Vorschau Berlin Art Week: Im Haus der Beere
Schuhe mit Brüsten, Alter Egos und sprechende Hände: Diese Woche startet die Berlin Art Week. Parallel werden Erdbeerhäuschen zu Kunstbuden.
T raurig, aber wahr, die Erdbeersaison 2022 ist vorüber. Lange schon. Pause haben damit auch die vielen in der Stadt verteilten Verkaufshäuschen von Karls Erdbeerhof, in denen sich Liebhaber*innen der süßen Früchte zuverlässig mit Nachschub versorgen konnten. Ein Grund für zu viel Erdbeerwehmut sollte das jedoch nicht sein, denn die beiden Berliner Künstlerinnen Christl Mudrak und Alex Müller sorgen für saftigen Ersatz und eröffnen pünktlich zur Berlin Art Week ihr Musée de la Fraise. Zwölf von Karls Erdbeerhäuschen haben sie sich dafür ausgeborgt und gemeinsam mit zwölf Künstlerinnen wie der Video- und Installationskünstlerin Shana Moulton in Kunstbüdchen umfunktioniert.
Versprochen wird „eigenständige positive Radikalität“. Wie das aussehen soll? Käthe Kruse nimmt sich am Bahnhof Zoologischer Garten Themen wie Abtreibung, Rechte afghanischer Frauen und Transgender-Fragen an und will diese mithilfe von Sprach- und Klang-Performances mit Passant*innen diskutieren.
Laure Prouvost lädt Besucher*innen ein, in bronzenen Schuhen in Form von Brüsten über Mutterboden zu laufen. Claudia Wieser lässt ihr Häuschen mit gefliesten Skulpturen zur wilden Architektur anwachsen. Zur Eröffnung am Mittwoch gibt es eine Bustour zu allen zwölf Standorten.
Berlin Art Week: 14.–18. 9., berlinartweek.de; Musée de la Fraise: Eröffnung 14. 9., Infos & Führungen: museedelafraise.de; Wentrup: Karl Haendel, „Praise Berlin“, Eröffnung 17. 9., 17 Uhr; Johannes Büttner & Steffen Köhn: Eröffnung 13. 9., 18 Uhr; 14.9.–1.10. Mo.–Fr. 10–17 Uhr & zu den Abendveranstaltungen im Kaminzimmer des Li-Be, literaturhaus-berlin.de
Auch wenn in diesem Jahr offiziell kein zweites Gallery Weekend parallel zur Art Week stattfindet, melden sich die Galerien doch mit einem hochkarätigen Programm aus der Sommerpause zurück. So etwa Ed Atkins, der bei Isabella Bortolozzi eine Einzelausstellung ausrichtet. Zu sehen ist dort unter anderem Atkins Videoarbeit „The Worm“, die er für das New Yorker New Museum anfertigte und in der ein gerendertes Alter Ego des Künstlers ein Telefonat mit seiner – nicht zu sehenden – Mutter führt.
Die Arbeit entstand während des covidbedingten Lockdowns und macht die aus der Zwangstrennung folgende Entfremdung zwischen Familienmitgliedern in Atkins typischer, glitchiger Manier spürbar. Auch „Sorcerer“, ein Langfilm, den der Künstler gemeinsam mit Steven Zultanski produzierte, handelt von Intimität und ihren Grenzen, von Nähe und Distanz zwischen Menschen. Er läuft zeitgleich in Bortolozzis Zweitraum Eden Eden.
Gestisches Spiel
Bei Wentrup wiederum überlässt Karl Haendel den Händen das Sprechen. Für seine Ausstellung „Praise Berlin“, die als Dokumentation der religiösen und ethnischen Vielfalt Berlins verstanden werden kann, traf er sich mit religiösen Führer*innen der Stadt und porträtierte ihre Hände im gestischen Spiel. Digital manipulierte er diese Aufnahmen – mit allerlei Verweisen auf religiöse Ikonografien und kunsthistorische Vorbilder – mitunter bis zur physischen Unmöglichkeit und zeichnete sie dann fein säuberlich und riesig groß mit dem Bleistift nach.
Ergänzend zu den Galerieausstellungen gibt es neben der Positions Art Fair noch gleich drei messeähnliche, aber kleinere, feinere Formate zu besuchen, den Amtsalon in Charlottenburg (ab 16. September), die Hallen#3 in den Wilhelm Hallen in Reinickendorf hat schon seit letzten Samstag geöffnet, und The Fairest startet am Dienstag (13. September) im Kühlhaus.
Art Week ist, wenn man nicht weiß, auf welche der vielen Veranstaltungen man gehen soll. Keine schlechte Wahl unter all den Möglichkeiten ist es, am Dienstag (13. September) dem Literaturhaus einen Besuch abzustatten. Dort eröffnet der Künstler Johannes Büttner gemeinsam mit dem Filmemacher und Sozialwissenschaftler Steffen Köhn unter dem Stichwort „Flexploitation“ eine immersive Installation im Kaminzimmer. Thema ist die Zukunft der Arbeit im Plattformkapitalismus.
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Neben der begehbaren Installation „Plattform“ ist eine Gesprächsreihe zum Thema geplant. Seit einiger Zeit schon beschäftigt sich Büttner mit der sogenannten Gig-Economy, mit jenen Arbeitsverhältnissen also, bei denen sich Menschen von einem kleinen Auftrag zum nächsten hangeln, mit Fahrdiensten etwa oder der Auslieferung von Essen. Filmisch vermengen die beiden das nun mit Sci-Fi und gelangen zu einer Sprache, die sich dabei ziemlich real und umso bedrückender anfühlt.
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