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Abstimmung in Bundestag und BundesratFreie Bahn fürs Bürgergeld

Das Bürgergeld kommt zum 1. Januar 2023. Bundestag und Bundesrat stimmten dem im Vermittlungsausschuss vereinbarten Kompromiss zu.

Endlich geschafft: Grünes Licht fürs Bürgergeld Foto: dpa

Berlin epd/rtr | Das neue Bürgergeld kann zum Jahresanfang das bisherige Arbeitslosengeld II ablösen. Nach dem Bundestag stimmte am Freitag auch der Bundesrat der Sozialreform zu, die über fünf Millionen Menschen in der bisherigen Hartz-IV-Grundsicherung direkt betrifft. In der Länderkammer stimmten auch Länder mit Unions-Regierungsbeteiligung für das Reformvorhaben, das die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP auf den Weg gebracht hatte.

Damit ist auch der Weg frei für höhere Zahlungen an die Bedürftigen ab Januar 2023. Ein alleinstehender Erwachsener bekommt dann monatlich 502 Euro und damit 53 Euro mehr als bisher. Auch Paare und Kinder erhalten mehr Geld.

Am Mittwochabend war im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat ein Kompromiss erzielt worden, nachdem die Länder mit Regierungsbeteiligung der Union dem Gesetz im Bundesrat ihre Zustimmung verweigert hatten. Vor der abschließenden Abstimmung im Bundestag bekräftigten die Verhandlerinnen und Verhandler aus der Koalition und der Union, es sei ein guter Kompromiss gefunden worden, und warben um Zustimmung. Die Linke und die AfD lehnten das Gesetz aus gegensätzlichen Gründen ab.

Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast, sprach von der größten Sozialreform seit Jahrzehnten: „Hartz IV ist damit Geschichte.“ Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU), betonte, die Union habe im Vermittlungsverfahren erreicht, dass am Grundprinzip des Forderns und Förderns festgehalten werde. Sein Kollege von der FDP, Johannes Vogel, erklärte, es sei gelungen „ein gutes Gesetz noch besser zu machen“.

Linke und AfD lehnten Kompromiss ab

Die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Gesine Lötzsch, begründete die Ablehnung ihrer Fraktion damit, dass die Regelsatzerhöhung zu gering sei und das Hartz-IV-System im Kern erhalten bleibe. Der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Götz Frömming, warf Union und Ampel-Parteien „Gekungel“ im Vermittlungsausschuss vor.

Die Jobcenter sollen künftig mehr Zeit in die Betreuung der Arbeitslosen und weniger in Formalitäten investieren. Im Zentrum stehen Weiterbildung und das Nachholen von Berufsabschlüssen. Die Zuverdienstmöglichkeiten werden verbessert. Die Union setzte durch, dass die Vermittler weiterhin von Anfang an Sanktionen verhängen können. Sie erreichte außerdem strengere Regeln für die Schonung von Ersparnissen und der aktuellen Wohnung.

Der Deutsche Städtetag mahnte angesichts zusätzlicher Belastungen wegen des Bürgergeldes und des Wohngeldes sowie weiterer Geflüchteter eine bessere finanzielle Unterstützung für die Jobcenter an. „Die Jobcenter können diese Herkulesaufgabe stemmen“, sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy dem RedaktionsNetzwerk Deutschland: „Sie brauchen aber umfassende finanzielle Ressourcen für mehr Personal und die Verfahren.“ Wenn der Bund zum Jahreswechsel die Rahmenbedingungen ändere, müsse er diese auch finanziell flankieren.

Dedy rechnet wegen einer Zunahme ukrainischer Geflüchteter und der Wohngeld-Reform mit einem größeren Arbeitspensum. „Die Jobcenter stehen vor einem großen Kraftakt“, sagte er. Zwar führten höhere Regelsätze nicht zu deutlich mehr Anträgen. Die Jobcenter erwarteten allerdings mehr Leistungsberechtigte durch weitere Geflüchtete aus der Ukraine, betonte der Hauptgeschäftsführer.

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7 Kommentare

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  • Man muss es drastischer sehen: die SPD ist mit ihrem Vorhaben krachend an der CDU gescheitert.

    Mehr noch, sie hat es versäumt, endlich mal das unsägliche Framing der CSU Arbeitsloser = Fauler Sack zu kontern. Mal wieder.

  • Ich glaube nicht, dass dies der große Wurf ist.

    Der Punkt ist, dass es einen Bedarf bei armen und arbeitslosen od. arbeitunfähigen Menschen gibt. Dieser Bedarf ist bei dem System Hartz-IV (SGB II) nicht vollständig gesichert. Bedürftige leihen Geld, gehen zu Tafeln, arbeiten Schwarz, versuchen die Bedarfsgemeinschaft zu verändern, Väter verabschieden sich, melden sich bei Freunden an. etc. Das sind alles Dinge, die daraus entstehen, dass die BezieherInnen mit den Sätzen nicht auskommen.



    Und daran ändert sich jetzt nur graduell etwas.

    Dazu kommt noch, dass die Vermittler mit Sanktionen drohen können, bzw. die Idee, dass sich Menschen in diesem System zum Verlassen des Systems durch Drohungen und Kürzungen bewegen lassen, durchzieht diese Idee, die hinter diesem System steht - seit 2005. In der Realität funktioniert es nicht.

    Die CDU/CSU hat jetzt durchgesetzt, dass dieser Kern des Systems bestehen bleibt. Und es ist interessant, viele Vermittler freuen sich darüber, weil sie das für eine kompetente Vermittlungsarbeit halten. Oder anders: Es ist dann ein Vermittlungsangebot, wenn der Vermittler eine Kopie von Zeitfirmen im Umkreis von 10 Kilometern ausgeben darf. Er macht dann in der Software ein Häckchen.

    Dann verliert jemand seine Arbeit und findet nicht so schnell eine neue, aber er hat ein eigenes Haus und besitzt vielleicht noch ein teueres Auto. Solche Menschen melden sich momentan nicht, weil sie das nämlich erstmal loswerden müssten, bevor sie ALG II (Hartz IV) beziehen können. Auch hier hat die CDU/CSU den rabiaten Kern des Systems erhalten:

    Ich frage mich, warum die Regierung an so einem System überhaupt festhält. Es schafft Ärger und Konflikte. Es ist eine Art staatlich verordneter Armut. Die Idee der Vermittlung hier ist lachhaft, viele Vermittler sind ehemalige Post-Angestellte oder Zeitsoldaten, viele von ihnen besitzen gar nicht eine echte Qualifikation für diese Arbeit, sie tricksen gerade beid er Vermittlung oft.

  • 6G
    654238 (Profil gelöscht)

    Frage: Wenn ich in Hartz4 einen Minijob habe, die Kosten stiegen seit 2020 mit Corona, warum bleibt dann die Zuverdienstgrenze mit Bürgergeld/Diät 100€ Werbekosten im Monat gleich? Die Aufwände für den Minjob stiegen doch seit 2020 auch oder? Die angewendete Km/Pauschale beträgt auch nur 0,20€ pro km obwohl z.B. in den Bundesländer also Regional längst andere km/Pauschalen gelten sind. Frage: Wenn jetzt Wohngeld steigt. Wieviel Personale mehr werden gebraucht? Was kostet diese? Neulich bei einem öffentlich rechtlichen Sender: Wohngeldstelle, Mitarbeiterin so wir brauchen 4-5h pro Fall um ihn fertig zu stellen. Rechnung Grundschule: Wenn jetzt von 600.000 auf 2.400.000 Wohngeldfälle steigt. Wieviel Personale werden erforderlich? Kosten?



    Tip: Wenn Bürgergeld 685€ Monat 2022 wäre, Kindergeld 700€ Monat, Grundrente 1500€ Monat und Mindestlohn 15,75€ wäre all dies nicht erforderlich. Und schon mit dem Verwalten von Armut ist es kein Systemwandel, Systemwechsel noch wird es von Erfolgen begleitet werden. Aktuell liegt die Erfolgsquote der Agentur i.a. JC ff. bei 0,6 bis 2,2% Vermittelungsquote mittel und langfristig als über 3 bis 10 Jahre in den Arbeitsmarkt. Tscha DE.

  • Aus Raider (Hartz IV) wurde Twix (Bürgergeld), geändert hat sich aber nix.

    Soziale Politik und ein BGE muss endlich her, dann könnte man in Deutschland - in Anbetracht von 10 Millionen Niedriglohnempfängern, mehr als 5 Millionen Hartz IV Empfängern, arme Rentner und steigende Kinderarmut - auch mal wieder von 'Menschenwürde' (Art. 1 GG) reden. Ein BGE würde den Bürgern endlich die Angst nehmen, vor Hunger, vor Obdachlosigkeit und der Bevormundung der BA-Jobcenter. Aber das ist wohl nicht im Sinne der 'Oberen Zehntausend', die weiterhin "Lohnsklaven" vom Jobcenter gestellt bekommen möchten, damit ihr klimaschädliches "Monopolyspiel" weitergehen kann. Gefördert wurde mit Hartz IV nur die prekäre Beschäftigung samt Leiharbeit und Werksverträgen. Gefördert wurden Hungerlöhne und Armut. Bei uns werden seit der Arbeitsmarktreform arme Menschen von einer "Behörde" wie Kinder bevormundet und ihnen wurde trotz Art. 1 GG und Art. 20 Abs. 1 GG das ohnehin schon lächerliche Existenzminimum oftmals auch noch zusammengestrichen. Hartz IV geht also weiter, nur mit einem etwas freundlicheren Namen.

  • 4G
    49732 (Profil gelöscht)

    "Ein alleinstehender Erwachsener bekommt dann monatlich 502 Euro und damit 53 Euro mehr als bisher. "

    Miete, Heizkosten, Krankenkasse? Mann sollte doch en ganzen Betrag nennen. Die 502 Euro sind zur freien Verfügung.

    • @49732 (Profil gelöscht):

      Versuchen Sie damit bei einer Inflation im Lebensmittelbereich von 20% zurecht zu kommen!!

    • @49732 (Profil gelöscht):

      "Miete"

      Wenn sie eine Wohnung haben, vor allem eine für "alleinstehende Erwachsene" angemessene. Die hatten sie dann aber schon vorher, und müssen sie auf Gedeih und Verderb halten, weil solche finden/kriegen in Deutschland auch Menschen mit ganz anderen Referenzen nicht mehr.

      "Heizkosten"

      Siehe oben. Wär auch komisch, für die Miete einzuspringen, für Betriebskosten aber nicht. Wenn die Leute erst auf der Straße stehen, ist es u.U. schnell Minusgeschäft, denn Einrichtung wird in Grenzen ja auch bewilligt, dazu kommen ggf. noch Mitschulden, für die der Staat mit einem Darlehen einspringen darf. Und sonst kommt's auf die Heizung an, in "Einrichtungen" ist normal nichts mit mal eben aufdrehen. Da kann noch gezündelt werden und das ist so schon mal nicht vorgesehen.

      "Krankenkasse"

      Die ist in Deutschland gesetzlich vorgeschrieben. Der ganze Betrag variiert, wie du selbst erfasst hast, demnach kann man ihn auch nicht nennen. Ganz frei verprassen könnten Bezieher im Prinzip auch die Miete, jedenfalls für ne Weile Spaß. Hast du dein Geld nicht zur freien Verfügung? Oder unterstellst du Menschen immer pauschal offenbar nie selbst in dieses System eingezahlt zu haben? Ein Sozialstaat, auf den man Not gar nicht zurückgreifen soll, der macht ja so richtig Sinn. Falls es Neid sein soll, die Adresse des zuständigen Jobcenters musst du schon selber finden, ein bisschen Mitwirkungspflicht darf doch sein.