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Buch zur Geschichte des DubDub-Musik ist Tonhandwerk

Klangsprachen am Mischpult: Helmut Philipps hat mit dem Buch „Dub Konferenz“ ein unverzichtbares Kompendium der jamaikanischen Musikkultur verfasst.

Lee „Scratch“ Perry, Reggae-Godfather und „Salvador Dalì“ des Dub, bei einem Konzert in München Foto: Bernd Müller/imago

In einer anderen Welt hieße die Millionen-Frage bei Günther Jauch: Wer dieser vier Toningenieure hat nicht in King Tubbys Aufnahmestudio die hohe Kunst am Mischpult gelernt? A) King Jammy B) Pat Kelly C) Errol Johnson D) Scientist.

Genau, die Antwort lautet Errol Johnson, den gab es nämlich gar nicht in dieser Funktion. Dafür gibt es aber zwei andere Errols, die an der Entwicklung der jamaikanischen Dub-Ästhetik maßgeblich beteiligt waren: Errol Thompson und Erroll Brown.

Der erste zählte zu den Pionieren des Dub, der schon ein, zwei Jahre vor King Tubby Ende der 1960er Jahre eine eigene Klangsprache am Mischpult entwickelt hat – und etwa mit dem Produzenten Joe Gibbs Mitte der 1970er Jahre auf ­zahlreichen Single-B-Seiten (daher stammte ursprünglich auf Jamaika die Dubversion auf Tonträgern) und Dub-Alben (etwa die African Dub-Reihe) für den globalen Markt verbreitet hat.

Wo immer wir heute in der Tiefton- und Echokultur namens Dub eingestreute Umwelt-, Natur- oder Klospülungsgeräusche hören – Errol Thompson ist der Name ihres Erfinders. Der andere Errol mit Nachnamen Brown hat eine weniger auffällige, aber nicht minder effektive Klangsprache entwickelt, die vor allen bei seinen Remixen von Rock-Steady-Material aus den späten 1960er Jahren Glanz entfachte.

Das Buch

Helmut Philipps: „Dub Konferenz. 50 Jahre Dub aus Jamaika“. Strzelecki Books, Köln 2022, 320 Seiten, 24,80 Euro

Zehn Jahre Interviewarbeit

Über zehn Jahre hat der Dortmunder Autor Helmut Philipps mit Produzenten, Musikern und noch lebenden Dub-Tonin­ge­nieu­ren Interviews geführt und diese als Basismaterial für „Dub Konferenz. 50 Jahre Dub aus Jamaika“ verwendet. Die Arbeit hat sich gelohnt. Es ist tatsächlich ein unverzichtbares Nachschlagewerk des Dub geworden und überhaupt erst das dritte seriöse Werk zum Thema, nach Michael E. Veals „Dub“ (2007) und Christopher Partridges „Dub in Babylon“ (2010).

Es gibt inzwischen eine umfangreiche multimediale Dub-Publizistik in Zeitschriften, Blogs, Podcasts und Dokumentarfilmen, die zur Verbreitung einstigen Geheimwissens über Dub beiträgt. Insofern sind einige der hier mit einzelnen Kapiteln bedachten Toningenieure wie Sylvan Morris, Barnabas, Soljie Hamilton und Groucho Smykle keine unbekannten Namen mehr. Dass ihre Arbeit und Dub-Philosophie aber ausführlich über mehrere Seiten bei Philipps dargestellt wird, ist schon eine Besonderheit.

Selbstverständlich kommen auch die Big Five (King Tubby, Scientist, Errol Thompson, King Jammy, Errol Brown) nicht zu kurz. Darüber hinaus liefert der Dortmunder Autor sorgfältig recherchiertes Detailwissen zu Hunderten von Dub-Alben, aber auch zu Tonstudios und ihren Mischpulten.

Er erklärt auf verständliche Weise, wie King Tubby mit dem legendären High-Pass-Filter an seinem kleinen Mischpult eine so immense Wirkung entfachen konnte, und berichtet, welch wichtige Rolle der australische Toningenieur Grame Goodall in der Frühphase der jamaikanischen Musikproduktion spielte.

Lee „Scratch“ Perry als Höhepunkt

Moment mal, was ist eigentlich mit Lee Perry? Philipps Kapitel über den „Upsetter“ kommt im Buch als drittletztes Kapitel und ist sein Höhepunkt. Perrys umfangreiches Œuvre als Produzent und Künstler wird hier angemessen gewürdigt, seine Rolle als Toningenieur allerdings geschmälert. Wie Philipps anhand vieler Details belegt, hat Lee „Scratch“ Perry als Dub-Engineer nahezu ausschließlich in seinem legendären Black Ark Studio in Kingston von 1974 bis 1979 gewirkt. Davor war er Produzent und Künstler, danach nur noch Künstler, das heißt Sprechsänger.

Seit 1980 haben also immer andere in Lee Perrys Namen einen Dubsound oder einzelne Dub-Versions am Mischpult kreiert. Es wäre an der Zeit, die weit verbreitete These von Lee Perry als Erfinder von Dub nun endlich ad acta zu legen. Entmythologisierung ist dem Autor ein dringliches Anliegen und so setzt sich seine „Dub Konferenz“ deutlich von etablierten Interpretationen des Genres ab:

Es geht hier weder um Dub als ozeanische Erlebniswelt, wie Mitte der 90er Jahre bei David Toop, oder um eine afrofuturistische Verklärung von Dub als black secret technology, noch um die musikwissenschaftliche Analyse diverser Dub-Klangsprachen, wie sie bei Michael E. Veals Grundlagenwerk „Dub“ im Mittelpunkt stehen.

Zentral ist bei Philipps stattdessen ein materialistisch orientiertes Verständnis der teils sehr unterschiedlichen Dubstile verschiedener Toningenieure: Der von ihnen jeweils entfachte Zauber der Kreationen hing immer auch vom musikalischen Material, der zur Verfügung stehenden Technologie und sonstiger Produktionsbedingungen ab. Und ein wichtiger Aspekt, der bei Michael E. Veal schon vorkam, wird bei Philipps noch verstärkt: Ohne Sound-System-Betreiber, die die Toningenieure erst zum Mischen außergewöhnlicher Remixe anspornten, hätte es Dub auf Tonträgern wahrscheinlich nie gegeben.

Nicht zuletzt hilft Philipps’ enge, aber richtige Definition Fans und Interessierten bei der Umschiffung schwarzer Löcher im Dub-Universum: „Dub steht immer in Relation zu etwas, das bereits existiert. Dub ohne vorgeschaltetes Original ist Instrumentalmusik.“

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