Schluss mit der ironischen Distanz: Endlich bessere Fehler machen
Dem Patriarchat müssen jetzt andere die Leviten lesen: Ich bin oft genug über die Schmerzgrenze gegangen und will nicht mehr.
A ls ich diese Kolumne vor einem Jahr begonnen habe, hatte ich nur eine vage Idee, worum es darin gehen würde – außer um mich, denn alle Kolumnen kreisen um die Person des Autors (seltener der Autorin), der sich selbst so wichtig nimmt, dass er anderen seine Gedanken zumutet.
Ich unterstelle mir ein zusätzliches altruistisches Moment. „Du bist nicht allein“, wollte ich allen sagen, die wie ich mit diesem weiblich gelesenen Körper gesegnet sind und sich manchmal darüber wundern, welche Erfahrungen sie mit diesem machen. Dabei bin ich an meine Schmerzgrenze gegangen oder ein kleines Stück darüber, habe häufig etwas mehr von mir preisgegeben, als mir lieb ist.
Das hatte ich in den ersten 20 Jahren meines Berufs tunlichst vermieden. So wie die meisten deutschen Journalist:innen fürchtete ich das „Ich“ in meinen Texten wie die FDP die Frauenquote. Nur nicht verraten, dass es einen Menschen hinter diesen Artikeln gibt! Mit Gefühlen, Sehnsüchten und einer Biografie sowie mit gelegentlichen Zweifeln daran, wirklich so gut Bescheid zu wissen, wie es den Anschein erweckt, wenn man die Zeitung mit seinen Sätzen vollschreibt – und in meinem Fall mit einer spät eingestandenen Leidenschaft für die norwegische Popband A-ha.
Vielleicht sind Kolumnen für Journalist:innen ein Ventil, all das aufgestaute „Ich“ los zu werden, endlich auch mal über sich zu sprechen, während unser Beruf zu großen Teilen darin besteht, anderen zuzuhören. Auch dann noch, wenn sie groben Unfug von sich geben oder Belangloses, wobei belangloser Unfug ganz unterhaltsam sein kann, wie zumindest früher Interviews mit Fußballern bewiesen haben, als diese noch ohne Kommunikationscoach vor’s Mikro durften.
Das Allerschönste am Kolumnenschreiben ist aber, dass Ironie nicht verboten ist – wie in allen anderen journalistischen Textformen –, sondern erwünscht. Welch geniale Möglichkeit, sich vom Gesagten gleich wieder zu distanzieren! Nichts schließt eine offene Flanke so gut wie ein humoreskes „als ob (ich das hier ernst meine)“.
Ich mag nicht mehr scharfzüngig sein
Und mal ganz ehrlich: Auch mit meiner Friseurin spreche ich wie mit so vielen Menschen oft in einem „als ob“-Tonfall, deshalb lag es auch nahe, diese Kolumne an meine Friseurbesuche anzulehnen. Damit ist jetzt Schluss. Ich mag nicht mehr scharfzüngig sein, mich wie Waldorf und Stadler aus ihrer Loge in der Muppet Show lehnen und über mich und andere lustig machen. Das ist eine gute Nachricht für das Patriarchat und seine Jünger, denen jetzt andere die Leviten lesen müssen. Bei der Gelegenheit: Dringender Appell an Margarete Stokowskis Immunsystem, es möge sich endlich mal wieder einkriegen und sie von Post-Covid genesen lassen, ihre Kolumne fehlt der Welt nun wirklich.
Natürlich ginge es auch anders, ohne Ironie, so ganz wahrhaftig, aber Medien scheinen mir nicht der richtige Ort dafür. Ich bin mir dieser Tage nicht sicher, ob es überhaupt einen Ort dafür gibt, ob nicht unsere Panzer und Rüstungen das letzte sind, was uns zusammenhält; in unserem Inneren aber auch als Gesellschaft. Würden wir überhaupt noch weitermachen können, wenn wir zugeben, dass vieles einfach nicht gut ist, es noch nie war?
Aber weil der Frühling doch immer schneller kommt, als ich mir im Dezember vorstellen kann und dermaßen trübsinnig keine Kolumne enden darf, zitiere ich nicht wie geplant aus dem feministischen utopisch/dystopischen Roman „Woman at the Edge of Time“ von Marge Piercy aus dem Jahr 1976. (Der mich mit Mitte 20 verstörte, weil er als Lösung des Patriarchat-Problems vorschlug, Föten in Behältern statt Gebärmüttern zu züchten.) Sondern: Aus einem neuen A-ha Song, der sich angreifbar macht, weil er ganz ernsthaft Hoffnung verbreiten will. „Don’t be afraid to fall or fail, learn to make better mistakes.“ Ich werde bessere Fehler machen. Und wie.
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