piwik no script img

Polizeigewalt beim Hamburger DerbyMehr als nur ein Einzelfall

Nach dem Polizeieinsatz vor dem Hamburger Zweitligaderby müssen nicht nur die Vorfälle vor Ort aufgeklärt werden. Es geht um Grundsätzlicheres.

Unverhältnismäßiges Vorgehen gegen Fußballfans? Die Polizei steht in Hamburg in der Kritik Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

Das Video ging in den sozialen Netzwerken viral. Zu sehen war ein Polizist, der auf einen am Boden liegenden Mann kniet und brutal eindrischt, während ein anderer Polizist noch die Beine des Gewaltopfers fixiert. Es handelte sich um einen Einsatz gegen St.- Pauli-Fans, wie die Polizei erklärte, die HSV-Anhänger angreifen wollten. Insgesamt seien bei der Aktion 47 Personen in Gewahrsam genommen worden.

Es stelle sich die Frage der Verhältnismäßigkeit, twitterte der FC St. Pauli und forderte Aufklärung bereits vor dem gewonnenen Derby gegen den HSV (3:0). Die Polizeisprecherin Sandra Levgrün zog sich erst einmal auf eine Verteidigungsposition zurück. „Diese Videos sehen nie schön aus“, sagte sie. „Aber das macht kein Kollege aus Spaß!“

Sie versprach aber auch, man werde die Verhältnismäßigkeit des Vorgehens prüfen. Gegen den schlagenden Polizisten liegt ohnehin eine Anzeige vor. Ein Strafverfahren wurde eröffnet, räumt die Hamburger Polizei am Sonntag ein.

Angesichts der Beweislage wird die Polizei wohl das Handeln des Kollegen als unangemessene Überreaktion eines Einzelnen verurteilen. Dass die Handyaufnahme aber keinen Einzelfall dokumentiert, können etliche Fußballfans bezeugen, die bereits Opfer von Polizeigewalt geworden sind.

An der Uni Bochum wird gerade ein Forschungsprojekt zur rechtswidrigen Anwendung von Gewalt durch Polizeibeamte durchgeführt. Fußballfans sind „eine große Teilgruppe“ dieser Studie, wie es heißt. Mehr als 650 Menschen wurden befragt, die über erfahrene Polizeigewalt berichten.

Es gäbe schon in diesem Bereich genug Fälle, um eine „Gewalttäterdatei Polizei“ anzulegen. Rechtsübertritte sind schon lange sowohl auf Fan- als auch auf Polizeiseite zu beobachten. Die Polizei muss sich mit dem offenkundig systemischen Problem in den eigenen Reihen im Umgang mit Fußballfans auseinandersetzen. Die Ergebnisse der Uni-Studie sollen im Frühjahr 2023 erscheinen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Bereits öfters wurden in den zurückliegenden Jahren Polizeiübergriffe und Polizeigewalt mittels Smartphones dokumentiert und ins Netz gestellt; diesbezügliche Videosequenzen gingen im Netz nicht selten viral und stellten eine (kritische) Öffentlichkeit her. Jede(r) der solche Aufnahmen sieht kann sich ein eigenes Bild zur Vorwurfslage gegen prügelnde Polizistinnen und Polizisten machen und die Sicherheitsbehörde kann Prügel, z. B. durch Faustschläge gegen den Kopf eines am Boden liegenden, nicht einfach leugnen.



    Wie oft wurden in der Vergangenheit Amtsdelikte (z. B. Körperverletzungen) von Polizeibeamtinnen und -beamten von der zuständigen Staatsanwaltschaft eingestellt?

  • „Diese Videos sehen nie schön aus“, sagte sie. „Aber das macht kein Kollege aus Spaß!“

    Na auf die Erklärung, warum es notwendig ist, einen auf dem Boden liegenden, bereits fixierten, der offensichtlich nur seine Hände schützend über den Kopf hält, mit Faustschlägen in den Nierenbereich und Ellenbogenschlägen gegen den Kopf traktieren muss, würde mich schon interessieren.

    Da isses auch egal, ob derjenige im Vorfeld eine Straftat im Sinn hatte oder nicht. Das Video ist eindeutig. Die Stellungnahme ist ziemlich peinlich.

    • 6G
      659428 (Profil gelöscht)
      @Deep South:

      Ja... Aber halt auch vollkommen ausreichend, weil die Bullen und ihre Kameraden genau wissen dass da eh nix kommt

  • Die TAZ sollte sich mal mehr um die Gewaltbereitschaft unter Fußball-"Fans" kümmern.

    In keiner anderen Sportart, bei keinen Sportevents jedweder Größe gibt es soviel Probleme wie mit dieser Klientel.

    • @gyakusou:

      Fussballfans haben weder ein Gewaltmonopol noch Sonderrechte bei Auseinandersetzungen.

      Polizisten haben Beides.

      • 6G
        655170 (Profil gelöscht)
        @Sonntagssegler:

        Ja.



        Und die taz sollte sich mal mehr um Einbrecher und Autodiebe kümmern.



        Außerdem gehören Handyaufnahmen, die Polizeigewalt dokumentieren, grundsätzlich verboten.



        Gell.

  • Vielleicht sollten sich die Fans mal fragen, wieso es überhaupt Polizei bedarf. Bei so etwas nebensächlichen wie Fußball.

    • @Reinhard Roller:

      Warum gibt es Polizei bei Friedensdemos? Denken Sie noch einmal, Herr Roller. Selbst die friedfertigsten Tausende sind eben das - Tausende. Und Menschen, die da für Sicherheit und Koordination zuständig sind (müssen keine Bull*n sein), sind schon recht sinnvoll.