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20.000 Schulplätze fehlenStuhl an Stuhl

Berlin fehlen über 20.000 Schulplätzen. Dennoch sei für jedes Kind ein Platz gefunden, sagt Bildungssenatorin Busse (SPD). Eltern organisieren Protest.

Wie viele Schulplätze man braucht, kann man so oder so berechnen. Das Ergebnis ist dasselbe: Irgendwo findet sich noch ein Stuhl Foto: picture alliance/dpa | Jens Kalaene

Berlin taz | Eine gute Nachricht hatte Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) am Donnerstag im Bildungsausschuss des Abgeordnetenhauses: „Alle Kinder sind auf ihren Plätzen.“ Was Busse meinte: Je­de*r Schü­le­r*in habe seit Schuljahrsbeginn am 22. August ein Schulplatz zugewiesen werden können. Das war gar nicht so selbstverständlich, wie es klingt. Vor den Sommerferien erhielten Hunderte angehende Siebt­kläss­le­r*in­nen erst verspätet Nachricht da­rüber, an welche weiterführende Schule sie nach den Ferien gehen würden.

Durch „schulorganisatorische Maßnahmen“ sei jetzt aber für jeden ein Stuhl gefunden worden, so Busse. Für aktuell 1.000 ukrainische Kinder, die noch auf einer Warteliste stehen, sei man indes noch „in intensiven Bemühungen“.

Schulorganisatorische Maßnahmen, das wusste auch die Senatorin, sei natürlich ein „etwas nüchterner Begriff“. Ein Abgeordneter übersetzte es schlicht mit: Da habe man die Kinder eben noch in die Klassen „reingequetscht“.

Tatsächlich hatte am Mittwoch ein Monitoringbericht der Bildungsverwaltung zur Schülerzahlentwicklung die Misere offenbar gemacht: Rein rechnerisch fehlen in Berlin demnach 20.600 Schulplätze, davon 11.000 an Grundschulen. 10 Bezirke – alle außer Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg – seien „defizitär“, sagte Busse. Allerdings betonte sie: „Wenn Plätze rechnerisch fehlen, bedeutet das nicht, dass Kinder ohne einen Schulplatz auf der Straße stehen.“

Der Monitoringbericht, hieß es aus Busses Verwaltung, bilde in der Koalition beschlossene und über den Status quo hinausgehende „Standards zu Ganztag, Inklusion und Barrierefreiheit oder auch Klimaschutz und Denkmalschutz ab“. Das führe „zu erhöhten Raumbedarfen“. Man gehe aber, nicht zuletzt durch die zahlreichen Baustellen im Rahmen der 2016 gestarteten Schulbauoffensive, davon aus, das „rechnerische Defizit“ bis 2026 „sehr deutlich reduzieren“ zu können.

Eltern starten Petition

Elternvertreter, die Gewerkschaft GEW und die Bildungs­in­itia­ti­ve „Schule muss anders“ befürchten das Gegenteil: Sie warnen, die rot-grün-rote Koalition könnte die Mittel für den Schulbau in der Investitionsplanung für die kommenden Jahre empfindlich kürzen. „Auch mittelfristig müssten sich Kinder in zu kleine Klassenzimmer, Speisesäle und Schulhöfe drängen“, heißt es etwa seitens des Landeselternausschusses. Der Bezirkselternausschuss Steglitz-Zehlendorf hat am Donnerstag eine Onlinepetition „Schulbauoffensive retten“ gestartet.

Die Sorge dürfte nicht unbegründet sein: Auch die Bezirke hatten bereits protestiert, als sie vor der Sommerpause einen ersten Entwurf der Finanzplanung sahen. Mittes Schulstadträtin Stefanie Remlinger (Grüne) sprach in der taz von Hunderten Schulplätzen im Bezirk, deren Realisierung sich verzögern könnte. Nicht zuletzt angesichts des Ukrainekriegs und der Energiekrise lasten viele Begehrlichkeiten auf dem Landeshaushalt. Am 13. September will der Senat voraussichtlich die Investitionsplanung für 2022–2026 beschließen.

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