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Die WahrheitVor Wut kochen

Nach dem schnöden Kartoffelbreianschlag auf Monet zeigt ein isländischer Starkoch, wie man Spitzenkunst mit Spitzenküche bewirft.

Für Werke des abstrakten Expressionismus empfiehlt sich ein Wurfbild vom Frühjahrsgemüse Foto: reuters

„Tomatensuppe auf van Gogh? Kartoffelbrei auf Monet? Das ist doch degoutant! Was ist los mit den jungen Leuten? Diese Generation ist wirklich das Allerletzte“, echauffiert sich Sternekoch Ramses F. Lokisson und gleich darauf einen rosigen Knorpel – diesen echauffiert er jedoch auf kleiner Flamme in einer gusseisernen Braisière. Die jüngsten Nahrungsmittelwürfe auf berühmte Kunstwerke haben den mehrfach ausgezeichneten Kulinariker wütend gemacht. „Zu einem kräftigen Niederländer mit ausgeprägten Noten von Zypresse und Mohnfeld kann man doch keine Tomatensuppe reichen“, kritisiert Lokisson den Protest der Klimaschützer und lüftet den Topfdeckel. Es zischt, brodelt und flammt, als der Chef des angesagten Nobelrestaurants Trykflyksnyk im isländischen Reykjavik seine Kreation präsentiert. Ein Handvoll betuchter Aktivisten, die nicht bloß mit Dosensuppe und Hausmannskost gegen die Klimakatastrophe angehen will, hat sich in Lokissons Küche zum exklusiven Kurs „Kochen gegen Kunst“ eingefunden.

„Verlorenes Ohr vom provenzalischen Lavendelschwein, in Absinth flambiert auf einem Bett von karamellisierten Mandelblüten“, erklärt der Spitzen­gastronom. „Dieses Gericht können Sie unbesorgt auf jeden van Gogh werfen. Im Grunde sind Sie damit bis zum Fauvismus auf der sicheren Seite. Bloß so einen nervösen deutschen Expressionisten wie Kirchner sollten Sie lieber mit einem leichten Riesling abschmecken. Das können Sie dann aber gleich am Bild machen.“

Lauwarmer Mantel

Die Kursteilnehmer nicken eifrig. Einige machen sich Notizen, andere versuchen, einen japanischen Holzschnitt aus dem 18. Jahrhundert mit Misobällchen zu bewerfen. Aber das ist gar nicht so leicht, wenn man dazu Stäbchen benutzen muss – und darauf besteht Lokisson. Leichter geht die Arbeit am Rubens von der Hand. In dicken Schlieren tropft die Carbonade Flamande von der Leinwand. Die vom Barockmaler nackt dargestellte Nymphe trägt nun einen lauwarmen Mantel aus brauner Soße.

Doch welche Klima-Klientel kann die horrende Kursgebühr aufwenden, um ihrer Rebellion ein wenig Raffinesse und kulinarische Eleganz zu verleihen? „Es ist das erste Mal, dass ich vor Wut koche“, gibt ein Kursteilnehmer zu, der bislang nicht zum engeren Kreis der Klimaschützer gehörte. Der passionierte Hobbykoch arbeitet in der Finanzbranche, zum auserlesenen Kurs auf Island ist er im Privat-Jet angereist. „Werte zu vernichten gehört für mich zwar zum Berufsalltag“, versucht der Private-Equity-Manager seine kindliche Faszination für die Protestform „Essensschlacht“ zu erklären. „Aber hautnah zu erleben, wie sich die Säure einer Ceviche aus Limetten und Chili durch den Firnis eines alten Ölschinkens brennt, ist einfach geil … fürs Klima meine ich.“

Der Kurs klingt bei einem guten kalifornischen Roten aus dem Napa Valley aus, der mit verbundenen Augen über einem sehr guten Pollock verschüttet werden muss. Als die Teilnehmer zum Flughafen gebracht werden, tauschen sie exklusive Rezepte und nicht weniger exklusive Zielkunstwerke aus. Zweifellos hat das bedrohte Klima heute einige engagierte Verteidiger mit Freude an der großen Schlagzeile gefunden.

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