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Neukölln-Prozess zu Nazi-TerrorserieNeue Vorwürfe gegen die Polizei

Eine Zeugin gibt an, von einem Polizisten auf ihre bevorstehende Aussage angesprochen worden zu sein. Ihre Vorwürfe gegen Tilo. P. wiederholt sie nicht.

Polizeikontrolle eines Neonazis bei einer Demonstration in Neukölln 2012 Foto: dpa

Berlin taz | Der Prozess um die rechtsextreme Neuköllner Terrorserie gegen die beiden Beschuldigten Tilo P. und Sebastian T. im Sicherheitssaal des Amtsgerichts Tiergarten ist am Montag mit der Vernehmung von insgesamt fünf Zeugen fortgesetzt worden. Erschienen waren neben drei Polizisten zwei mögliche Belastungszeugen, über deren Aussagen bereits zuvor berichtet worden war.

Zum einen war da Maryam K., die Freundin des Bruders des angeklagten Tilo P. Während sie in ihrer polizeilichen Vernehmung diesen noch schwer beschuldigte, relativierte sie diese Aussagen vor Gericht.

Sie schilderte ein Gespräch der Brüder und deren Mutter, kurz nachdem Tilo P. Anfang 2021 aus dem Gefängnis entlassen wurde. Darin habe dieser laut K. gesagt, im Gefängnis einen „schweren Fehler“ begangen zu haben und einem alten Bekannten „die eine oder andere Sache erzählt“ zu haben. Dass er dabei die ihm zur Last gelegten Brandstiftungen an den Autos des Linken-Politikers Ferat Kocak und des Buchhändler Heinz Ostermann konkret benannte, wiederholte sie nicht. Viel mehr sei es für sie sicher gewesen, dass er nur diese gemeint haben könnte.

Sie selbst, so schilderte es K., habe P. auf die Brandstiftungen angesprochen, dieser habe sie daraufhin nur „angeguckt und gegrinst“. Auch eine kolportierte Mordabsicht von P. gegen die ermittelnde Oberstaatsanwältin bestätigte K. nicht. Zwar habe er gesagt, diese „platt“ machen zu wollen; dies sei aber „seine Art“.

Drohung eines Polizisten?

Nicht äußern wollte sich K., die in Begleitung eines Polizisten im Gerichtssaal erschienen war, zu Anfeindungen, denen sie aus der rechten Szene ausgesetzt sei. Nur so viel: Sie habe Angst um sich und ihre Tochter. Zur Sprache kam aber noch eine andere mögliche Bedrohungssituation, die, sollte sie sich so zugetragen haben, höchst brisant ist:

Wie aus einem Schreiben von K.s Rechtsbeistand hervorgeht, aus dem mehrfach zitiert wurde, soll K. vor etwa zwei Wochen bei einer Verkehrskontrolle in ihrem Heimatort Travemünde, in dem auch Tilo P.s Bruder wohnt, von einem Polizeibeamten auf ihre bevorstehende Vernehmung angesprochen worden sein. Dabei soll eine mögliche Blutabnahme in den Zusammenhang damit gebracht worden sein, „ob sie oder ob sie nicht im Berliner Verfahren aussagen möchte“. Auch der Satz „Das LKA Berlin ist mir egal“ soll der Polizist gesagt haben. Gegenüber dem LKA hatte K. zuvor ihre Aussagen gemacht und mit diesem auch im Anschluss Kontakt gehalten.

K. ist im Rahmen der Verkehrskontrolle inzwischen selbst Beschuldigte – und äußerte sich als solche nicht zu dem Vorfall. Erwähnt wurde von ihrem Rechtsbeistand zudem, dass gegen sie in diesem Zusammenhang auch eine Anzeige der Polizei wegen „falscher Verdächtigungen“ vorliege.

Als Zeuge erschienen war auch der Neonazi Maurice P., dem der angeklagte Tilo P. im Gefängnis begegnet war. In einem abgehörten Telefonat soll Maurice P. über Aussagen von Tilo P. berichtet haben, die ihn selbst belasten, zumindest „Schmiere“ stehend an Taten beteiligt gewesen zu sein. Dass es dabei nur um das Malen eines Graffiti gegangen sei, das wollte Maurice P. noch wissen, ansonsten konnte und wollte er sich an nichts erinnern: Nicht, worüber er mit seinem Mitgefangenen sprach, nicht über einen Zeitungsartikel, den er von diesem bekommen haben soll, auch diverse bekannte Neuköllner Nazis kenne er nicht.

Ungünstiger für die Angeklagten war die Aussage eines leitenden Ermittlers, der berichtete, wie auf P.s Laptop eine Suche zu Kocaks Haus rekonstruiert wurde. Ebenso berichtete er von nächtlichen Autofahrten von Sebastian T., mit Stopps auch an späteren Tatorten.

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