Nachruf auf Olivia Newton-John: Long live your love, Livvy!
Olivia Newton-John war „Xanadu“, „You’re The One That I Want“ und „Physical“. Nun ist die Popsängerin im Alter von 73 Jahren gestorben. Ein Nachruf.
Wer in den Siebzigern, was Coolness anbetrifft, entweder auf stärkste Exzentrizität hielt oder einfach nur doof war, zur Pose unbegabt, antwortete auf die Frage, wer die tollste Sängerin überhaupt sei, für jetzt und alle Zeiten, nur dies: „Olivia Newton-John!“
Das war die in England geborene Australierin, die Bob Dylans Titel „If Not For You“ 1971 zum echten Brilli des Pop aufpeppte, die George Harrisons „What Is Life?“ auffönte und 1974 für das United Kingdom beim Eurovision Song Contest mit „Long Live Love“ an den Start ging, einer Hymne auf die Heilsarmee, von niemandem so recht bemerkt oder gar kritisiert, die sie hasste, weil sie ein aufgebauscht-züchtiges Babyblauabendkleid (nach einer Publikumsabstimmung, ob Hose oder Kleid) zu tragen hatte – und weil sie auch das Lied nicht mochte.
Olivia Newton-John hatte eine außergewöhnlich helle, sehr schöne Stimme. Livvy, wie ihre Fans sie nennen, war so ganz das „Mädchen von nebenan“, eine Zuschreibung, die sie einerseits für sich als Person verharmlosend fand, andererseits aber bejahte: „Tja, was soll ich sagen? Ich bin freundlich, das ist doch nicht schlecht, oder?“
Ihr Showtalent blieb freilich unentdeckt, in den Zeiten des Rocks, später des Glam oder gar des Punks war sie jene, die Kindern gefiel und deren Eltern – aber nicht Heranwachsenden: Olivia Newton-John war die skandalloseste Sängerin im Abermillionenumsatzsegment, verzweifelt von ihren Produzenten (alles Männer) mal auf diese, mal auf jene Spur gesetzt.
Sie war die freundliche junge Frau
Als diese Männer sie in den frühen bis mittleren Siebzigern in den Country lancierten, sie als australische Migrantin also in Nashville unterbrachten, protestierten die Granden des Fachs: So eine sei nicht glaubwürdig, nicht lagerfeuermäßig genug imaginierbar. Dolly Parton und Loretta Lynn, Königinnen in der Musik der sogenannten Cowboys, nahmen sie hingegen in Schutz, noble Frauen schon immer, die wussten, wie männlichen Reinheitsgeboten beizukommen ist, nur mit Protest.
Olivia Newton-John war die Enkelin des britischen Nobelpreisträgers Max Born, eines Physikers, der als jüdischer Deutscher mit seiner Familie vor den Nazis aus Deutschland fliehen musste. Ihre Kindheit verbrachte sie in Cambridge, England. Mit ihrer Familie nach Australien ausgewandert, fühlte sie sich, nicht untypisch für Frauen jener Jahre, für einen Berufsweg ins Wissenschaftliche eher ungeeignet, sie traute es sich nicht zu. Also folgte sie ihrer Lust an der Bühne, am Gesang, am Darstellerischen.
Irgendwann wurde sie tatsächlich ‚entdeckt‘, von Mitgliedern der Cliff-Richard-Begleitband The Shadows. Der Rest ist Geschichte: Newton-John wurde vielleicht gerade deshalb so überaus erfolgreich im Pop, weil sie eben keine auf Anzüglichkeit und Zwiespältigkeit getrimmte Aura zu verkörpern hatte. Sie war die freundliche junge Frau, die als Sängerin erfolgreich sein kann – ohne Drogen- oder sonstige Verruchtheitsaufregungen.
Insofern war es keineswegs Zufall, dass sie 1978 – auf dem Zenit des Punk und des Pomp-Rock à la Genesis – der Rolle der Sandy zusagte, im Musical „Grease“, neben John Travolta, der eben noch den Helden des ewig unterschätzten Proletendiscofilms „Saturday Night Fever“ gespielt hatte. Mit ihm intonierte sie die entscheidende Tonspur „You’re The One That I Want“. Auf Youtube findet sich der Clip mit dem entscheidenden Ausschnitt ihrer Performance, in der sie es vom putzigen Entlein zur selbstbestimmten Schwänin bringt.
Die Popkritik mäkelte
Das nächste Musical, „Xanadu“, war künstlerisch nicht der Rede wert, aber ihr Titellied „Xanadu“ war die Antithese zu Weltschmerz- und Apokalypsepop wie in den konventionellen und konfektionierten ästhetischen Entwürfen von Supertramp, Al Stewart oder selbst Kate Bush: Olivia Newton-John war vielleicht viel zu gutgelaunt, selbstbestimmt definierend, dem Leben zugewandt, als dass sie mäkelige Rock- und Popkritik – die nie auch nur ein gutes Haar an ihr gelten ließen, alles an ihr sei falsch und flach – hätte interessieren müssen.
Olivia Newton-John hat noch weitere Relaunches hinter sich bringen müssen, der zum Vamp wie in „Physical“ etwa. Es war die Ära der Aerobic-Selbstoptimierungsstrategien, wie man im Clip zum Song sehen kann. „Physical“ gefiel ihr am wenigsten, so sagte sie später: „Ich habe mich da nicht so behaglich gefühlt.“
Sie war da längst zur Ikone geworden, ein Star, der keine Rechtfertigung mehr braucht, schon gar nicht in all den Halls of Coolness. 1992 wurde bei ihr erstmals Brustkrebs diagnostiziert. Sie bekämpfte ihre Erkrankung intensiv, machte anderen Frauen mit dieser Diagnose Mut, gründete eine Brustkrebsorganisation zur Förderung wissenschaftlicher Forschung zu diesem Krankheitsfeld. Am Montag ist sie an den Folgen neuerlich wachsender, nicht mehr zurückzudrängender böser Zellen auf ihrer Ranch in Kalifornien gestorben. Sie hinterlässt eine trauernde Familie.
Freunde und Freundinnen kondolierten, John Travolta, Dolly Parton und viele andere – Barbra Streisand, die mit ihr befreundet war und selbst erst 80 Jahre alt ist, schrieb auf Instagram: „Zu jung, um diese Welt zu verlassen.“ Olivia Newton-John, sie war eigentlich eine der wenigen echt Coolen in ihrer Zeit: kaum beirrbar das Gute wollend.
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