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Festival für kosmische KlängeDie Zukunft trägt gern Weiß

Beim „Cosmic Awakening“ im Haus der Kulturen der Welt scheute man keine Visionen. Als Festival der utopischen Klänge hörte man sich in der Zukunft um.

Auf einem eigenen musikalischen Planeten unterwegs: Kuunatic Foto: Promo

N atürlich gilt, dass die Zukunft einen sowieso irgendwann einholen wird. Aber eine Frage ist es doch wert, in welchem Gewand man ihr die Aufwartung machen will?

In diesem Zusammenhang waren in den vergangenen Tagen im Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) immer wieder Menschen mit Schärpen oder Glitzerhüten zu sehen, mit denen sie sich schnell eine Weltraumoptik verpassten. Wie für einen Kindergeburtstag. Also herzlich alberne Kostüme – und irgendwie schon wieder mächtig Pop, mit der Lust an Verkleidungsspielen, der schnell hingeworfenen Behauptung und dem tongue in cheek, mit dem im Pop gern noch die gewichtigsten Fragen wie die nach der Zukunft verhandelt werden.

Kuunatic auf Tour

Im Rahmen seiner Europatournee kommt das japanische Trio Kuunatic nach Stationen in Frankreich und der Schweiz (23.11. Genf, 24.11. Biel, 25.11. Basel) am 26. November noch nach Karlsruhe ins P8.

Im HKW traf man sich also zum „Cosmic Awakening“-Festival, bei dem an mehreren Tagen geschaut werden sollte, wie sich Zukunftsvisionen in Musik verwandeln. Ein Festival der utopischen Klänge, das der demnächst scheidende Kurator Detlef Diederichsen als Schlussrunde eingerichtet hat, nachdem man sich in den vergangenen Jahren bereits an „doofer“, „böser“ oder „unmenschlicher“ Musik abgearbeitet hatte.

Zum kosmischen Erwachen stellte beim gleich mal restlos ausverkauften Eröffnungskonzert der Technomusiker Pantha du Prince seinen „Garden Gaia“ vor, mit Wallegewändern, Chor und später viel Getrommel. Zuerst aber driftete man mit Säuselmusik in die Chill-Out-Zone, bevor es zupackender doch noch in den Club ging, der ja als Ort der Entgrenzung die im Moment gelebte Utopie sein will. Jedenfalls tanzten viele mit ihren erhobenen Armen so, als gäbe es in diesem Mutter-Erde-Garten eine Sonne anzubeten.

Cyborgs und Pionierinnen elektronischer Musik

Das große Versprechen von Pop: einen Fluchtwagen bereitzustellen mit der Musik, um mal wegzukommen von den Bedrängnissen, mit denen man so zu tun hat und von denen man wirklich nicht gestört werden will während eines guten Popsongs. Und wenn man statt Fluchtauto in einem Raumtransporter sitzt, dauert es mit den musikalischen Trips von Space Rock und anverwandten Psychedelikern halt etwas länger als beim klassischen Dreiminutenpop.

Ihren ganz eigenen Planeten erkundeten dabei die drei Musikerinnen von Kuunatic mit einem über Fernost gebrochenem Krautrock, schamanenhaftem Singen und hübschen kleinen Space-Effekten, was alles – wie bei den anderen Musikern, die sich in diesen Gegenden bereits umgeschaut haben – in Richtung Trance weitergetrieben wurde. Sehr charmant, das. Auch weiße Wallegewänder gab es wieder bei dem japanischen Trio zu sehen.

Von Cyborgs war zu hören bei dem Festival und von den Pionierinnen elektronischer Musik. In Videoschnipseln konnte man nachvollziehen, wie deren eigentlich avantgardistisches Piepsen und Pluckern einem in Science-Fiction-Filmen und TV-Werbung vertraut gemacht wurde. Und auf den Toiletten hörte man Musik von Sun Ra, dem Jazz-Visionär, der immer behauptete, vom Saturn gekommen zu sein. Sein Slogan war „Space is the place“ – mit der Dialektik zwischen seiner so freiheitsgierigen Musik einerseits und der fast schon sklavischen Disziplin, mit der der Meister andererseits seine Musiker triezte.

Dieser Widerspruch eben: dass man auf der Erde (den dahergebrachten Verhältnissen, den Zwängen …) festgetackert ist. Dass man das aber auch gern mal hinter sich lassen würde. Und das mit Musik. Zum Abschluss des Festivals lud die britische Künstlerin Klein zu einem audiovisuellen Vortrag. Auf der Leinwand sah man Kinder auf einem Spielplatz oder häusliche Szenen, man sah Bilder von Soldaten. Man hörte eine Musik, die, wenn man im Fernsehen die Untertitel anknipst, als „geheimnisvoll“ oder „bedrohlich“ beschrieben wird. Die Zukunft. Sie muss einen nicht immer nur froh machen.

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Thomas Mauch
Redakteur taz.Berlin
Jahrgang 1960, seit 2001 im Berlinressort der taz.
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