Hamburger Tunnelbauer über U-Bahn-Pläne: „Man nimmt uns die Natur“

Hans Rosenau war selbst Tunnelbauer. Wie aber eine U-Bahn-Linie mit viel Lärm vor seiner Haustür verlängert wird, behagt ihm gar nicht.

Hans Rosenau auf dem Balkon mit Baustelle hinter ihm

Hans Rosenau in seinem Haus mit Blick auf die Baustelle Foto: Miguel Ferraz Araújo

taz am wochenende: Herr Rosenau, wie lebt es sich so mit einer U-Bahn-Baustelle vor der Tür?

Hans Rosenau: Mit dieser sehr schlecht. Ich komme aus dem U-Bahn-Bau. Den kann man unter der Erde mit Schildvortriebsmaschinen machen. Aber hier baut die Stadt in offener Bauweise. Das ist ein ganz anderes Verfahren. Dadurch nahm man uns die Natur. Es gibt hier nur noch eine Taube und eine Krähe und eine Elster.

Welche Tiere fehlen denn?

Amseln, Fink, Drossel, alle Tiere. Auch Eichhörnchen sind weg.

Die sahen Sie vom Balkon?

Die haben wir hier voll erlebt.

Wie lange wohnen Sie hier?

55 Jahre. Diese Ecke von Horn war Hamburger Neubaugebiet. Unsere Straße wurde erst erschlossen und mit 800 Bäumen bepflanzt. Die Wohnungen waren größtenteils für die Flutopfer von 1962.

Wie war das Viertel, bevor die U-Bahn-Baustelle kam?

Es war ein gewachsener Stadtteil hier. Wir hatten eh nur zehn Minuten bis zur nächsten U-Bahn-Haltestelle. Das war schon gut. Unsere Straße hatte sich zu einer großen, schattigen Allee entwickelt mit vielen Vögeln. Hier gibt es auch Industrie. Die Bäume waren unser Umweltschutz, haben die Luft gereinigt und im Sommer das Klima um zwei, drei Grad gekühlt. Wir haben diese Bäume miterlebt, vom ersten Wachstum bis zur Fällung. Und das nur, weil hier 2,2 Kilometer U-Bahn als offene Baugrube geplant wurden.

Sie wollten das verhindern?

Ich erfuhr erst aus der Zeitung, was hier geplant ist. Da gab es die Initiative „Rettet Horn“, die für die Bäume kämpfte. Und da ich aus dem Tiefbau kam, nahmen die mich mit Freuden auf. Wir machten Bürgertreffs und Demos und waren bei allen Parteien. Wir rechneten dem Bürgermeister vor, dass die U-Bahn nicht lohnt.

Warum nicht?

Weil Horn jetzt noch nicht genug Bürger hat. Man will ja nebenan in Öjendorf einen neuen Stadtteil bauen und auch hier verdichten. Und dann, sagt die Stadt, braucht man die U-Bahn.

Das klingt doch erst mal gut.

Wir sind gegen die Bauweise. Die schaffen eine Grube, bauen die U-Bahn rein und dann einen Deckel drauf. So hat man das früher in der Stadt gemacht. Aber heute kann man das alles im Schildbetrieb abfahren. Das merken sie oben fast gar nicht. Nur wo die Bahnhöfe hinkommen, gibt es offene Gruben.

Haben Sie verstanden, warum hier offen gebaut wird?

Nein. Man hätte das Schild von der Hafencity-U-Bahn nehmen können. Da hätte man die Maschine schon. Und zwar von einer großen Tunnelbaufirma aus Süddeutschland. Aber es hieß, die wäre schon verkauft. Und eine neue koste 50 Millionen Euro. Das wäre für diese zwei Kilometer zu viel. Aber diese offene Bauweise soll nach Planung fast 500 Millionen kosten. Da wären die 50 Millionen schon lange drin.

Aber bringt es wirklich was, wenn es für die Haltestellen eh offene Gruben geben muss?

Ja. Denn da bleibt die gesamte Länge des Tunnels unterirdisch. Hier in der Straße verläuft in 30 Meter Tiefe schon ein Stammsiel. Die Röhre wurde vor einigen Jahren im Schildvortrieb gebaut. Das merkten wir hier oben gar nicht.

Und da wäre drüber noch Platz für eine U-Bahn-Röhre?

Ja. Die jetzt gebaute U-Bahn liegt nur wenige Meter unter der Erde. Darum musste man die oberen Siele und Fernwärmerohre aus der Baugrube rausholen und seitlich verlegen. Allein das dauerte über zwei Jahre. Erst jetzt geht der U-Bahn-Bau los.

Sie machten etwas Ungewöhnliches: Sie schlugen eine Alternativstrecke vor.

Der Mensch

Hans Rosenau ist von Beruf Maschinenschlosser und war von 1967 bis 2000 bei der Firma Philipp Holzmann im Tiefbau und Tunnelbau beschäftigt. Zusammen mit seiner Frau Karin wohnt der 79-Jährige seit 1967 in Hamburg-Horn.

Die U-Bahn

Hamburgs SPD und Grüne beschlossen 2015 in ihrem Koalitionsvertrag, die bestehende Linie U4 um zwei Stationen in den Stadtteil Horn zu verlängern. Die Initiative „Rettet Horn“ versuchte, den Bau der U-Bahn-Linie zu verhindern.

Mehrere sogar. Die erste hätte aus der Stadt kommend entlang der Autobahn bis zur Bundeswehr Universität geführt. Das könnte man in jeder Tiefe machen.

Die Anwohner litten da nicht?

Nein, gar nicht. Da hätte man frei unter den Straßen mit dem Schildvortrieb fahren können.

Haben Sie Ihre Pläne den Behörden gezeigt?

Haben wir. Bei einer der Demos hatten wir das an einem Stand plakatiert. Aber wir konnten jetzt nicht der Baubehörde sagen: Macht einen neuen Plan.

Also sagte keiner von denen: Das ist eine gute Idee.

Die haben da drauf geguckt. Aber sobald das Planfeststellungsverfahren zu Ende war, kamen wir an die Behörden nicht mehr ran. Zwar hatten wir da unsere Ideen zur Sprache gebracht. Und die sagten: Gut, das nehmen wir auf und besprechen das. Aber da kam nichts mehr. Die hatten sich festgelegt, die U-Bahn hier zu bauen.

Also auf Sie als Tunnelbauer hat man nicht gehört?

Die nahmen das zur Kenntnis.

Wie wird man Tunnelbauer?

Ich bin Maschinenschlosser. Und ich hatte gerade ausgelernt, als in Hamburg die U2 gebaut wurde. Und ich hatte einen Bekannten, der beim Baukonzern Philipp Holzmann war. Da gab es am Berliner Tor eine Baustelle, von der eine Röhre unter der Erde bis Hauptbahnhof Nord gebaut wurde.

Erstmals mit Tunnelbohrer?

Ja. Da wurde ich Vorarbeiter und war ab da bei Holzmann. Die Firma war federführend, die hatte die Maschine entwickelt.

Wie funktioniert die?

Das ist eine große Röhre, wo vorne ein Bohrkopf drin ist. Der dreht sich. Das ist ein Messerbalken, der arbeitet sich vor. Die Erde kommt hinten über Förderbänder raus. An Ende der Röhre war ein Schott, weil man das unter Druckluft macht.

Was ist ein Schott?

Eine Trennwand. Es kann ja sonst Sand oder Wasser in diese Röhre kommen. Also brauchen Sie einen Überdruck. Dafür gibt es diese Wand. Und darin sind Schleusen, durch die Personen gehen. Bevor ich in diesen Arbeitsraum komme, muss ich eingeschleust werden, unter Druckluft. Deshalb werden die Leute vorher vom Amtsarzt untersucht.

Wegen der Druckluft?

Ja, wie bei Tauchern. Früher beim alten Elbtunnel hat man die Erde mit der Hand rausgeschaufelt. Diese Arbeit macht jetzt das Schneiderad. Es ging rund um die Uhr in drei Schichten.

Wann kam der erste Tunnel?

Karin, wann war das?

Karin Rosenau: Ich meine 1967, da haben wir geheiratet.

Er immer unter der Erde?

Karin Rosenau: Kam als Maulwurf hoch.

Machte Ihnen das Spaß?

Hans Rosenau: Es gab auch gefährliche Sachen. Es sind auch schon ein paar Kollegen gestorben.

Oh, wie ist das passiert?

Das war beim Elbtunnel-Bau. In dieser Maschine machten wir auch Reparaturen und mussten brennen, auch unter Druckluft. Und da brennt es schneller, weil der Sauerstoffgehalt in der Luft erhöht ist.

Was kam nach der U2?

Ich baute bis zu meinem Berufsende Tunnel. Wir sind dann nach Hannover. Da fährt die Straßenbahn auch als U-Bahn. Da bauten wir einen Tunnel. Gleiche Maschine, gleiche Leute. Und ich hatte da eine Wohnung.

Wann war das?

Karin Rosenau: 1975.

Sind Sie dafür gependelt?

Hans Rosenau: Ja, montags morgens auf die Baustelle. Das ging im Dreischichtbetrieb. Früh, spät, nachts. Ich konnte mich hinlegen und schlafen. Aber viele hatten da Schwierigkeiten, kamen nicht zur Ruhe.

Was kam nach Hannover?

Der Tunnel für die S-Bahn in Hamburg. An den Landungsbrücken, wo jetzt das Hotel Hafen Hamburg ist, war unsere Grube. Da kam das Schild rein.

Wie lange dauerte das?

Ich glaube, da war gerade unsere Tochter geboren.

Karin Rosenau: Nein, unsere Tochter wurde vor Hannover geboren. Das weiß ich, weil ich ihn einmal besuchte und sie laufen lernte.

Sie bauten am Elbtunnel?

Hans Rosenau: Alle vier Röhren. Dazwischen kam ein Fernwärmetunnel unter der Kieler Förde. Da mussten wir durch Eiszeitschichten mit Findlingen durch. Dann bauten wir Sammler auf der Veddel.

Karin Rosenau: In der Zeitung wurde auch über dich geschrieben.

Hans Rosenau: Nach der Firmenpleite.

Karin Rosenau: Nein, auch davor.

Hans Rosenau: Ja, beim Elbtunnel. Da wurden ein Kollege und ich als „Maschinen-Meister“ gewürdigt.

Was sind denn Sammler?

Große Abwasserkanäle, die als Hauptschlagader durch Hamburg zum Klärwerk führen. Danach kam immer das, was anlag. Holzmann war eine der drei großen Tiefbaufirmen, die Aufträge immer zusammen übernahmen.

Wie fühlt man sich da unten?

Wie fühlt man sich? Sie sind angespannt. Egal, ob oben die Sonne scheint oder es schneit, Sie sind ja immer nur bei elektrischem Licht. Man passt da unten immer auf und achtet auf den anderen. Das prägt, das ist nachher eine richtige Gemeinschaft.

Haben Sie noch Kontakt?

Es gibt jedes Jahr ein Treffen der Holzmann-Belegschaft.

Der Konzern ist pleite gegangen.

Der ist abgewickelt. Da ist nichts mehr. Aber die Niederlassung Hamburg ist weiter eine Gemeinschaft. Das war nicht immer so. Hatten wir früher Betriebsversammlung, dann saß die Chefetage mit den Angestellten an der Seite. Hatte der Direktor gesprochen, dann verließen die den Saal. Erst danach sprach der von der Gewerkschaft, aber das wollten die nicht hören.

Eine Klassengesellschaft.

Ja. Aber treffen wir uns heute, ist da eine große Verbundenheit. „Ach, hallo, bis du auch geschädigt.“ „Ja, du warst Bauleiter, du warst Ingenieur.“ Wir waren ja alle arbeitslos nach der Pleite.

Karin Rosenau: Du warst im Betriebsrat für Schwerbehinderte.

Hans Rosenau: Unser Betriebsrat hier in Hamburg war gut. Wie das langsam anfing zu kriseln bei Holzmann, da hieß es: Alle Mitarbeiter sollen auf Gehalt verzichten und die Firma retten. Da sagte unser Betriebsrat: Wir machen das nur, wenn das Geld mündelsicher angelegt wird, sodass es nicht verloren ist. Die Oberen wussten früh, das die Firma sich auflöst. Unser Gesamtbetriebsrat hat erzählt, er hätte das im Radio erfahren. Ich ging dann in Rente.

Zwei Fotos von Hans Rosenau als Tunnelbauer auf eine Kommode

Hans Rosenau zu seiner aktiven Zeit als Tunnelbauer Foto: Miguel Ferraz Araújo

Hatten Sie sich für die Rente was Schönes vorgenommen?

Ja, wir sind viel gereist, man hat da was gemacht, ist im Urlaub gewesen. Ich muss sagen, ich ging gerne zur Arbeit, hatte gute Kollegen. Nach Hannover fahren oder Berlin zum U-Bahn-Bau dort unterm Reichstag, es machte mir auch Spaß.

Karin Rosenau: Aber du musstest auch auf vieles verzichten. Wie du gelebt hast. Ich war mit den Kindern viel allein. Kam er am Wochenende, da habe ich Wäsche gewaschen und vorgekocht. Er wohnte unter der Woche im Container. Das war nur in Hannover, dass du eine Wohnung hattest.

Hans Rosenau: Das stimmt. Wir waren meist zwei Mann in einem Container.

Sie kennen Hamburgs Untergrund. Es gibt ein Gutachten zum Bau der neuen U5. Da heißt es, es sei wegen der Risiken besser, oberflächennah zu bauen als tief unter der Erde.

Im Prinzip können Sie mit dem Schild überall durchfahren. Und wenn ich die geplante Strecke der neuen U5 sehe, mitten durch alte gewachsene Stadtteile … mache ich das in offener Bauweise, kriege ich so viele Probleme mit den Besitzern, das geht gar nicht. Das macht die Stadt hier mit uns in Horn.

Wären Sie Verkehrssenator, wie würden Sie planen?

Wenn man schon einen neuen Stadtteil plant, dann kann ich doch erst die U-Bahn bauen und dann die Häuser.

Wie lang dauert der Bau hier?

Drei, vier Jahre auf alle Fälle.

Hören Sie viel Lärm?

Karin Rosenau: Es ist sehr laut. Diese ersten zweieinhalb Jahre waren heftig.

Hans Rosenau: Baustelle ist Baustelle. Welches Gewerk auch immer, Betonmischer, Lkw, die Boden wegfahren. Da ist nur Verkehr.

Karin Rosenau: Um sieben Uhr werden Sie geweckt. Und betonieren dürfen sie bis Sonnabend 22 Uhr.

Hans Rosenau: Das sagte mir die zuständige Mitarbeiterin von der Hochbahn. Die kennt mich schon. Die betonierten den einen Tag immer nur mit einem Betonwagen zur Zeit. Dass das bis spät abends dauert, konnte ich gleich sagen bei der Menge, die da in die Wand musste.

Weil Sie sich auskennen.

Karin Rosenau: (lacht) Er hat hier vom Balkon die Oberaufsicht.

Hans Rosenau: Das ist nur eine kleine Rechenaufgabe. Kein Kunststück.

Wie ist das mit dem Schlafen nachts?

Karin Rosenau: Nicht gut. Gestern Abend zum Beispiel. Um Mitternacht wird wohl Kontrolle gemacht. Ich war im Bett. Ich denke auf einmal: „Hast vergessen das Licht auszumachen?“. Da ist das Wohnzimmer hell erleuchtet.

Wie man sich da unten fühlt? Sie sind angespannt. Egal, ob oben die Sonne scheint oder es schneit, Sie sind ja immer nur bei elektrischem Licht. Man passt da unten immer auf und achtet auf den anderen. Das prägt, das ist nachher eine richtige Gemeinschaft

Hans Rosenau: Die Baustellenbeleuchtung strahlt hier rein. Ich denke, ich bin im Gefängnis.

Haben Sie nicht Rollos?

Karin Rosenau: Ja, Verdunklungsrollos. Aber da ist an der Seite trotzdem was frei. Das war dann ganz hell. Ich dachte, ich habe unser Licht vergessen.

Hans Rosenau: Sonst ist es hier dunkel. Die Straßenlaternen sind abgebaut.

Überlegen Sie wegzuziehen?

Das ist die Gretchenfrage. Warum seid ihr hier noch? Erstens haben wir eine günstige Miete. Und wir wohnen hier 55 Jahre. Ziehe ich irgendwo raus, ist man da ein Fremder.

Karin Rosenau: Da ist man alleine.

Hans Rosenau: Alte Bäume verpflanzt man nicht. Wir haben auch Nachbarn, die sagen: wegziehen? Nee! Manche haben ein Wochenenddomizil zum Ausweichen. Und wir kämpfen um Mietminderung. Die Hochbahn sagte erst: Ist nicht.

Nein? Warum nicht?

Das muss der Hauseigentümer beantragen. Also wir Mieter müssen da Druck machen. Das gab ein Hin und Her. Dann haben das auf meine Initiative alle Mieter beantragt. Jetzt haben alle zehn Prozent Minderung. Das fanden die Nachbarn ganz schön.

Karin Rosenau: Das ist mir zu wenig. Meine Lebensqualität wird hier auf fast null runtergefahren.

Gibt es Anwohner, die die U-Bahn gut finden?

Hans Rosenau: Die wohnen zwei Straßen weiter und sind nicht so betroffen wie wir.

Wenn die U-Bahn fertig ist, fahren Sie mit? So aus Neugierde?

Natürlich. Ich bin nur gegen die Bauweise.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.