisei zusammen mit ihren Freun­d:in­nen vor ihrem alten Haus rumstehen, sie rappen ein bisschen, blödeln rum und erzählen. Sie zeigen dem Filmteam, dass man noch reinkommt ins verfallene Gebäude, wenn man sich nur traut – zum Zeitpunkt der Dreharbeiten lebten noch zwei Familien dort, inzwischen ist es komplett geräumt und verrammelt.

Der Film zeigt die Jugendlichen beim Bummeln durch die Stadt, auf einem Rummel, beim Fotoshooting in einem Studio. Dorthin hat sie das Filmteam eingeladen, „als Anreiz“, so Rönisch – und damit man einen ruhigen Ort für die Interviews hat.

Was dürfen Jungs und Mädchen?

In denen geht es viel ums Haus, Diskriminierungserfahrungen, alte Geschichten wie die Schüsse auf zwei der Kinder durch Nachbarn und den Medienrummel danach. Besonders spannend wird es, als das traditionelle Geschlechterverständnis zur Sprache kommt. Eine Off-Stimme fragt Elisei: „Was dürfen Jungs, was Mädchen nicht dürfen?“ Er fragt zurück: „Traditionell? Dass Jungs arbeiten, das Geld nach Hause bringen, und dass die Frau, die Mädchen auf Kinder aufpassen, das Essen machen.“

Estera, 19, findet das „schrecklich, katastrophal, dass man immer noch dieses altmodische Denken“ hat. Milena, eine erwachsene Rom­n*ja aus Serbien und Sozialarbeiterin, sagt: „Du musst heiraten, der Mann darf dich schlagen. Er geht fremd, das ist normal. Eine Frau muss zu Hause bleiben. Der Mann darf alles. Leider ist das so in unserer Kultur.“

Die positive Botschaft des Films: All dies muss man nicht klaglos hinnehmen. Die Jugendlichen, die zu Wort kommen, haben gelernt, sich zu wehren, gegen Antiziganismus ebenso wie gegen Frauenunterdrückung. Manchmal fängt die Emanzipation mit vermeintlich kleinen Dingen an. Etwa den „Mädchenfahrten“, die Lulu, Straßensozialarbeiterin von Gangway, organisiert hat – was anfangs nicht so einfach bei den Eltern durchzusetzen war, denn „rausgehen“ dürfen eigentlich nur die Jungs. Larissa war drei Mal mit, es war „cool“, sagt sie – ihrem Selbstbewusstsein hat es sichtlich gutgetan.

David ist schon länger aktiv beim Projekt „Wir sind hier“, erzählt er, ansonsten macht der 23-Jährige gerade eine Erzieher­ausbildung im letzten Lehrjahr. Inzwischen sei er stolz, ein Rom zu sein. „Wir sind hier und sie kriegen uns nicht weg. Weil wir sind Teil von dieser Gesellschaft“, ruft er auf einer Demo ins Mikrofon. Auch Estera sieht man auf einer Kundgebung als selbstbewusste Rednerin. Sie spricht von der Angst vieler Menschen ihrer Community, deren Vorfahren von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet wurden – und die bis heute „jeden Tag auf der Straße rassistisch beleidigt werden“.

Empowerment in der Community

Kämpferisch zeigt sich Estera auch innerhalb der Community. Die „traditionelle“ Frauenrolle hat sie abgelegt, das zeigt ein anderer Auftritt von ihr, auf einer Theaterbühne, wo sie den Sprechgesang eines Publikums dirigiert.

Im Umgang untereinander, sagt sie danach im Interview, könne jeder „sofort“ etwas verbessern: Seine Frau nicht schlagen, mit dem eigenen Kind mehr reden, ihm etwas beibringen, „was wichtig ist für das ganze Leben“. Mädchen und Frauen müssten empowert werden, findet sie, „aber vor allem auch Jungs. Die sind so unerfahren und haben gar kein Bock auf nichts, weil das so beigebracht wurde.“ Dabei könne es doch je­de*r so machen wie sie – und sich im Internet über Möglichkeiten, aktiv zu werden, informieren: „Wir leben 2022.“

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