CDU-nahe Berichterstattung: Beißhemmungen beim NDR
Nach Beschwerden eines Reporters über politische Einflussnahme seiner Kieler Vorgesetzten schaltet sich der Landesrundfunkrat ein.
Aus ihrer Sicht haben sie nichts falsch gemacht, als sie vor zwei Jahren einem Reporter untersagten, ein Interview mit dem von Ministerpräsident Daniel Günther zum Rückzug gezwungenen Innenminister Hans-Joachim Grote (beide CDU) zu führen. So hatte es der NDR schon am Mittwoch in einer Stellungnahme geschrieben. Der Anlass für diese: Recherchen des Onlinemagazins Business Insider über Beschwerden von Mitarbeiter:innen über eine CDU-nahe Berichterstattung des Senders.
Das Magazin hatte am Donnerstag aus einem nicht-öffentlichen Papier des NDR zu diesen Beschwerden zitiert. Hauptsächlich geht es darin um den Vorschlag eines namentlich nicht genannten Reporters, Grote kurz nach seinem Rücktritt zu interviewen. Er wollte diesen befragen, warum er bei seinem Chef und CDU-Parteifreund Günther in Ungnade gefallen war. Seine Vorgesetzten lehnten dies ab. Angeblich, weil die Darstellung des Ex-Innenministers nicht relevant sei. Eine solche journalistische Einschätzung mutet sehr ungewöhnlich an – selbst wenn man in Betracht zieht, dass ein Fernsehinterview einen Sender sehr viel teurer zu stehen kommt als ein Interview für einen Zeitungsartikel.
Statement des Ex-Innenministers entschärft
Zuvor hatte die Ressortleiterin Julia Stein laut Business Insider bereits ein schriftliches Statement des Innenministers so verändert, dass es keine direkten Angriffe auf den Ministerpräsidenten mehr enthielt. Der Reporter – der jetzt in einer anderen NDR-Redaktion arbeiten soll – hatte sich daraufhin mit einer Beschwerde an den Redaktionsausschuss des NDR gewandt. Das Gremium besteht aus 17 bis 19 freien und fest angestellten Journalist:innen. Eine seiner Aufgaben ist laut Redaktionsstatut die Schlichtung in genau solchen inhaltlichen Konflikten zwischen Mitarbeiter:innen und ihren Vorgesetzten.
Die Befassung des Redaktionsausschusses bestätigt der NDR in seiner offiziellen Stellungnahme, in der der Sender den Vorgang für abgeschlossen erklärt; das interne Papier ist der Abschlussbericht des Ausschusses. Allerdings räumt der Sender in seiner Stellungnahme ein, dass es nach wie vor unterschiedliche Einschätzungen zu dem abgesagten Interview gibt. „Der Redaktionsausschuss kommt in seiner abschließenden Bewertung vom Dezember 2021 zu dem Ergebnis: Ja, das Interview hätte geführt werden müssen“, heißt es in der Stellungnahme. Der Redaktionsausschuss wird in einer eigenen Stellungnahme deutlicher: „Der NDR hat die Chance nicht genutzt, konkrete und kritische Fragen an einen entlassenen Minister zu stellen.“
Der Sender stellt sich aber aufseiten der Leitungsebene, die sich damit verteidigt, das Interview wäre „auf Basis unbelegter Informationen“ angefragt worden, der Reporter hätte diese erst weiter recherchieren müssen. Der Redaktionsausschuss sei auch hier anderer Meinung, schreibt der NDR: Nach dessen Einschätzung stellten „auch Interviews eine Form der Recherche dar“. Zum Hintergrund: Es gehört zur journalistischen Praxis, zur Aufklärung eines Sachverhalts alle Beteiligten anzuhören. In manchen Fällen werden die Aussagen als Zitate in einen Fließtext eingearbeitet, in anderen als Wortlaut-Interviews gedruckt oder gesendet.
Im Fall des geschassten schleswig-holsteinischen Innenministers hätten sich vermutlich viele Redaktionen für ein Interview mit ihm entschieden, weil die Hintergründe seines Rücktritts bis heute nebulös geblieben sind. Der Ministerpräsident hatte damals gesagt, er habe das Vertrauen in Grote verloren, nachdem dieser Informationen, „die das politische Handeln betreffen“, ausgeplaudert habe – an einen Polizeigewerkschafter und einen Journalisten. Dies habe er Chatprotokollen zwischen den beiden entnommen, die die Staatsanwaltschaft im Zuge von Ermittlungen gegen den Gewerkschafter sichergestellt hatte. Grote hatte bestritten, Dienstgeheimnisse weitergegeben zu haben.
Inwiefern das nicht geführte Interview Symptom einer zu großen Nähe zwischen führenden NDR-Journalist:innen und der schleswig-holsteinischen Landesregierung ist, ist unklar. Der Redaktionsausschuss schreibt dazu: „Den Verdacht, dass eine politische Motivation hinter der Absage des Interviews stehen könnte, macht sich der Redaktionsausschuss nicht zu eigen.“
Weitere Anzeichen für „Hofberichterstattung“
Dennoch gibt es weitere Anzeichen beim NDR für etwas, das Journalist:innen „Beißhemmung“ nennen, wenn sie selbst oder Kolleg:innen Sympathien für eine Partei hegen oder gar mit Politiker:innen befreundet sind. Diese werden dann unter Umständen weniger „hart angefasst“ als Mitglieder anderer Parteien. Das gibt es nicht nur beim NDR, sondern in vielen Redaktionen, auch bei der taz. Problematisch wird dies, wenn Führungskräfte eine „gefärbte“ Berichterstattung ihrer Mitarbeiter:innen erzwingen, also keinen Meinungspluralismus zulassen und eine objektive Berichterstattung verhindern, wie es jetzt beim NDR der Fall gewesen sein könnte.
Dafür will das Magazin Stern weitere Belege gefunden haben. Am Freitag berichtete es, wie der NDR, anders als andere Medien, zunächst weder Anfang des Jahres über Vorwürfe gegen den CDU-Landtagspräsidenten berichtet hatte – noch 2019 über einen alkoholinduzierten Unfall von Hans-Jörn Arp, dem Parlamentarischen Geschäftsführer derschleswig-holsteinischen CDU-Landtagsfraktion. Betrunken haben soll er sich laut Stern unter anderem mit dem stellvertretenden Leiter des jetzt in der Kritik stehenden NDR-Ressorts. Eine NDR-Sprecherin bestätigte der taz, die Nicht-Berichterstattung über den Unfall sei ein „Versäumnis“ gewesen.
Der NDR hat sich in seiner Stellungnahme auch dazu geäußert, dass sich im Zuge des Streits um das nicht geführte Interview acht weitere Mitarbeitende des Funkhaus in Schleswig-Holstein an den Redaktionsausschuss gewandt und von einem „Klima der Angst“ berichtet hätten. Zu diesem Thema seien zahlreiche Gespräche geführt worden, teilt der NDR mit, erhärtet hätte sich der Vorwurf nicht. Es würden aber weitere Gespräche geführt. Nachfragen der taz über die Form dieser Gespräche wollte die Sprecherin nicht beantworten.
In ihren Berichten zitieren Stern und Business Insider zwar Mitarbeitende, die eine zu große Nähe ihrer Vorgesetzten zur Regierung bestätigen und eine daraus resultierende „Hofberichterstattung“, können aber keine Belege für ein „Klima der Angst“ liefern.
SPD will Aufklärung
Unterdessen hat die SPD-Fraktion eine Kleine Anfrage im Kieler Landtag angekündigt, in der sie die Landesregierung auffordert zu erklären, „welche Kontakte zwischen dem Kabinett mit seinen Staatssekretärinnen und Staatssekretären sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des NDR mit Leitungsfunktion zwischen April 2020 und Juni 2022 stattgefunden haben“. Die für Donnerstag angekündigte Anfrage der SPD lag am Freitagnachmittag bei Redaktionsschluss nicht vor.
Am Montag will sich der Landesrundfunkrat als Kontrollgremium des öffentlich-rechtlichen Senders mit dem Thema befassen.
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