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Die Kunst der Woche für BerlinEngel der Geschichte

Aura Rosenbergs Fotografien weisen in den Abgrund der Gegenwart. Auch bei Juergen Teller geht es um die Biografie und eine gemeinsame Zukunft.

Juergen Teller: „We are Bulding our Future Together No. 39, Napoli“ (2021) Foto: Juergen Teller / cfa

D ie Berlinische Galerie wurde von der Filmemacherin Ulrike Ottinger mit einer großzügigen Schenkung aus ihrem Besitz bedacht: rund 200 Arbeiten ihrer zentralen Darstellerin, phantastischen Kostümbildnerin und großen Muse Tabea Blumenschein (1952-2020).

Grund genug für die Leiterin der Grafischen Sammlung, Annelie Lütgens, jetzt eine Auswahl von rund 40 Zeichnungen zu zeigen, ergänzt durch rund 40 Fotografien von Ulrike Ottinger aus der Zeit ihrer Zusammenarbeit. Viele davon kennt man als längst ikonisch gewordene Filmstills, etwa aus „Bildnis einer Trinkerin“. Titel der Schau: „Zusammenspiel“.

Die wandfüllend aufgezogene, 1976 mit dem Selbstauslöser aufgenommene Fotografie am Anfang der Schau, die Ottinger und Blumenschein vor einer mit ihren Fotos und Zeichnungen voll gepflasterten Wand zeigt, führt direkt ins Geschehen.

Ottinger sitzt in einem mächtigen Sessel, während sich Blumenschein, die daneben steht, in Pose schmeißt. Schauplatz ist das riesige Berliner Zimmer ihrer Wohnung in der Erdmannstraße 12 in Schöneberg, wo Filme gedreht, Fotoshootings veranstaltet, Kostüme entworfen und genäht wurden und man bei großen Essen große Pläne schmiedete.

Nachdem sich 1979 ihre Wege getrennt hatten, arbeitete Blumenschein zunächst weiter als Kostümbildnerin und mischte bei der Punkavantgarde der Genialen Dilletanten mit. Als es in den 90er Jahren um den schillernden Star der West-Berliner Szene ruhiger geworden war – zeitweilig war Blumenschein in der Obdachlosigkeit gelandet – wurde die Zeichnung ihr zentrales kreatives Ausdrucksmittel. In den Hunderten stilisierten oder auch fiktiven Porträts glaubt man tatsächlich auf den Blumenschein ihres Geburtsnamens zu stoßen, der gewöhnlich für einen Künstlernamen gehalten wird.

Da ist der sanfte, niemals auftrumpfende Reichtum ihrer Ornamentik und ihrer Farben und der Überfluss der Totenkopf-, Insekten-, Herz- oder Fischgrät-Details, mit denen sie ihre genderfluiden Schönheiten schmückt, die wie ihre Bartfrauen Inbegriff des Queeren sind.

Sieht man dazu die erstmals gezeigten Zeichnungen aus der Zeit ihres Studiums an der Bodensee-Kunstschule in Konstanz, lässt sich eine frühe Entscheidung für ihren detailverliebten Kunststil beobachten und für das lebenslange Identitätsexperiment. Den Verletzungen, der Besessenheit, die dabei mit im Spiel sind, man denke an die Deutschlandbilder, wäre unbedingt nachzugehen.

Benjamins Engel, Rosenbergs Flügel

„Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert“, so beschreibt Walter Benjamin 1940 das „Bild von Paul Klee, das Angelus Novus heißt“, das er 1921 erworben hatte. Es hat ihn seither begleitet und inzwischen erkennt Benjamin in ihm den „Engel der Geschichte“.

Wir scheinen derzeit überall, ob in der Coronapandemie, im Krieg in der Ukraine oder in den Wildfeuern in Portugal, Spanien und Frankreich, diesen Engel zu sehen, von dem Benjamin sagt: „Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst.“

Wir sehen diesen Engel aber ganz konkret in Aura Rosenbergs Ausstellung bei RL16. 1991 war die New Yorkerin mit Mann und Tochter erstmals nach Berlin gekommen. Damals nahm sie sich Walter Benjamins Erinnerungsbuch „Berliner Kindheit“ als Wegweiser durch die Stadt und in den Abgrund von deren Geschichte.

Auf ihr fotografisches Langzeitprojekt „Berlin Childhood“ (1996-2001), das das Ankommen ihrer Familie in Deutschland dokumentierte, aus dem ihre Eltern 1939 fliehen mussten, folgte der Animationsfilm „The Angel of History“ (2013). Jetzt nimmt Rosenberg den Faden wieder auf, in sechs aktuellen Inkjet-Prints der Titelblätter der FAZ und der New York Times von Februar 2022 („Russland überfallt Ukraine“) bis Mai 2022 („U.S. pushes allies for Ukraine arms as war escalates“).

Auf allen Titeln ist der Engel zu erkennen, zart, fast durchsichtig schwebt er über die Titel. Da scheint der Blick zurück in die Berliner Kindheit, die Aufnahmen der Tochter bei der Schmetterlingsjagd, der Love Parade vor der Siegessäule (die Rosenberg auch als Souvenir ausstellt) tröstlich, wüsste man nicht um den Stand der Dinge heute Bescheid.

Von Hochzeiten, Hunden und nächtlichen Gewässern

Autobiografisch geht es weiter, mit „Auguri“ von Juergen Teller bei cfa. Er heiratet. Dovile Drizyte. Wer ist sie? Im Netz wird sie mal Geschäftsfrau genannt, häufiger die kreative Partnerin von Teller. Das ist in jedem Fall richtig, wie die Serie „We are Building our Future Together“ (2021) zeigt, in der sie beide in Arbeitskleidung Baustellen in Venedig und Neapel heimsuchen.

Die beiden sind lustige und erfrischende Performer, die am Betonmischer eine ebenso gute Figur machen wie auf dem Bagger. Und in den Aufnahmen in nächtlichem Gewässer „We are Bulding our Future Together No. 39, Napoli“ (2021) können sie fast schon mit Anna und Bernhard Blumes Performances eines ins Rutschen geratenen kleinbürgerlichen Alltags mithalten.

Unter dem Titel wird Hochzeit gefeiert, es gibt Hotelzimmer, Hochzeitsstrauß, Hochzeitspaar, Hochzeitsmenü, Hochzeitstafel in einem schönen Innenhof in der Altstadt von Neapel, Hochzeitsgäste in Aufnahmen mit allen denkbaren Neonfehlfarben, höchst amüsant. Dazwischen stößt man aber auch hier und da auf die schönen, riskanten Fotos, die es so nur bei Teller gibt.

Obwohl sie eigentlich ganz simpel sind, etwa wie bei „Doll and Dog“ (2022) mit dem erwähnten Dog, einem auf dem Rücken liegenden Hund, der selig seinen Bauch zeigt. Oder etwas komplizierter bei „Untitled, London“ (2020), einem Stillleben mit Gemüse, einer Schwarzweißfotografie und einem hübschen, wohl frisierten weiblichen Geschlechtsteil.

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