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Deutsche Handballer bei der WMRetter von der Bank

Der überraschend für die WM nominierte Torhüter Joel Birlehm glänzt beim Erfolg gegen Serbien. Das deutsche Team steht vorzeitig in der Hauptrunde.

Emotional: Joel Birlehm freut sich über seine Parade am meisten Foto: imago

Es ist keine allzu steile These, dass ein Handballteam nur mit einem starken Torwart funktioniert. Besser noch mit zweien. Dem ersten Spiel der deutschen Nationalmannschaft bei dieser Weltmeisterschaft in Polen und Schweden drückte Andreas Wolff seinen Stempel auf. Beim 31:27 gegen Katar wehrte er 17 Bälle ab, verletzte sich aber leicht an der Wade. Auch deswegen kam der zweite deutsche Keeper am Sonntagabend in der Spodek-Arena zum Einsatz – und wie.

Joel Birlehm, 25 Jahre alt, ersetzte Wolff nach rund 25 Minuten im Spiel gegen Serbien. Danach brachte er immer wieder Hände oder Füße an den Ball und half der ersten Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) entscheidend mit, die Serben 34:33 zu besiegen. Nun steht Deutschland mit vier Punkten in der Hauptrunde. Sie beginnt am Donnerstag ebenfalls in Katowice; die Deutschen treffen auf Norwegen, die Niederlande und Nordmazedonien oder Argentinien. Zuvor aber will die Sieben von Bundestrainer Alfred Gislason noch an diesem Dienstag Algerien bezwingen und verlustpunktfrei bleiben.

Ein Zwischenziel ist erreicht, und das deutsche Torwartgespann kann sich auf die Schulter klopfen. Danach war Birlehm am Sonntagabend aber zunächst gar nicht zumute. „Wie war das Endergebnis?“, fragte er in die Runde. Der 196 Zentimeter lange Torwart der Rhein-Neckar Löwen stand noch unter dem Einfluss der spannenden Partie, in der die Deutschen einen Fünf-Tore-Vorsprung aus der 42. Minute beinahe noch verschenkt hätten.

„Joel hat uns den Arsch gerettet“, sagte Spielmacher Juri Knorr, denn Birlehm hielt in den letzten zehn Minuten, als die Deutschen wackelten und kaum eine brauchbare Abwehr hinstellten, drei, vier Würfe, darunter einen Siebenmeter.

Erleichterung im Team

Zu erwarten war diese Leistung schon – und auch wieder nicht. Schon, weil Birlehm bei den Löwen eine starke Hinrunde gespielt hat. Nicht, weil er in den Tests mit dem DHB gegen Island vor der WM kaum etwas angefasst hatte. Auch deswegen sprang die gesamte Bankbesatzung auf, als er Ende der ersten Halbzeit den ersten Ball abwehrte: Sie war erleichtert.

Es ist viel die Rede vom guten Teamgeist, und in solchen Momenten sieht man, dass das mehr als eine Phrase ist. „Ich bin stolz, ein Teil dieser Mannschaft zu sein“, sagte Kapitän Johannes Golla selbstlos. Er trägt sie mit seiner Abwehrarbeit, während sie sich vorn auf Knorrs Ideen und die Treffsicherheit von Lukas Mertens verlassen kann – dem Magdeburger gelangen am Sonntag sieben Tore aus sieben Versuchen. Er verkörperte gleich in mehreren Aktionen die Entschlossenheit dieser Gruppe.

Auch andere von hinteren Kaderplätzen versahen ihren Dienst gegen Serbien wenigstens zufriedenstellend; Paul Drux und Simon Ernst in ihren Sekunden-Einsätzen, erst recht Christoph Steinert, der charakterlich und sportlich ein Gewinn ist. Julian Köster und Philipp Weber teilten sich den anstrengenden Job im halblinken Rückraum. Auf der anderen Seite ist der Linkshänder Kai Häfner mit seiner Erfahrung vieler Turniere ruhender Pol.

Und diesmal war es eben nicht Keeper Wolff, der im Mittelpunkt stand, sondern Joel Birlehm. Ein schlauer Typ sei das, erzählte Teamkollege Patrick Groetzki am Montag, Birlehm sei der Finanzminister im Team, der sich mit Aktienkursen und Geldanlage beschäftige. Belesen, klug, vielseitig interessiert sei er, trug Steinert zur Birlehm-Charakterisierung bei. Und redselig.

Auf dem Platz kennt man Birlehm aus der Handball-Bundesliga als impulsiven, wilden Torwart, der seinen Gefühlen gern freien Lauf lässt: „Ich erschrecke mich manchmal, wenn ich das sehe“, sagt er, „aber ich mache das schon seit der C-Jugend.“ Höflich ist er dabei aber auch, zumindest wenn das Spiel vorbei ist. Artig bedankte sich Birlehm beim Gespannkollegen Wolff und erklärte: „Wir reden viel, auch im Spiel, das hilft mir sehr.“

Eigentlich hatte Bundestrainer Gislason ja wie vor einem Jahr in Bratislava den Wetzlarer Till Klimpke mitnehmen wollen. Doch dessen Leistungen schwankten, während Birlehm die Löwen stützte. So entschied sich Gislason für den Herforder, der selbst „überrascht“ war, nominiert worden zu sein. Seinen Platz im Team hat Joel Birlehm spätestens mit dem Spiel gegen Serbien gefunden.

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