: Berlin, du bist so wunderbar!
TAGWERK Am Samstag zeigen RBB und Arte die ganze Hauptstadt in „24h Berlin“ (ab 6.00 Uhr)
Berlin, du bist keine Schönheit. Und selbst dein Fußballklub spielt in denselben Farben wie der VFL Bochum, auch bei der Zahl der Hartz-IV-Empfänger nimmst du es locker mit dem Ruhrgebiet auf. Unsere einst so stolzen Brauereien gehören eh alle längst zur Radeberger-Gruppe. Aber hier ist dann Schluss mit den Gemeinsamkeiten.
Von wegen Grubengold und so. So wichtig, dass ausgerechnet ein Sender, der selbst fast pleite ist, siebenhundertfünfzig Stunden Programm über uns drehen und davon dann auch noch volle vierundzwanzig senden muss, nehmen wir uns nicht.
Dabei wohnte bei uns nebenan schon der Neandertaler, als in der Berliner Ecke die Sümpfe noch nicht mal ansatzweise trocken waren. Im Gegensatz zu Berlin gibt’s hier sogar noch echte Industrie, echte Lokalzeitungen und keine „Sonderfahrpläne“ bei der S-Bahn. Und die bessere Currywurst sowieso.
„Multikulti“ muss man im WDR-Sendegebiet auch nicht erst suchen: Es heißt hier zwar etwas betulicher „Funkhaus Europa“, wird dafür aber seit letztem Jahr sogar nach Berlin exportiert.
Und von wegen „Be cool – be Berlin“: Die Loveparade absagen können wir auch. Obwohl – ein bisschen eifersüchtig macht uns „24h Berlin“ schon. Wir haben nämlich keine ARD-Anstalt, die so cool ist. Dabei gibt das Ruhrgebiet mehr her als 24 Stunden Berlin. Sogar mehr als 48 Stunden Neukölln. Echt! Vor Arbeit und Neid ganz grau: STEFFEN GRIMBERG
Die Promidichte ist höher (flanieren Sie mal auf Sylt, da begegnet Ihnen so mancher mit Schampus-Glas in der Hand oder Faust im Gesicht der Exfrau). Es ist mehr als doppelt so groß, bietet genug Handtuchfläche an sauberem Wasser für jeden und hat auch keinen Bedarf an einer Freundlichkeitskampagne à la „be Husum“ (Wer nicht spricht, kann nicht beleidigen). Warum trotz alledem in Berlin fast dreieinhalb Millionen Meschen leben und in Nordfriesland keine 170.000, bleibt selbst der modernen Forschung ein Rätsel.
Zugegeben, man kommt nicht so richtig hin zum nördlichsten Zipfel Deutschlands – es fehlen Autobahn und ICE. Aber wir haben die B 5, in vielen Dörfern die einzige befestigte Straße, deren Verlängerung die Berliner „Unter den Linden“ nennen. Wer der gen Westen folgt, kommt aufm Deich raus – inklusive Ausblick, der für 24 Jahre Film reicht.
In Berlin wurde Knut geboren und zum Star. Nichts als eine billige Kopie dessen, was die dänische Minderheit in Nordfriesland schon vor über hundert Jahren auf vier kurze Beine stellte: Die machten schon damals ein Tier zum Allerheiligsten: das Husumer Protestschwein. Das sieht aus wie die dänische Flagge, der Danebrog, und durfte – anders als der Danebrog – in der Öffentlichkeit gezeigt werden.
Das Einzige, was uns fehlt, ist eine ARD-Anstalt, die das Ganze 24 Stunden festhält. Oder besser: 48 Stunden – damit jeder mal zu Wort kommt. Jürn Kruse
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