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Fassadenbegrünung in KreuzbergDie grüne Hülle soll fallen

Ein jahrzehntealter Wilder Wein, Biotop und natürlicher Hitzeschutz, soll wegen einer Sanierung geopfert werden. Naturschutzgesetze helfen da wenig.

Vielleicht sein letzter Sommer: Wilder Wein in der Glogauer Straße 22 Foto: Claudius Prößer

Berlin taz | In den letzten Wochen konnte man das Summen wieder im ganzen Hof der Kreuzberger Marthagemeinde hören: Abertausende Wildbienen sammelten Nektar in den Blüten des Wilden Weins, der die Rückseite des Vorderhauses und den gesamten Seitenflügel des Backsteinensembles bedeckt. Jetzt ist es ruhiger geworden, aber wenn die kleinen Weinbeeren reif sind, werden unzählige Vögel in der Glogauer Straße 22 Nahrung finden.

Mindestens 60 Jahre alt dürfte der Wein sein, schätzt Kirchenmusiker Uli Domay. Sein Arbeitsplatz ist das Kirchenschiff hinten im Hof – von der Straße aus lassen nur die beiden Turmstummel auf dem um 1910 errichteten Vorderhaus erahnen, dass sich ein religiöses Gebäude dahinter verbirgt. Domay wohnt hier im vierten Stock, wie die anderen BewohnerInnen kann er die Dachterrasse auf dem Seitenflügel nutzen. Sie ist komplett von Blättern umhüllt, die sich im Herbst leuchtend rot färben.

Das Todesurteil für den Wilden Wein ist schon längst gefällt

Dieses Jahr vielleicht zum letzten Mal. Das Todesurteil für den Wilden Wein ist schon längst gefällt, und im Oktober könnte es vollstreckt werden. Der Grund: Das Bündel armdicker Stämme kommt direkt neben der Remise des Nachbargrundstücks aus dem Boden. Die beherbergte früher eine Tischlerei, vor einigen Jahren wurden Wohnräume daraus, nun sind dort die Wände feucht. Zur Sanierung soll das einstöckige Gebäude von außen gedämmt werden – und da ist der Wurzelstock der Weinpflanze im Weg.

Schutz gegen die Sonneneinstrahlung

Die Nachricht kam im Februar. Die Hausgemeinschaft und viele Gemeindemitglieder empfanden sie als Katastrophe – nicht nur, weil sie das Fassadengrün wunderschön finden. Sie verweisen auf den ökologischen Wert, auf die vielen Tiere, die davon leben, und die Bedeutung des Blattwerks, das in immer heißeren Sommern Schutz gegen die Sonneneinstrahlung bietet. Eine über Jahrzehnte gewachsene zweite Gebäudehaut – sollte man die im Angesicht der Klimakrise einer kleineren Baumaßnahme opfern?

Pfarrerin Monika Matthias, Uli Domay und andere nahmen Kontakt mit dem Bezirksamt auf. Das entschied in Gestalt der Unteren Naturschutzbehörde, dass die Baumaßnahme nicht vor Oktober genehmigungsfähig ist. Bis dahin muss der Eigentümer des Nachbargrundstücks oder die mit der Sanierung beauftragte Firma Gutachten über die Bedeutung des Weins als Lebensraum von Hymenopteren – „Hautflüglern“, also Bienen und Hummeln – und Vögeln einholen. Aber selbst wenn diese Gutachten belegen, wie nützlich der Wilde Wein für diese Tiere ist: Es sieht nicht gut für ihn aus.

Ohne Schutzstatus

Die Rechtslage ist für Laien nicht gerade einfach zu überblicken. Als Art genießt die Selbstkletternde Jungfernrebe, so der korrekte Name der Pflanze, keinen besonderen Schutzstatus. Da aber die meisten Insekten und Vögel diesen haben, stellt sich die Frage, ob Paragraf 44 des Bundesnaturschutzgesetzes anzuwenden ist. Der verbietet, „Fortpflanzungs- oder Ruhestätten“ geschützter Arten „aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören“. Die Norm käme zur Anwendung, sollte sich herausstellen, dass bestimmte Vögel, Haussperlinge etwa, zwischen den Blättern und Zweigen brüten.

Bis über den Giebel hat die Pflanze den Seitenflügel umhüllt Foto: Claudius Prößer

Aber auch das wäre noch lange nicht die Rettung: Denn das Gesetz sieht viele Ausnahmen vor, die einen Eingriff genehmigungsfähig machen – darunter die Beeinträchtigung der Gesundheit von Menschen oder Gründe „sozialer oder wirtschaftlicher Art“. Noch weniger spricht rein rechtlich gegen eine Ausnahmegenehmigung, wenn lediglich Paragraf 15 greift, der grundsätzlich dazu verpflichtet, „vermeidbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft“ zu unterlassen.

Eine Ausnahmegenehmigung zieht zwingend sogenannte Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen nach sich, die der Verursacher – in diesem Fall der Bauherr – zu leisten hat. Die entsprechenden Auflagen der Naturschutzbehörden beschränken sich aber oft auf das Anbringen einiger Nistkästen oder eine Neupflanzung an anderer Stelle. Dass das den ökologischen Verlust keineswegs wettmacht, liegt auf der Hand.

Das Friedrichshain-Kreuzberger Naturschutzamt wollte sich auf Anfrage der taz nicht inhaltlich äußern: Weil noch nicht alle Gutachten vorlägen, sei „eine fachliche Einschätzung zum jetzigen Zeitpunkt abschließend nicht möglich“, teilte die Pressestelle des Bezirks lediglich mit.

Aus dem Schriftwechsel mit den AnwohnerInnen, der der taz vorliegt, geht allerdings hervor, dass das Amt wenig Chancen für einen vollständigen Erhalt des Weins sieht. Immerhin legt es Wert auf die Feststellung, dass auch nach Beginn der Baumaßnahme genau zu prüfen sei, ob tatsächlich das gesamte Wurzelwerk oder nur Teile davon entfernt werden müssten.

„Wie ein kleiner Wald“

Caroline Seige pocht auf die Pflicht der Behörde, nicht nur Ausgleich oder Ersatz sicherzustellen, sondern auch die Prüfung technischer Alternativen bei der Remisen-Sanierung einzufordern. Die Naturschutzexpertin engagiert sich in der AG „Artenschutz bei Bauvorhaben“ der NaturFreunde Berlin e.V. und kennt sich mit solchen Konfliktlagen aus. Sie hält es zum Beispiel keineswegs für ausgemacht, dass die vorgesehene Außendämmung die einzige Möglichkeit ist, das Feuchtigkeitsproblem in den Griff zu bekommen.

„Nur wenn Alternativen dazu den finanziellen Rahmen der Bauherren komplett sprengen würden, dürften sie als unzumutbar gelten. Das müsste aber erst mal ermittelt werden“, sagt Seige. Für sie sind Fassadenbewüchse wie der Wilde Wein der Marthagemeinde „richtige Powerpakete“ mit einer ökologischen Funktion „fast wie ein kleiner Wald“.

Auch Ansgar Poloczek, Artenschutzreferent im Landesverband des NABU, betont die Bedeutung großflächiger Fassadenbegrünungen, auch weil sie für Verdunstungskühle und Luftaustausch sorgen. Efeu sei sogar noch wertvoller, so Poloczek, „den kann man in seiner ökologischen Wertigkeit gar nicht überschätzen“. Aber auch ihm ergeht es im Zweifelsfall nicht besser.

Besonderes Pech von Wildem Wein und Efeu: Sie können groß und alt wie Bäume werden, sind aber keine. Deshalb greift bei ihnen die Berliner Baumschutzverordnung nicht. Die ist nach Poloczeks Einschätzung zwar auch „ein bisschen zahnlos“ und wird durch eine vorliegende Baugenehmigung meist außer Kraft gesetzt, bietet aber doch einen etwas höheren Schutzstatus. Das Land Berlin solle es in Betracht ziehen, besonders alte oder ausladende Fassadenbegrünungen – auch als „stadtprägende Elemente“ – in die Verordnung aufzunehmen, meint Poloczek deshalb.

In der Glogauer Straße bleibt die Stimmung derweil gedrückt – und das Unverständnis groß. In einer E-Mail an das Naturschutzamt drückten es GemeindevertreterInnen vor Kurzem so aus: „Auf Ihrer Webseite befinden sich hochglanzpolierte Maßnahmen zur Förderung von ‚bestäuberfreundlichen Gestaltung von Hinterhöfen‘, ‚Wildbienenprojekten‘ und ‚Hofbegrünungsprogrammen‘. In unserer Gemeinde und im Kiez ist nicht vermittelbar, wie locker ihr Amt der Vernichtung eines alten Lebewesens, das so vielen Tieren Schutz und Nahrung bietet und das Klima positiv beeinflusst, zustimmt – um ein paar Quadratmeter Styropor auf eine Remisenwand zu kleben.“

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6 Kommentare

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  • Liebe Dima, nicht die Eigentümerin des Weins, die ihn hat wachsen lassen, will ihn weghaben, sondern die Eigentümerin des Nachbargrundstücks, auf das im Herbst die Blätter fallen...Eine trockene Wohnung ist ein hohes Gut, aber auf Alternativvorschläge wurde bisher nicht eingegangen. Vielleicht geht es doch mehr um Kosten und Förderprogramme. Geh mal den offenen Hof der Martha-Kirche - eine Oase in der Steinwüste der Glogauer, voller Insekten und Vögel, 3,5 Grad kühler im Sommer. Und eben nicht das Glück weniger MieterInnen, die ihr Paradies von Doormen bewachen lassen wie in der Nachbarschaft, sonder offen für Eltern und Kinder des Kindergartens, Jugendliche der offenen Jugendarbeit, BesucherInnen des Familiencafes, Selbsthilfegruppen, Beratungsstelle, Familiencafé... Und wie immer die Frage: Wem gehört die Stadt?

  • In unserer Gemeinde und im Kiez ist nicht vermittelbar, wie locker ihr Amt der Vernichtung eines alten Lebewesens, das so vielen Tieren Schutz und Nahrung bietet und das Klima positiv beeinflusst, zustimmt – um ein paar Quadratmeter Styropor auf eine Remisenwand zu kleben.“



    Solange es nicht die eigene Wohnung ist, die von Feuchtigkeit betroffen ist ,hat man natürlich gut reden.Was aber wenn dann doch mal die Fassade saniert werden muß? Es gibt neben Vorteilen auch Nachteile von Fassadenbegrünungen:www.properla.net/d...eile-efeu-fassade/. Und gerade die Haftwurzler Efeu und Wilder Wein sind da eben nicht völlig harmlos.

    • @Mustardmaster:

      Properla ist eine Firma, die Beschichtungen für Fassaden verkauft. Da sind evtl bei Alternativen wie Efeu keine Geschäfte zu machen.

  • Was ist "Fassenbegrünung "?

    Wieso begrünt man die Wand nicht einfach neu und setzt die Pflanzen dabei direkt auf das Grundstück? Wilder Wein wächst schnell.

    Auf welcher Grundlage fordert das Bezirksamt Gutachten ein, wenn der Inhalt dieser Gutachten überhaupt keinen Unterschied ausmachen kann? Für die Beseitigung der Wurzeln braucht es weder eine Genehmigung noch eine Anzeige.

    • @DiMa:

      Wer lesen ...,



      sollte natürlich Fassadenbegrünung stehen.



      Eine Neupflanzung und auch nur eine annähernd gleichwertige Klimanaturwand würde mindestens 30 Jahre dauern - sollte es die Klimaänderung überhaupt möglich machen

      • @Mac Taz:

        Ich gehe eher von lediglich 20 Jahren aus (Ich stutze meinen wilden Wein um ca. 2 Meter im Jahr um den Putz meines Hauses zu schützen), am Ende ist es wohl standortabhängig.

        Nur warum sollte jemand wilden Wein wachsen lassen, wenn sich hierdurch eine spätere Sanierung verteuert? Es geht immer noch um Wohnraum und das Recht des Eigentümers auf trockene Wände kommt im Bericht viel zu kurz.

        Wenn es den dann also so kommen sollte, dass die Sanierung teurer oder ganz untersagt werden sollte, dann sollte sich jeder Eigentümer gut überlegen, ob er zukünftig lang wachsen lässt oder lieber rechtzeitig einschreitet. Das ist dann sicherlich nicht im Sinne des Umweltschutzes.

        Bezeichnend ist auch, dass überhaupt keine Alternative zur Bekämpfung der feuchten Wände genannt wird.

        Letztendlich müssen die Interessen des Nachbarn, einen sicheren Wohnraum zu erhalten, allen anderen Interessen vorgehen.