Filmfest Eberswalde: Ähnlich wie bei der Berlinale
Eine Woche lang kommt die Welt in eine Kreisstadt in Brandenburg. Die 19. Provinziale, das Filmfest Eberswalde, wird am Wochenende eröffnet.
V ier junge Männer zockeln in zitronengelben Badelatschen durch den Dschungel. Die Bilder der Landschaft zerfallen in Lichtpunkte wie auf einem impressionistischen Gemälde. Schnitt. Zwei der Männer nehmen Ratten aus, spießen sie auf und legen sie aufs Feuer. Schnitt. Die beiden anderen liegen im Zelt und surfen auf dem Handy.
Der Dokumentarfilm „Pa Va Hêng“ der deutschen Regisseurin Franziska von Stenglin zeigt Angehörige der Sedan, einer Minderheit im Norden Vietnams. In ihrem kleinen Dorf werden die Menschen täglich durch Lautsprecheranlagen und Fernseher mit dem Errungenschaften des modernen Lebens berieselt. Trotzdem ziehen die jungen Männer jedes Jahr in den Urwald, um dort ein paar Tage wie die Ahnen zu leben.
„Der Film ist eine spannende Arbeit“, sagt Provinzforscher Kenneth Anders, Leiter des Oderbruch Museums Altranft und des Filmfestivals Provinziale in Eberswalde, das am 8. Oktober mit „Pa Va Hêng“ eröffnet und dann eine Woche lang die weite Welt in die kleine Kreisstadt bringt. „Er zeigt, dass man nicht nur von außen ein Konzept von Wildnis haben kann.“
Es ist das Verhältnis von Zentrum und Peripherie, von Kultur und Ödnis, Mensch und Natur, das die Provinziale auch in ihrer 19. Ausgabe beschäftigt. Kenneth Anders und zwei seiner Mitstreiter*innen sitzen am Festivalort, im Kulturhaus Schwärzetal, und beschreiben, was das Festival selbst zu Coronazeiten mit der verschlafenen, aber pittoresken 40.000-Einwohner-Stadt in Brandenburg gemacht hat. Man habe immer um die 2.000 Besuchende gehabt.
Interessanter als es scheint
Und ähnlich wie bei der Berlinale, so der Festivalleiter Anders, kommen auch bei der Provinziale plötzlich Menschen ins Kino, die sich sonst eher keine epischen Dokumentarfilme über Minderheiten in den entlegensten Winkeln der Welt ansehen würden. Die Anwesenheit eines Großteils der Regisseur*innen wird dazu beigetragen haben, aber auch, dass Eberswalde interessanter ist als es scheint, über die renommierte Hochschule für nachhaltige Entwicklung verfügt und mit der Bahn von Berlin in nur einer halben Stunde zu erreichen ist.
Das Besondere an der Provinziale ist aber eigentlich, dass sie kuratiert ist wie eine schlaue Diskussion. Dabei tritt es bei den Beschreibungen der Filme im Programmheft oft in den Hintergrund, ob sie von Peru oder Kanada erzählen, Frankreich oder Kambodscha, Iran oder Ghana, ob sie das Format langer oder kurzer Dokumentarfilm erfüllen, Kurzspielfilm oder Animationsfilm. Denn die unbequemen Fragen nach gutem Leben in der Stadt und auf dem Land, nach Anbindung an die Gegenwart versus Verlust von Tradition, nach gesellschaftlicher Teilhabe versus Einsamkeit: Sie stellen sich überall.
Die Antworten dagegen, die sich die Zuschauenden erst beim Sichten der Filme zusammensetzen werden, fächern sich durch die vielfältigen Blickwinkel, die die Filme einnehmen, eher auf. Insofern ist es schade, dass die Festivalmacher es bislang nicht geschafft haben, die Magie der Provinziale auf andere Veranstaltungen in und um Eberswalde zu übertragen.
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