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Biden erklärt Pandemie für beendet

Der US-Präsident bringt mit seiner Aussage Gesundheitsvorsorge für Millionen Menschen in Gefahr

Von Bernd Pickert

US-Präsident Joe Biden hat die Coronapandemie für die USA für beendet erklärt. In einem am Sonntag in der Sendung „60 Minutes“ des Senders CBS ausgestrahlten Interview erklärte Biden: „Wir haben noch immer ein Problem mit Covid. Wir stecken da immer noch eine Menge Arbeit rein, aber die Pandemie ist vorbei.“ In dem Interview, das am vergangenen Mittwoch am Rande einer Autoshow in Detroit geführt wurde, sagte Biden weiter: „Sehen Sie sich um, niemand trägt Masken. Alle sehen ziemlich gut in Form aus. Ich denke, die Dinge verändern sich, und das hier ist ein gutes Beispiel dafür.“

In den USA sind fast alle Corona-Schutzmaßnahmen inzwischen aufgehoben. Derzeit werden rund 57.000 Neuinfektionen mit dem Coronavirus täglich registriert – vermutlich ist die tatsächliche Zahl höher, weil nicht jede Infektion gemeldet wird. Aber auch Ex­per­t*in­nen sind sich einig, dass das die niedrigste Zahl seit April dieses Jahres ist. Knapp 400 Menschen sterben pro Tag im Zusammenhang mit einer Covid-Erkrankung.

Die Bemerkung des Präsidenten, vermutlich einfach so dahingesagt im Rahmen eines Interviews, in dem Biden vor allem von Erfolgen berichten und Optimismus verbreiten wollte, stößt dennoch auf Sorge und Kritik. Denn wenn die Pandemie vorbei ist, dann dürften auch die mit einem Gesundheitsnotstand begründeten Finanzierungsmaßnahmen auslaufen. Die Washington Post zitiert den Thinktank The Urban Institute mit der Sorge, in diesem Falle könnten rund 15,8 Millionen US-Amerikaner den Zugang zu Medicaid verlieren, der staatlichen Gesundheitsvorsorge.

Tatsächlich versucht die Regierung, im Kongress eine Mehrheit für die Verlängerung der Notmaßnahmen zu finden, um weiterhin etwa Impfstoffe und deren Entwicklung staatlich finanzieren zu können. Nach der Ausstrahlung von Bidens Aussagen am Sonntag äußerten sich republikanische Po­li­ti­ke­r*in­nen sofort zweifelnd, warum man das tun sollte, wenn die Pandemie vorbei sei. Leitende Mit­ar­bei­te­r*in­nen des Gesundheitsministeriums zeigten sich laut Washington Post überrascht von Bidens Aussage. Es wäre nicht das erste Mal, dass Biden seine eigenen Mitarbeiter überrascht – er ist seit Jahren für sprachliche Versehen bekannt.

Der Leiter der Weltgesundheitsorganisation, Tedros Adhanom Ghebreyesus, hatte am Mittwoch noch gesagt, die Pandemie sei keineswegs vorbei. „Ein Ende ist in Sicht, aber wir sind noch nicht dort. Wir sehen die Ziellinie, aber jetzt wäre der schlechteste Moment, mit dem Rennen aufzuhören“, sagte er.

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