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Die WahrheitMeine Queen Mutti

Noch immer sorgt der Tod der britischen Königin für Verwerfungen, zumindest in der Familie. Künftige Trauerfeiern werfen ihre Schatten voraus.

Ach, Junge“, sagt meine 92-jährige Mutter, „die Einschläge kommen immer näher.“ – „Wer ist es denn diesmal?“, frage ich schicksalsergeben. „Na, erst im Sommer Tante Ilse, dann Heti von gegenüber und jetzt auch noch die Queen.“

Ich schaue überrascht auf: „Du kanntest die Queen?“ – „Natürlich kannte ich die Queen. Du etwa nicht, Junge?“ – „Mutter, ich weiß, wer die Queen war. Aber was hat das mit dir zu tun?“ Sie rollt mit den Augen, weil ich wieder so begriffsstutzig bin. „Die war 96!“ – „Ja, und?“ – „Ich bin 92! Das ist ganz schön nah dran.“

Dieser Logik habe ich nichts entgegenzusetzen. „Aber die Queen hat es richtig gemacht. So möchte ich das auch.“ Ich erschrecke: „Die Queen ist zwölf Tage lang im Sarg über die britischen Inseln gekarrt worden. Sollen wir dich durch ganz Westfalen fahren?“ – „Nein, natürlich nicht.“ – „Und die Leute haben bei der Queen tagelang angestanden, nur um einmal kurz auf ihre Kiste zu gucken. Das willst du ja wohl auch nicht!“ – „Nein, natürlich nicht. Dafür habt Ihr ja sowieso keine Geduld.“

„Du wolltest doch immer eine Beisetzung im engsten Kreis. In einem Ruheforst unter einem Baum.“ – „Da könnt ihr wenigstens nichts falsch machen.“ – „Du traust uns nicht zu, eine Trauerfeier zu organisieren?“ – „In meinem Alter macht man sich keine Illusionen mehr. Der Charles hat auch sofort gepatzt. Als er die Trauerkarten unterschreiben sollte, hat er mit dem Füller gekleckert. Wie du früher.“

Ich versuche, das Gespräch umzuleiten: „In England hat der königliche Imker die Bienen offiziell über den Tod der Queen informiert. Er hat an die Bienenstöcke geklopft und gesagt: ‚Die Herrin ist tot.‘ Willst du das auch? Soll ich die Blaumeisen an deinem Vogelhäuschen auf der Terrasse informieren?“ – „Sei nicht albern, Junge. Du kennst die Blaumeisen im Garten doch überhaupt gar nicht, du bist ja immer in Berlin, weil du meinst, du müsstest da diese Geschichten vorlesen.“

„Gut“, knurre ich, „dann werde ich die Blaumeisen eben nicht informieren.“ – „Und dann hat der Imker noch schwarze Schleifen um die Bienenstöcke gebunden. Das ist doch schön!“ – „Willst du das?“, frage ich, „soll ich schwarze Schleifen um das Vogelhäuschen binden?“ – „Das ist doch Quatsch“, kontert meine Mutter kühl, „du kriegst ja nicht mal Schleifen um die Weihnachtsgeschenke hin. Aber bei der Beerdigung der Queen waren auch ihre Hunde und ihr Lieblingspferd dabei. Das fand ich schön.“ – „Du hast doch gar kein Pferd.“ – „Aber Frau Steiner nebenan hat einen Hund. Der kann ruhig mitkommen zur Beisetzung.“

„Gut“, fasse ich die Ergebnisse der Unterredung zusammen, „ein Begräbnis im engsten Kreis. Mit dem Hund von Frau Steiner.“ – „Ja, das wäre schön“, sagt meine Mutter, „und hoffentlich geht das bei mir wie bei der Queen.“ – „Bestimmt, Mutter“, sage ich, „die Einschläge kommen schließlich schon immer näher.“ Sie nickt zufrieden. Endlich habe ich ein Einsehen.

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Heiko Werning
Autor
Heiko Werning ist Reptilienforscher aus Berufung, Froschbeschützer aus Notwendigkeit, Schriftsteller aus Gründen und Liedermacher aus Leidenschaft. Er studierte Technischen Umweltschutz und Geographie an der TU Berlin. Er tritt sonntags bei der Berliner „Reformbühne Heim & Welt“ und donnerstags bei den Weddinger „Brauseboys“ auf und schreibt regelmäßig für Taz und Titanic. Letzte Buchveröffentlichung: „Vom Wedding verweht“ (Edition Tiamat).
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2 Kommentare

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  • Klasse!



    Meine Leute sind zwar alle B.n.o.. Die Antworten von Mutter'n sind leicht variierbar auch auf meine Uroma übertragbar. Die ist auch 94 geworden.



    „Nein, natürlich nicht. Der Nachbrenner... Dafür habt Ihr ja sowieso keine Geduld.“ ist zum abknien!



    „Aber Frau Steiner nebenan hat einen Hund. Der kann ruhig mitkommen zur Beisetzung.“



    Dit issen schöner Satz für'n Freitag!

    • @Ringelnatz1:

      Schonn. But. Ach was! © Vagel Bülow

      Einfach ne andere Generation •



      Mit 92++ bretterte Hera die Göttermutter als teuerste Eisenbahnerwitwe Deutschlands mit Kapotthut & grauer Starbrille wie nichts Gutes durch die Lande - teufelte mit Partitur auf Herrn Karajan nieder - weil er wieder irgendn Wagnerscheiß nicht mano non troppo oder umgekeht gespielt hatte - segelte der rolling Stone mit zackoflex&hängengeblieben Schlüsselbeinbruch treppab vor die Füße & war ihr -,der Welfin die Queen & diese ganze Windsormischpoche dank ihres freigeistigen Vaters - sowas von wumpe “bloß weil sich ein Herr - der sich von Windsor zu nennen beliebt -einen Strick um den Hals würgt & sich einen Kniff in seine Beinkleider bügeln läßt - müssen wir das noch lange nicht machen!“ (über den Pfaffen von Rom noch abfälliger!;))! So ging das am Meter



      Nein. Für Begräbnisse interessierte sie sich - vor sich hinhäkelnd - nicht die Bohne. Gab schließlich jedem nochmals schmunzelnd die Hand & wacht kurz vor 102 eines schönen Morgens einfach nicht mehr auf. Das Land war bestellt •



      ( * 1876 zu Braunschweig Ella Schulze - vom Damme;))

      kurz - Sag‘s ja - andere Generation.