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Kein Platz für Jesus

Die Absage an Marek Dutschke am vergangenen Wochenende ist der jüngste Beweis: Die Grünen sind endgültig zur graubärtigen Zombiepartei verkommen. Und die Rentnerdemokratie frisst ihre letzten Kinder. Eine Kampfansage

VON JOACHIM LOTTMANN

Was für ein Glücksfall: Da taucht nach Jahrzehnten im politischen Geschäft plötzlich ein neues Gesicht auf, ein neuer Typus. Ein junger Mann, der nicht so aussieht wie die üblichen verdächtigen Berufsnachwuchspolitiker. Nachwuchs für die Institutionen hat in Deutschland ja stets etwas Niederschmetterndes: Der Jugendsprecher der Malteser wirkt wie ein Klon aus den 50er-Jahren. Der Aspirant für den Listenplatz der Jungen Union quakt schon jetzt so naseweis-schweinchenhaft daher, als wolle er die Jahre bis zum Erreichen der Roland-Koch-Existenz einfach überspringen. Karikaturen sind sie halt. In allen Parteien. Der SPD-Nachwuchsmann, sollte es noch einen geben, nuschelt ebenso über Pendlerpauschale und Korrekturen an der Lohnfortzahlung älterer Arbeitnehmer wie sein eigener Großvater. Dazu trägt er das vorgeschriebene Zivi-Outfit aus Cordhose, Bart und T-Shirt mit „witzigem“ Spruch („Lasst Euch nicht verSTOIBERn“).

Lange Zeit gab es eine Ausnahme in der menschlich so heruntergekommenen Polit-Szene, und das waren die Grünen. Sie starteten vor gut einer Generation mit völlig neuen Köpfen, und es rückten immer wieder neue nach. Es stand schon im Programm, dass man nach zwei Jahren „rotieren“ musste. Und auch als diese Regel fiel, rückten immer wieder echte Menschen nach, zuletzt Katrin Göring-Eckardt, die recycelte Claudia Roth, der reuig und ruhig gewordene Joschka, Sybill Klotz aus Berlin, Marek Dutschke aus Brüssel. Immer wieder konnte man über Nacht bei den Grünen ein Star werden, auch ohne Anzug, Schlips und Ochsentour. Und selbst wenn man schon ein Star war, konnte man ein paar Jahre abtauchen und verändert wiederkommen. Oder sich eine neue Freundin zulegen, die dann erst 27 war und ganz anders wirkte als Hannelore Kohl. Mit Marek Dutschkes Abwahl vergangenen Sonntag in Berlin fand dieser schöne Zug ein Ende. Und es handelte sich dabei um ein schon tragisches Missverständnis. Die Delegierten sahen in ihm – ausgerechnet – das Prinzip der Elternliebe der etablierten Parteien. Wenn Monika Hohlmeier mit den Methoden ihres Vaters herumholzte und die Familie Strauß zehn weitere Jahre im Kabinett hielt, fand man das ekelhaft. Wenn die Bübchen von der JU „Angie, Angie“ skandieren und dazu den gleichnamigen Lieblingssong ihrer Eltern spielen und ihren ersten Listenplatz noch vor der ersten Freundin erobern, findet ein Grüner das pervers. Und nun kam Rudi Dutschkes Sohn. Er sieht aus wie sein Vater, er redet wie er, er fühlt wie er, er ist wie er! Ein großer naiver Revolutionär, ein Inhaltist, humorlos und uneitel, eine Jesusfigur. Menschenfreundlich, charismatisch, intelligent. Gibt es einen grünen Gott im Himmel, so hat er diesen Marek Dutschke geschickt!

Der Kniff, der diese Wiederauferstehung in Echtkraft, nicht als Farce, möglich machte, hieß USA. Der junge Dutschke hat eine US-amerikanische Syntax im Kopf, wenn er deutsch spricht. Eigentlich ist er ein Amerikaner, der sich für Deutschland interessiert. Auch seine Unvoreingenommenheit, Offenheit, natürliche Lebensfreude hat er von da und seine Vorurteilslosigkeit gegenüber Ausgegrenzten. Für ihn sind sogar Sozialhilfeempfänger in Lichtenberg, die die Böhsen Onkelz hören, Menschen. Und er spricht keinen BRD-Polit-Diskurs. Die freie Rede, die die Grünen einst von den „Sozialexperten“ der etablierten Parteien unterschied – er hat sie noch. Worte wie Pendlerpauschale, Eigenheimzulage und Hartz IV und so weiter kommen nie aus seinem Mund.

Aber seine mitreißende Rede vor über 800 Delegierten am Sonntag wurde nicht honoriert. Im Gegenteil. Die Graubärte und Zombies im Publikum warfen unwillige Blicke auf den jungen Prediger mit seiner Bewerbungsrede zum Deutschen Bundestag. Die altgedienten Parteisoldaten, Kernkraftgegner, Castor-Blockierer und andere Mumien buhten, was das Zeug hielt. Wie eine Eiterbeule platzte mit einem Male auf, was seit Jahrzehnten im Verborgenen sich entwickelt hatte: der Alterungsprozess der Bewegung. Und gegen den drahtigen, fast schon ausgezehrten, jedenfalls „hungrigen“ Dutschke trat prompt ein typischer Grünen-Funktionär an, 32 Jahre älter als dieser, mit der üblichen Rhetorik und Wampe, dem üblichen Schwarzhemd der beleibten Endfünfziger, dem Cord-Sakko, und natürlich der gnadenlosen Einfallslosigkeit und Windschlüpfrigkeit deutscher Berufspolitiker. Mit seinem Zahlenchinesisch und einschläferndem Blabla riss er die Funktionäre, allesamt seine Generation, zu Beifallsstürmen hin, und hinter all der ausgespreizten Kompetenz lauerte die böse Drohung der Greise gegen den jungen Gegenkandidaten: Bloß weil er der Sohn von jemandem ist, kann der hier noch lange nix gewinnen! Söhne haben uns gerade noch gefehlt, in dieser umweltzerstörten Welt!

Bei Mareks Rede dagegen gab es tatsächlich Buhrufe. Kein anderer Grünen-Redner musste damit fertig werden. Dass er frei war von dem die Bevölkerung anödenden Politdiskurs, wurde nicht als Befreiung begriffen, sondern als Faulheit. Der junge Kandidat hatte die Hausaufgaben in Sachen Politfremdsprache noch nicht gemacht! Und wenn man nun in die wütenden, alten Gesichter sah, merkte man: Die Grünen sind angekommen in der „zombie nation“. Die Rentnerdemokratie hat ihre letzten lebendigen Mitglieder aufgefressen. Mit dem ehrlichen, jungen Dutschke hätte man zum ersten Mal in diesem Jahrhundert Menschen unter 30 angesprochen. Wäre das Durchschnittsalter im Berliner Urania-Palast nicht 56 Jahre gewesen, sondern 24, wären Blumen, Joints und Büstenhalter auf die Bühne geflogen. Und noch in derselben Nacht hätten junge Leute die Limousinen von Ackermann, Schrempp und Esser gestoppt und vor laufenden Kameras diese Verbrecher zur Rede gestellt. Zum Beispiel. Vielleicht hätten sie auch klügere Sachen gemacht. Denn Dutschke ist ja das erste echte rhetorische Talent seit dem jungen Lafontaine in Deutschland; bundesweit hätte das mindestens ein Prozent zusätzlich für Rot-Grün gebracht. Das ist nun vorbei. Die Grünen fahren in die Grube und mit ihnen der ganze verdammte Parlamentarismus. So weit, so theoretisch. In Gedanken macht man sich die Politik ja immer zu einem einfachen Schema. Im realen Leben sah es dann so aus: Zwar war die Niederlage von 698 zu 104 Stimmen entsetzlich. Und bei Platz vier wurde es sogar noch demütigender, weil man dann einen Alibi-Türken aus dem Nichts zog, sodass Marek Dutschke überhaupt keinen Platz mehr auf der Liste fand. Aber Marek war gar nicht böse. Er war wahrscheinlich der Einzige, der den ganzen Vorgang basisdemokratisch und somit sportlich nahm. Nach dem Motto: „Das ist okay, sie haben eben ihre Meinung gesagt!“ Das Erlebnis fand er aufregend, und er will es nicht missen. Es hat ihm sogar Lust auf mehr gemacht.

Ich habe den jungen Mann übrigens persönlich kennen gelernt und rede nicht nur so ins Blaue hinein. Ich war nämlich einer dieser 104. Was mich nicht daran hindert, auch bei www.dasjungeteam.jusosfuerschroeder meinen Beitrag zur Wiederwahl unseres herrlichen jungen Kanzlers zu leisten. Im Internetzeitalter ist dies rechtlich alles möglich. Ich traf Marek während einer Talkshow letzte Woche, und er attackierte mich sofort als eingefleischten „Schröder-Mann“. Gleichwohl wirkte er ungemein wohltuend in der Talkrunde, er schien als einziger unter den eitlen Halb-Promis kein Ego zu haben. Er war auch nicht aufgeregt und sah nie in die Kamera. Wir haben noch bis spät nachts munter diskutiert, während sich die anderen Gäste immer wieder die eigene Sendung in Endloswiederholungen ansahen.

Wir sprachen natürlich über die Neuwahlen und des Kanzlers strategisches Genie dabei. Dutschke widersprach oft. Natürlich werde es Neuwahlen geben, dafür sei alles schon zu weit gediehen. Schröder sei ein zutiefst verletzter Mann, der seinen Abgang als Super-GAU inszeniere, wie schon einmal ein deutscher Kanzler. Am Ende überzeugte er mich. Die Bonhommie seines Wesens, sein Erkennen und Annehmen des andern: all das machte ihn mir sympathisch und überzeugend. Was für ein Kontrast zu seinem mediokren Gegenspieler Wolfgang Wieland, diesem „Joschka-Fischer-Verschnitt“, wie der sich selbst titulierte. Und so endete der Abend erregt und politisch. Denn das ist der Unterschied zu Pragmatikern wie Renate Künast. Säße die jetzt am Tisch, redete sie über das Dosenpfand und den Scheißverbraucherschutz. Das genuin Politische versteht sie nicht, interessiert sie nicht: die Macht, die Herrschenden, die Beherrschten, der ewige Kampf darum. Und dass es Spaß macht, darüber zu reden wie über ein spannendes WM-Endspiel. Oder noch besser: mitzuspielen!

Young Jesus ist durchgefallen. Marek mag diese Anspielung nicht, da schon seit Vater damit verglichen wurde: weil der so religiös war, weil er am Karfreitag angeschossen wurde, weil er an Heiligabend dann ganz verstarb und so weiter. Aber ihm schmeckt plötzlich die Idee, Neuwahlen fänden gar nicht statt. Dann wäre er nämlich gar nicht durchgefallen. Dann könnte er 2006 erneut antreten. Und diesmal würde er gewinnen. Denn dass die Grünen immer nur diejenigen in der WG waren, die den Müll runtergetragen haben, überzeugt ihn nicht. Müll ist etwas für die Müllabfuhr, interessant wird es erst bei den politischen, also den Machtfragen. Und die werden zurückkommen … Marek wird weitermachen. Schafft er es an die Spitze, wird die grüne Partei mehr sein als ein Ausdruck jener Generation geburtenstarker Jahrgänge, die in der schönsten aller Welten lebte, nämlich in den 70er-Jahren, als es Vollbeschäftigung gab, Bildung ohne Gebühren, Sex ohne Aids, Jugend ohne Rentner, Staat ohne Schulden, Zukunft satt. Diese Generation war es, die „in diese Welt keine Kinder setzen“ wollte. Inzwischen haben wir dieses Paradies verloren, weil keine Kinder gemacht wurden, um es zu erhalten. Die Generation der Grünen wandert nun kinderlos Richtung Alter und Tod, unbeirrbar böse und negativer denn je. Ein empathischer junger Kämpfer würde sie da nur stören. Aber Geschichte ist immer offen.

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