Reaktion auf die Proteste in Iran: Sanfter Druck aus der Ferne
Nach der Gewalt gegen Demonstrierende in Iran bestellt Außenministerin Baerbock den Botschafter ein. Menschenrechtsvereine fordern einen Abschiebestopp.
Baerbock selbst bestellte am Montagnachmittag den iranischen Botschafter Mahmoud Farazandeh zu einem Gespräch ins Auswärtige Amt ein. „Wir werden im EU-Kreis jetzt sehr schnell über weitere Konsequenzen sprechen müssen, dazu gehören für mich auch Sanktionen gegen Verantwortliche“, sagte die Grünen-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur. „Der Versuch, jetzt friedliche Proteste mit noch mehr tödlicher Gewalt zu unterdrücken, darf nicht unbeantwortet bleiben.“ Frauenrechte seien „der Gradmesser für den Zustand einer Gesellschaft“, so Baerbock. „Wenn in einem Land Frauen nicht sicher sind, ist niemand sicher.“
Die Proteste in Iran, angeführt von zahlreichen Frauen, begannen nach dem Tod einer jungen Kurdin vor einer Woche. Die 22-jährige Mahsa Amini wurde von der iranischen Sittenpolizei wegen eines Verstoßes gegen die strenge islamische Kleiderordnung verhaftet. Kurz darauf fiel sie ins Koma und starb in einem Krankenhaus. Was genau in der Haft mit ihr geschah, ist nach wie vor unklar.
Versprechen von feministischer Außenpolitik
Als Reaktion auf den Tod der jungen Frau forderte Baerbock bereits am Rande der UN-Vollversammlung in New York eine Aufklärung des Falls vor dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen. Die Frauen in Iran müssten „gehört werden, denn diese Frauen fordern Rechte ein, die allen Menschen zustehen“.
Kritiker:innen hingegen sprechen angesichts dieser Aussagen von einer Verallgemeinerung des Problems und fordern von Baerbock die bei Amtsantritt versprochene feministische Außenpolitik. „Das Schweigen führender Mitglieder der Bundesregierung zum Leiden vieler mutiger Frauen in Iran steht im Widerspruch zu den Lippenbekenntnissen der Ampelregierung“, sagte Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag.
Die Vorsitzende der Linken, Janine Wissler, sprach sich dafür aus, „Menschen, denen in Iran Misshandlungen oder der Tod drohen und die davor fliehen“, in Deutschland Schutz und Asyl zu geben. Gleichzeitig müsse die Bundesregierung Abschiebungen in den Iran stoppen.
Erst vor wenigen Tagen wurde laut Pro Asyl die Abschiebung eines iranischen Mannes, der sich bereits am Frankfurter Flughafen befand, in letzter Sekunde aufgrund einer Neubewertung des Falls abgebrochen. Das beweise jedoch, dass iranische Staatsangehörige bis zuletzt noch in Abschiebehaft genommen wurden, heißt es aus der Organisation. Auf taz-Nachfrage, ob derzeit Abschiebungen aus Deutschland in den Iran stattfinden, antwortete das Bundesinnenministerium (BMI), die Entscheidung über die Vergabe von Asyl liege beim Bundesamt für Migration und Flucht. Sie „ergeht nach sorgfältiger Prüfung im Einzelfall und unterliegt keiner Weisung durch das BMI“.
28 Abschiebungen in den Iran
Die rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl, Wiebke Judith, sagte der taz, die Situation in Iran sei „derzeit derart unübersichtlich, dass wir nicht wissen, was aus Deutschland Abgeschobenen dort droht“. Frauen in Iran werden seit Jahrzehnten unterdrückt, genauso wie Regimekritiker:innen, queere Menschen und zum Christentum Konvertierte.
Im vergangenen Jahr wurden nach Angaben der Bundesregierung 28 Personen in den Iran abgeschoben. Gleichzeitig hatten über 3.600 Menschen aus dem Iran einen Antrag auf Asyl in Deutschland gestellt. In knapp 1.200 Fällen wurde der Antrag bewilligt, der Großteil der Verfahren läuft noch. In diesem Jahr wurden laut Bundesinnenministerium bis einschließlich August etwas mehr als ein Drittel der Asylanträge von iranischen Staatsangehörigen abgelehnt.
Am Wochenende fanden in mehreren deutschen Städten Demonstrationen aus Solidarität mit den Protesten in Iran statt. In Berlin, Leipzig, Frankfurt am Main, Stuttgart und Düsseldorf gingen teils mehrere hundert Menschen auf die Straße. Den größten Zulauf hatte eine Demonstration in Hamburg, an der mehr als tausend Personen teilnahmen.
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