Debatte über Atomkraft in Deutschland: Keine Frage des Alters
Steckt hinter der hitzigen Debatte um längere AKW-Laufzeiten ein Generationenkonflikt? Wer das behauptet, lenkt vom eigentlichen politischen Streit ab.
D ie deutschen Atomkraftwerke sind immer für Aufregung gut – auch wenn ihr Ende seit vielen Jahren besiegelt ist. Die aktuelle Gaskrise hat die Debatte wieder entfacht: Vor allem geht es darum, ob die drei verbliebenen alten Meiler noch weiterlaufen sollen, statt wie geplant zum Jahresende vom Netz zu gehen.
Auch die Umweltbewegung diskutiert. Fürchtete man sich in den 80er Jahren vielleicht am meisten vor dem Atomkrieg, liefert jetzt die Klimakrise permanent Grund für Angstattacken.
Die Tendenz des Diskurses ist klar: Es wird noch viel schlimmer. Nehmen die jungen und davon besonders betroffenen Generationen also die vielen Risiken der Atomkraft eher in Kauf – solange sie nur wenig CO2 verursacht? Das greifen auch manche Medien auf. Die Welt titelt: „Junge Menschen und Atomkraft? ‚Bedenken haben an Priorität verloren‘“. Der Bayerische Rundfunk überschreibt eine Analyse mit „AKW-Laufzeiten: Ein grüner Generationenkonflikt?“.
Streckbetrieb und Prinzipien
Einzelne Beispiele zu finden, die das zu illustrieren scheinen, ist nicht schwer. „Ich habe fast 50 Jahre für den Ausstieg aus der Atomkraft gekämpft“, schreibt der 72-jährige Umwelt- und Friedensaktivist Michael Schroeren, der aktuell die Öffentlichkeitsarbeit der Stiftung Klimaneutralität leitet und bis 2017 Pressesprecher im Bundesumweltministerium war. „Jetzt, kurz bevor die letzten vom Netz gehen, lass ich mir den Erfolg nicht klauen – weder von Putin noch von Markus Söder, Christian Lindner oder Friedrich Merz.“
Ein klares Nein zur Laufzeitverlängerung also – selbst wenn es nur ein paar Wochen sein sollten, in denen noch das letzte bisschen Uran aus den Brennelementen aufgebraucht wird. Die 26-jährige Klimaaktivistin Luisa Neubauer von der Klimabewegung Fridays For Future hingegen, hält eine solche begrenzte Laufzeitverlängerung zumindest für akzeptabel.
Der sogenannte Streckbetrieb mit alten Brennstäben „wäre ein Provisorium und keine grundlegende Weichenstellung“, sagte sie dem Tagesspiegel. Darin sehe sie kein Problem.
Missverständnisse
Als der ARD-Deutschlandtrend vor gut einem Monat nach Meinungen zu einer AKW-Laufzeitverlängerung fragte, zeigten sich allerdings keine Altersunterschiede. Und auch Luisa Neubauer hielt im Tagesspiegel kein flammendes Plädoyer dafür, den alten Atommeilern doch endlich mehr Zeit zu schenken. Stattdessen bezweifelte sie, dass eine solche Maßnahme überhaupt etwas nützen werde. Schließlich liefern die deutschen AKWs nur Strom und helfen nicht beim Hauptproblem der Gaskrise: dem Heizen.
Wenn, dann lässt sich vielleicht ein Unterschied im Tonfall erkennen, der bei den jungen Klimaschützer:innen einen Tick pragmatischer erscheint. Inhaltlich sind sie nicht weit weg von den alteingesessenen Atomkraftgegner:innen, die heute wie Michael Schroeren ja oft Teil der Klimabewegung sind. Auch er sorgt sich wohl eher nicht darum, ob die drei verbleibenden Atomkraftwerke nun ein paar Tage mehr oder weniger laufen.
Die Angst ist eher, dass jegliches Rütteln am Ausstiegsdatum auch eine Grundsatzdebatte nach sich ziehen würde – und der erstrittene Atomausstieg von Konservativen und Neoliberalen rückgängig gemacht wird. „Liebe Luisa Neubauer, ich halte es für gefährlich zu glauben, dass ein Streckbetrieb ohne Laufzeitverlängerung über mehrere Jahre zu haben ist“, schrieb der 58-jährige Sascha Müller-Kraenner, Chef der Deutschen Umwelthilfe, auf Twitter. „Wenn wir die Tür für die Atomkraft nur einen Spalt aufmachen, geht sie für die Energiewende zu.“
Positionen, die altern
Das Atomkraft gut fürs Klima sei, ist kein Punkt der jungen Klimabewegung – sondern der internationalen Atomlobby. Vor zehn Jahren noch stellte sie sich der Energiewende in den Weg, wo es nur ging. Im Zeitalter der Kohleausstiege und Gaskrisen wittert sie aber Morgenluft und inszeniert die Atomkraft als vernünftige Öko-Lösung, trotz des gigantischen Atommüllproblems und der hohen Kosten.
Den Atomkraft-Clinch als Generationenkonflikt zu interpretieren hilft nicht. Denn so erscheint alles als normaler Gang der Dinge. Die Welt dreht sich weiter, Positionen werden alt, neue Positionen kommen, Eltern und Kinder streiten. Diese Sicht legt nahe, dass schon alles irgendwie immer besser wird, eben mit der Zeit geht. Das kann aber gefährlich werden, vor allem mit Blick auf Fragen, die nicht so rückwärtsgewandt sind wie die nach der Atomkraft.
Dabei wäre es doch so schön, sich bei der Klimakrise darauf zu verlassen, dass die jungen Generationen das Ganze schon richten werden. Die jungen Klimaschutz-Rebell:innen würden die konsumbegeisterten Babyboomer:innen nach und nach in den Machtpositionen der Welt ablösen und den öko-sozialen Systemwechsel einfach mitbringen.
Aber sind denn die Generationen Y und Z, wie Generationenkonfliktfans die heute Unter-40-Jährigen gern nennen, wirklich so? Tatsächlich haben sie zum Beispiel bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr überdurchschnittlich oft die Grünen gewählt, die mit dem detailliertesten Klimaprogramm an den Start gegangen sind. Sie haben aber auch besonders oft die FDP mit ihrem Klimaprogramm aus Wolkenkuckucksheim gewählt, die seit ihrer Regierungsbeteiligung nicht ganz unerwartet alles ausbremst, was mit der Rettung des Planeten zu tun hat. Bei den 18- bis 24-Jährigen, den jüngsten Wähler:innen, war dieser Spagat stark ausgeprägt, beide Parteien schnitten deutlich vor allen anderen ab und waren in keiner anderen Altersgruppe erfolgreicher.
Wie wir leben wollen, entscheidet nicht der Lauf der Generationen. Es ist und bleibt ein mühsamer politischer Streit.
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