piwik no script img

Antiziganismus in der UkraineDiskriminierung im Kriegsgebiet

Der Antiziganismusbeauftragte Daimagüler hat Rom:­nja in der Ukraine besucht. Er berichtet von einer Zunahme der Diskriminierung infolge des Kriegs.

Warten am Bahnhof in Prag: Roma aus der Westukraine Foto: Allegra Schneider

Berlin taz | Nach einem Besuch in der Ukraine kritisieren deutsche Vertreter der Sin­ti:z­ze und Rom­n:ja „unhaltbare Zustände“ in Siedlungen für Geflüchtete und berichten von Benachteiligung ukrainischer Rom­n:ja bei der Verteilung von Hilfsgütern. Die Ausgrenzung von Rom­n:ja in der Ukraine habe mit dem Krieg „massiv“ zugenommen, sagte am Freitag Mehmet Daimagüler, Beauftragter der Bundesregierung gegen Antiziganismus, bei einem Pressegespräch.

Gemeinsam mit Daniel Strauß, Co-Vorsitzender der Bundesvereinigung Sinti und Roma und Romeo Franz, Grünen-Politiker und Mitglied im Europäischen Parlament, war Daimagüler Ende Juli in die Städte Kiew, Lwiw und Uschhorod gereist. Dort sprachen sie mit mehreren Romn:ja-Organisationen und Ver­tre­te­r:in­nen der ukrainischen Regierung, um sich ein Bild von der Lage im Kriegsgebiet zu machen.

„Was wir dort gesehen haben, hat uns alle geschockt und sehr betroffen gemacht“, sagte Grünen-Politiker Franz am Freitag in dem Pressegespräch des Bundesfamilienministeriums. Er berichtete von einer Siedlung ­in einem Wald bei Lwiw, in der etwa 1.400 Rom­n:ja leben. Unter ihnen seien hauptsächlich Kinder und junge Erwachsene. Es gebe dort keinen Strom und keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung.

In der Stadt Uschhorod an der slowakischen Grenze werde Kindern aus der Romn:ja-Community der Schulbesuch verweigert, erzählte Daniel Strauß von der Bundesvereinigung Sinti und Roma. Dabei würden diffamierende und menschenverachtende Argumente wie ein angeblich unangenehmer Geruch der Kinder angeführt. Rund 85 Prozent der Kinder von Rom­n:ja besuchen segregierte Schulen, auf die ausschließlich Mitglieder der Minderheit gehen.

Netzwerke auseinandergerissen

Vor Kriegsbeginn lebten schätzungsweise bis zu 400.000 Rom­n:ja in der Ukraine. Strauß erzählte, etwa 70 Prozent von ihnen wohnten in abgetrennten Vierteln. „Die 30 Prozent in allgemeinen Wohnvierteln leugnen aus Angst vor Diskriminierung aber häufig ihre Identität“, sagte Strauß. Von der ukrainischen Regierung fordern die drei deutschen Vertreter, Rom­n:ja offiziell als Minderheit anzuerkennen. Bereits seit dem 15. Jahrhundert leben sie auf dem Gebiet der heutigen Ukraine.

In der Community ist die Quote an An­alpha­be­t:in­nen hoch, ebenso die Arbeitsloigkeit. Vor dem Krieg habe es aber eine starke Hilfsbereitschaft untereinander gegeben, sagte Daimagüler. Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine und den Fluchtbewegungen sei dieses Netz auseinandergerissen worden.

Anlass der viertägigen Reise von Daimagüler, Strauß und Franz war unter anderem die hohe Zahl an geflüchteten Rom­n:ja aus der Ukraine in Deutschland. Wie viele es genau sind, ist nicht erfasst. Der 2021 gegründeten Melde- und Informationsstelle Antiziganismus wurden bereits mehrere Vorfälle von Diskriminierung gemeldet. In Zügen und an Bahnhöfen wurden größere Gruppen am Aussteigen gehindert, von Po­li­zis­t:in­nen aus dem Zug geworfen oder ihnen wurde der Zugang zu Aufenthaltsräumen für Geflüchtete verwehrt.

Daimagüler nannte es „unerträglich, dass Menschen, die vor zwei oder drei Generationen in Waggons der Deutschen Reichsbahn noch in Konzentrationslager gebracht wurden, heute in Zügen der Deutschen Bahn rassistisch angegangen werden“. Während der Reise hatte er Rom­n:ja getroffen, die den Holocaust überlebt haben.

Hilfe bei der Unterbringung

Die ukrainischen Rom­n:ja reisten auf der Flucht oft in größeren Gruppen mit vielen Kindern. Das mache eine private Unterbringung deutlich schwieriger, weshalb ihr Anteil in Sammelunterkünften überproportional hoch sei, sagte Daimagüler.

Angesichts dieser Herausforderungen vernetzt sich die Bundesvereinigung der Sinti und Roma in Deutschland mit über 40 deutschen Städten und Kommunen, um sie bei der Unterbringung und Versorgung der ukrainischen Rom­n:ja zu unterstützen.

Daimagüler forderte ein „abgestimmtes Vorgehen auf deutscher und europäischer Ebene.“ So solle sichergestellt werden, dass die Hilfen für Rom­n:ja in der Ukraine auch wirklich ankommen. Das funktioniere nur, wenn ausländische Regierungen und Hilfsorganisationen „auf Augenhöhe“ mit den Organisationen der Minderheit zusammenarbeiteten.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Es gibt keinen Volksstamm der Sinti und Roma. Die Menschen in der Ukraine sind Roma. Sinti leben seit 600 Jahren in Deutschland, und die haben in der Regel auch deutsche Familiennamen und deutsche Staatsanehörigkeiten.. Und es gibt Sinti Familien oder Romafamilien die empört datüber sind das Deutsche ,Nichtangehörig, sie jetz "Sinti und Roma° nennen. Die möchten das sie das selbst entscheiden. In Polen, Rumänien, Ungarn usw nennen sich Roma, "Roma°, und nicht °Sinti und Roma°.