: Viele sagen Nein
Oft ist heute vom „Pflegenotstand“ die Rede. Der Widerstand von Beschäftigten gegen ein gewinnorientiertes Gesundheitssystem wird immer sichtbarer
Von Michael Barker
Taugt die Gesundheitsversorgung zum Geschäftsmodell, das nach marktwirtschaftlichen Prinzipien organisiert und abgerechnet wird? Ja, hat der Deutsche Bundestag im Jahr 1992 mit dem Gesundheitsstrukturgesetz entschieden. Darin wurden Instrumente wie Einzelbudgets und neue Krankenhaus-Entgeltsysteme eingeführt, um die Krankenkassenbeiträge zu stabilisieren. So rechnen Krankenhäuser ihre stationären Leistungen seither mit Fallpauschalen ab, in denen allerdings bestimmte Eingriffe für sie besonders profitabel sind. Dass in Folge etwa gelenkersetzende Operationen häufiger ausgeführt und Stellen abgebaut wurden, wird gerne als „Fehlanreiz“ bezeichnet.
Dreißig Jahre und viele Reformgesetze später steigt die Zahl derjenigen, welche diese Ökonomisierung kritisch sehen und nach ihren Folgen fragen. So hat sich nach Daten des Statistischen Bundesamtes zwischen 1992 und 2020 die mittlere Liegezeit halbiert, wurde jedes zehnte Krankenhausbett abgebaut und jedes fünfte Krankenhaus geschlossen.
Gleichzeitig ist der Anteil der Kliniken in privater Trägerschaft von 16 auf 39 Prozent angewachsen. Konzerne wie Fresenius/Helios, Asklepios, Sana und Rhön teilen sich diesen Markt und erzielen stabile Renditen.
Das verschärft die Konflikte zwischen Versorgungsqualität und Wirtschaftlichkeit, die aber nach einer Studie des Forschungszentrums Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen sehr unterschiedlich wahrgenommen werden. Nach 2017 im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichen Interview-Ergebnissen verweisen GeschäftsführerInnen zwar auf die erforderliche Gewinnorientierung, üben aber subjektiv keinen Einfluss auf ärztliches Handeln aus.
ÄrztInnen berichten dagegen von wachsendem Druck, betriebswirtschaftliche Interessen bei patientenbezogenen Entscheidungen zu berücksichtigen. Dies führe regelmäßig zu einer Über-, Unter- und Fehlversorgung von PatientInnen sowie zu ethischen Konflikten, Stresssituationen und Frustration.
Auch in der ambulanten Medizin gibt es Probleme. Laut Iges-Gutachten rechneten im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern diejenigen Medizinischen Versorgungszentren, die sich im Eigentum von Finanzinvestoren befinden, je Fall zehn Prozent mehr Honorar ab als Einzelpraxen.
Nein zur Medizin als Geschäftsmodell sagen daher inzwischen immer mehr, vor allem jüngere Menschen in Gesundheitsberufen. Viele sind nicht mehr bereit, die Verdichtung ihres Arbeitstags auszuhalten und den eigenen ethisch-sozialen und ganzheitlichen Anspruch wirtschaftlichen Erwartungen unterzuordnen. Dieses bislang vorwiegend als „Pflegemangel“ wahrgenommene Problem hat auch den ärztlichen Bereich erfasst. Tarifverhandlungen für Krankenhausbeschäftigte werden von Streikaktionen begleitet – früher ein Tabu für die heilende Profession.
Nun steht eine Strukturreform auf der gesundheitspolitischen Agenda: Laut Ampel-Koalitionsvertrag soll eine Regierungskommission Empfehlungen für die Weiterentwicklung der Krankenhausfinanzierung vorlegen, und zwar mit erlösunabhängigen Vorhaltepauschalen und einer bedarfsgerechten, auskömmlichen Finanzierung von Kinder- und Jugendmedizin, Notfallversorgung und Geburtshilfe. Diese werden von allen im Gesundheitswesen Tätigen mit Spannung, aber auch Skepsis erwartet.
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