UN-Artenschutzkonferenz in Montreal: Vielfalt zum Überleben

Lebensräume und Arten retten – darum geht es bei der UN-Biodiversitätskonferenz in Montreal. Wie weitreichend wird das Abkommen ausfallen?

Drei Frauen protestieren

Protest während der Eröffnungszeremonie der UN-Biodiversitätskonferenz in Kanada Foto: Paul Chiasson/The Canadian Press/ap

BERLIN taz | Drinnen geht’s um die Natur, draußen nicht. Das ist das Problem von Naturschutzgebieten. Das ist aber auch das Problem der UN-Naturschutzkonferenz in Montreal und ihren über 10.000 Teilnehmer:innen.

Was hat die Szene, die sich professionell mit der „Konvention über Biologische Vielfalt“ befasst, in den vergangenen Monaten nicht unternommen, um das Publikum für ihr Thema zu interessieren. Unzählige Pressebriefings, Diskussionsrunden und Blogs, mit nahbaren Koryphäen ihrer Zünfte, Ex­per­t:in­nen für Schmetterlinge und Vögel, für Amphibien und Pilze, für Bodenorganismen und Biotechnologie; Politolog:innen, Soziolog:innen, Jurist:innen, die sich mit der Frage befassen: Wie können wir die Menschheit dabei stoppen, ihre eigenen Lebensräume zu vernichten?

Immer wieder haben all diese Ex­per­t:in­nen versucht, den großen Bogen zu spannen. Sie erzählten vom größten Artensterben seit rund zehn Millionen Jahren. Sie boten Studien auf, nach denen die Anzahl von Vogelarten, mit denen Menschen ihren Lebensraum teilen, auf ihr Wohlbefinden einen ebenso großen Einfluss hat wie materieller Wohlstand.

Sie berichteten von Böden, die ihre Fruchtbarkeit einbüßten, von Wäldern, die ihre Funktion als Wasserspeicher und Senke für Treibhausgase nicht mehr wahrnehmen könnten, wenn sie ihre Vielfalt verlören.

Und sie gingen ins Detail: Wie müssten die Rechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften in einem neuen Abkommen formuliert sein, damit sie auch juristisch durchsetzbar wären? Wie wäre ein internationaler Fonds fair zu stricken und auszustatten, der die Bevölkerungen des besonders artenreichen Globalen Südens dafür entschädigt, dass sie Öl im Boden und Holz im Wald lassen? In diese Aufzählung hätten noch „Fische im Meer“ gepasst, aber die werden durch die großen Fischflotten Europas, Chinas und Russlands geplündert.

Ist die Dramatik allen bewusst?

Und jetzt, wo die Verhandlungen um ein neues Abkommen für die Konvention über die Biologische Vielfalt (CBD) in Montreal in die heiße Phase gehen; wo die Mi­nis­te­r:in­nen der 196 Mitgliedstaaten noch bis zum 19. Dezember einen gemeinsamen Vertragstext zustande bekommen müssen – wo ist das Thema „Verlust der Biodiversität“ jetzt geblieben?

Ist es in seiner Dramatik in unsere Gespräche eingezogen, so wie der Klimawandel? Nicht wirklich. Viele Radiosender und Zeitungen berichten mehr oder weniger über den Gipfel in Montreal. Sie berichten über Tiere und Pflanzen, die vom Aussterben bedroht sind.

Das weckt Mitgefühl, aber keinen Zorn und keine Bereitschaft zum Wandel. Es weckt nicht den Willen des globalen Publikums, dass ihre Regierungen gefälligst etwas gegen diese schleichende Katastrophe unternehmen möchten. Doch Delegationen, denen aus der Heimat kein starker Rückenwind für den Schutz der Biodiversität um den Nacken weht – die verhandeln so, wie sie in Montreal bislang eben verhandelt haben.

„Manchmal hab ich das Gefühl, B steht nicht für Biodiversity, sondern für Business“, sagt Julius Pahl, Biologiestudent aus Göttingen und als Teil der Jugenddelegation „Voice for Biodiv“ der Naturschutzjugend Beobachter in Montreal. Es werde auch der Schutz der natürlichen Ressourcen hinter ökonomische Interessen gestellt.

Die Mi­nis­te­r:in­nen verhandeln

Er hofft auf die Ministerriege, die seit Freitag die Zügel von den Fachleuten übernommen hat. Es sei „wie vermutet schwierig“, berichtet Amber Scholz von der Deutschen Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen in Braunschweig. Sie verfolgt die Verhandlungen über neue Regeln für die Nutzung digitaler genetischer Ressourcen – auf den Fluren. Aus den Verhandlungssälen wurden die Be­ob­ach­te­r:in­nen ausgeschlossen.

„Jetzt müssen wir darauf vertrauen, dass die Po­li­ti­ke­r:in­nen unseren wissenschaftlichen Input gehört haben und eine Entscheidung treffen, die den öffentlichen Zugang und die wissenschaftliche Nutzung der Daten auch weiter ermöglicht“, formuliert sie. Das klingt nach einem diplomatisch verpackten Stoßseufzer.

Die Verhandlungen seien „ein langwieriger Prozess“, berichtet eine Studentin, die als Jugenddelegierte aus Österreich nach Montreal gereist ist. „Es wird über einzelne Worte sehr lange diskutiert.“ Das sei wichtig, denn „einzelne Worte können einen Unterschied machen“. Bei dem Gipfel in Montreal gebe es eine so große Jugenddelegation wie nie zuvor bei einer UN-Biodiversitätskonferenz. „Wir machen Vorschläge, netzwerken, nehmen Kontakt mit nationalen Delegationen auf.“

Andere Beobachter vergleichen den Gipfel in Montreal mit vorangegangenen Klimaverhandlungen der UN – und zwar nicht mit der erfolgreichen Konferenz von Paris, sondern mit der im polnischen Katowice, die allgemein als gescheitert gilt. In der Folge sei Fridays for Future entstanden. Solch einen Moment erhoffen sie sich für den Erhalt der Biodiversität.

Kritik am Globalen Norden

Chifundo Dalireni von der Wildnis- und Umweltgesellschaft Malawi, Teil der Verhandlungsdelegation seines Landes, bemerkt, ein starkes Naturabkommen werde es eben nicht geben, solange der Zugang zu finanziellen Mitteln nicht vereinfacht werde. Und da hätten sich die Länder des Globalen Nordens bislang zu wenig bewegt. Darum hat er, zusammen mit allen anderen afrikanischen Delegationen und Brasilien, zwischendurch die Verhandlungen verlassen.

Aber sie sind zurückgekehrt. Und so lautet es auch andererseits aus Verhandlungskreisen: Unter dem Radar der Öffentlichkeit sei man schon gut fortgeschritten. Ein starkes Abkommen sei noch möglich.

Am Dienstag werden wir wissen, ob die Natur und der Verlust ihrer Vielfalt dringeblieben ist, in Hinterzimmerverhandlungen und Expertenrunden. Oder ob sie es rausgeschafft hat – in Form starker Verträge, die das Wirtschaften und Konsumieren in den Mitgliedsländern der CBD ändern würden.

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