piwik no script img

Sprühen an jede Wand

Nicht gegendarstellungsfähig (VIII): Eisenbergs juristische Betrachtungen. Heute: Die rot-grüne Gesetzeskunst

Das rot-grüne Projekt haucht sein Leben aus. Das Antidiskriminierungsgesetz scheitert. Die Unternehmensteuerreform scheitert. Nicht einmal einen Untersuchungsausschuss und eine Bundestagsperiode können die Rot-Grünen anständig beerdigen. Aber verschärfte Strafnormen gegen Graffiti-Sprayer, die bringen sie in den letzten Tagen der Koalition noch zusammen mit der CDU zustande: Zukünftig wird auch der Sprayer, der einen leicht zu entfernenden tag anbringt, mit der Keule des Kriminalstrafrechts verfolgt.

Also: Bislang war es strafbar, fremder Leute Wände zu beschmieren. Wenn allerdings das Beschmieren ohne Folgen blieb, das heißt ohne nachweisbare Substanzschädigung, z. B. weil es abwaschbar war, dann musste der Sprayer nicht ins Gefängnis. Das soll nun – so gaukelt die „Reform“ vor – anders werden. Auf die Frage, warum sich die Grünen nach lang anhaltendem Widerstand ihrer innen- und rechtspolitischen Fachleute für diesen Mist hergeben, erfährt man: Das ist eine Morgengabe an die SPD. Die Grünen wollen auf innenpolitischem Felde nicht als Querulanten erscheinen und mit Hilfe der Anti-Sprayer-Koalition „Schlimmeres“ an anderer Stelle verhindern, also bei „bedeutenderen“ innenpolitischen Gesetzgebungsvorhaben

Widerstandspotenzial erhalten. Die SPD ihrerseits zitiert einen Fall, in dem ein Sprayer freigesprochen wurde, und erwartet von der „Reform“ die Stärkung ihres innenpolitischen Profils und also Wählerstimmen.

Das ist ein typisches rot-grünes Placebo-Gesetz, wie wir so viele erlitten haben in den letzten Jahren: Es nutzt niemandem, es kostet (angeblich) nichts, es gaukelt Handlungsfähigkeit und Aktivität vor, und die Folgen tragen Jugendliche, die einem verständlichen Bedürfnis frönen, ihrer Umwelt den eigenen Stempel aufzudrücken. Dass Kriminalstrafrecht nur bei schwer wiegenden Regelverstößen eingreifen soll, dass es Ultima Ratio sein soll, wenn nichts anderes mehr hilft (z. B. ein Eimer Wasser und ein Schwamm), davon redet niemand, so wenig wie davon, dass diese Norm das Gegenteil der von allen politischen Parteien in Sonntagsreden geforderten „Deregulierung“ ist. Dass mit solch schwachsinnigen Gesetzen zudem Strafverfolgungsressourcen gebunden werden, letztlich also die Justiz belastet und zusätzliche gesellschaftliche Kosten generiert werden, diese Erkenntnis wird der Öffentlichkeit vorenthalten. Was sind das für Gesetzgeber!

JONY EISENBERG ist Strafverteidiger und Presseanwalt in Berlin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen