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Im Rausch des Radelns

Fahrräder sind längst Status- und Kunstobjekte: Ausstellungen in Wilhelmshaven und Bremen blättern dazu faszinierende Panoramen auf. Nur Zielstrebigkeit ist nicht so ihr Ding

Hannes Langeders Fahrradi kommentiert sarkastisch die egoblähende Fetischisierung von Transportmitteln Foto: Langeder/Städtische Galerie Bremen

Von Jens Fischer

Der rostig treue Drahtesel ist längst nicht mehr Sinnbild des Zweiradglücks. Das Fahrraduniversum besteht in unseren Klima- und Mobilitätswandelzeiten aus mehr als Materie, Wille und Kraft. Aus dem Fortbewegungs- ist ein Fortschrittsmittel geworden – ein Kultobjekt wie auch Kerninstrument der zukunftsorientierten Stadt- und Verkehrs- sowie abgasfreien Freizeitplanung.

Laut Statistik gammeln derzeit 82 Millionen Exemplare in den Kellern Deutschlands herum oder juckeln durch seine Todeszonen, die Straßen. Tendenz steigend – auch dank der sozialen Distanzierungsetikette in Coronazeiten. Da können Aus­stel­lungs­ma­che­r:in­nen nicht länger schweigen. Zeitgenössische Auseinandersetzungen mit dem Fahrradkörper hatte 2021 die Städtische Galerie Delmenhorst gezeigt, pandemiebedingt verspätet vervollständigen jetzt die Kunsthalle Wilhelmshaven und die Städtische Galerie Bremen mit ihren velophilen Sichtweisen das norddeutsche Ausstellungstriptychon zur Fahrradkultur. Dabei wird weniger das Technische fokussiert als das Skulpturale.

Da Bremen einen Radverkehrsanteil von immerhin 25 Prozent hat, widmet sich die hansestädtische „Bike in head“-Schau dem Vehikel als Arbeits- und Sportgerät, Lifestyle-Produkt, Statussymbol sowie Lebenskonzept, in der Marinestadt, 15 Prozent Radverkehrsanteil, feiert die Ausstellung „Cyclophilia“ das Rad als Musikinstrument.

Mit einem Frank-Zappa-Video geht’s los. Brav rasiert, ordentlich geschnittener Anzug und gepflegter Haarschnitt, aber dadakeck gibt der spätere Jazz-Rock-Klassik-Freak in einer TV-Show (1963) ein Fahrradkonzert, zupft an Speichen, betrommelt den Rahmen, bläst auf dem Lenker. So inspiriert, kann der Betrachtende selbst aktiv werden. Milchschäumer, Schneebesen, Holzlöffel, Spielkarten, Cellobogen sind ausgelegt, um damit Radfragmente im Museumsfoyer zu traktieren. Nicht nur für Kinder ein kakophonisches ­Vergnügen. Das ist das, was die Chefin des Hauses, Petra Stegmann, als Kuratorin der Schau reizt: der skurril verspielte, bastelcharmige, experimentell unideologische und eben klangliche Umgang mit diesem abgefahrenen Objekt, ohne dass es als Symbol für vernünftigen Fortschritt, Klimabewusstsein, Entschleunigung usw. herhalten muss. Beispielhaft dafür der gebürtige Wilhelmshavener und seit Langem in Bremen beheimatete Künstler Michael Rieken. Er hat 32 remixte Klaviersonaten Beethovens für diejenigen als Antwort parat, die ihre Umwelt ungefragt mit ihren Lieblings-Hip-Hop-Beats nerven. Pedaleros dürfen sich im Museum ein Rieken-Rad mit Grammofontrichter leihen, der mit der Klavierklassik gefüttert wird. „Die Aufnahme dauert acht Stunden, wer sie komplett hören will, kann damit bis nach Emden radeln“, so Stegmann, selbst begeisterte Radlerin.

Die Ausstellungen

Bike in head, Städtische Galerie Bremen, Buntentorsteinweg 112, als Fahrrad-Drive-in zu besuchen, bis 18. 9.

Cyclophilia. Das Fahrrad in Kunst und Musik, Kunsthalle Wilhelmshaven, bis 18. 9. In Wilhelmshaven gibt es neben einer Kuratorenführung am 18. 8. diverse Termine: Am 25. 8. zeigt Local Hero Dieter Suhr aus Rastede seine Fahrrad-Kreationen, am 4. 9. gibt es Mini-Konzerte mit dem Frantic-Percussion Ensemble, Michael Rieken lädt am 11. 9. zur „Ludwig van Loop“-Tour. Zum Abschluss wird Hannes Langeder gleich zweimal die Performance „BikeOOMbox“ präsentieren – am 16. und 18. 9.

So vollumfänglich genossen werden können andere Werke nicht. Das zweisaitige Beam-Cello von Hans van Koolwijk steht ratlos als nicht berührbares Ausstellungsstück auf drei Rädern herum, wurde nur an einem Tag mit musikbildenden Bogenführern zum Leben erweckt, indem sie mit der Immaterialität der konstitutiven Elemente Ton/Klang die bildkünstlerische Ästhetik des Objektes transzendierten.

Was auch Matthias Kauls „Wheeled“ mit fünf Schlagzeugern an fünf Fahrrädern versucht – als komponierten Transfer der Fahrgeräusche in ein sausewindiges Hörerlebnis. Leider ist das auch nur einmal live, sonst als Konzertmitschnitt zu erleben. Ungerührt davon sendet Leonardo Ulians „Quiet rhythmic rush“ permanent fragiles Wummern aus. Ein Plattenspieler treibt ein Fahrrad als Impulsgeber ominöser Elektronik an, das an einem Theremin vorbeirotierende Pedal sorgt für rhythmische Strukturierung. Monoton ist der Sound – wie eine Radtour durchs niedersächsische Flachland.

Die Ausstellung bietet ein reizvolles Sammelsurium, das aber von keiner einordnenden Erzählung zusammengehalten wird. Mit John Bocks lässig an Betonwände gelehnten Prototypen, die aus mehreren Rädern zu einem neuen Modell collagiert wurden, knüpft Stegmann an die Delmenhorster Schau an, dank Hannes Langeders SF-Szenario „HRIMFAXI“ mit Alien und Ei, aus dem kosmischer Alu-Schleim ein Stahlross wuchernd erobert, schlägt sie den Bogen nach Bremen: Dort ist ein knatschrot als Ferrari verkleidetes Fahrrad des österreichischen Künstlers zu sehen, als Verhöhnung der egoblähenden Fetischisierung von Transportmitteln. Leider nicht ausleihbar.

Zur Benutzung fordert Kurator Ingmar Lähnemann aber ausdrücklich bei Wolfgang Zachs fantasievollen Upcycling-Schweißarbeiten aus den 1970ern auf. Klassisch ihr Verfremdungseffekt: Die Rad-Objekte sind nicht fahr-, lediglich schieb- oder tragbar. Was noch mal die Ingenieursgenialität in Erinnerung ruft, die es mit den gleichen Bausteinen wie Zach ermöglicht hat, dass wir uns dank mechanisch-analoger Raffinesse nur durch die eigene Körperkraft und zirkusreifes, heutzutage aber wie selbstverständlich praktiziertes Balancieren durch die Welt bewegen können. Oder durch die Ausstellung, dank einer Initiative zum Thema „Museen“ öffnen sich neuen Besuchergruppen.

Vom angrenzenden Weserradwanderweg wurde eine Rampe direkt in die Ausstellung gebaut. Jedes bemannte und befraute Rad kann dort kostenfrei hineinrollen

Denn vom angrenzenden Weserradwanderweg wurde eine Rampe direkt in die Ausstellung gebaut. Jedes bemannte und befraute Rad kann dort kostenfrei hineinrollen, um sich etwa an 130 Tuschezeichnungen von Kosuke Masuda zu erfreuen, die Radler und Natur immer wieder neu miteinander verschmelzen lassen. Die „Held*innen“-Serie von Jens Weyers zeigt Porträtfotos geliebter Bonanza-, Lasten-, Renn- und City-Räder, die wie antike Heroen deutliche Gebrauchsspuren zeigen, in diesem Fall von Kämpfen gegen das Wetter und mit maroden Radwegen, raubaukigen Parkkonkurrenten, Straßen leerräumenden SUV-Panzer- oder achtlos rechts abbiegenden Lkw-Fahrern.

Feministischer Ausdruck der Fan-Kultur ist das ausliegende Zine von Fahrradkurierinnen, die über sexistische Werbung, aggressive Wettrennspiele mit Männern und passende Sättel für Flinta*-Vulven räsonieren. Amüsant kritisch kommt die Fotoserie „Recap“ von Tobias Hübel/Anne Krönker daher. In Hochglanzwerbeästhetik posieren Bi­ke­r:in­nen mit ihren aalglatten Bäuchen, gepolsterten Unterhosen und Edelmetall-Velocepeds als Deko der Selbstoptimierung – satirisch kontrastierend malte ihnen eine Maskenbildnerin Schürfwunden aufs Knie und blaue Flecken an die Oberschenkel. Aram Bartholl ergänzt ein politisches Statement und vollzieht die Verkehrswende in einer Video-Doku höchstselbst, in der er Luft aus Autoreifen lässt und sie in Fahrradreifen neu beheimatet.

Nur wie in Wilhelmshaven fehlt leider auch in der Städtischen Galerie die kuratorische Stringenz einer narrativen Verknüpfung der künstlerischen Positionen. So bleibt es bei punktuellen Entdeckungen, um die Fahrrad- als geistige Fortbewegungskunst zu nutzen.

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