Konzerte von Gal Costa und Gilberto Gil: Gewisse Komplizenschaft
Die Stars Gal Costa und Gilberto Gil sind Mitbegründer der brasilianischen Tropicália-Bewegung. Nun kommen sie für Konzerte ins HKW nach Berlin.
Das Jahr 1969 war eigentlich ein Düsteres für Brasilien: Denn nun griff der im Dezember des Vorjahres von den Militärs verabschiedete Erlass AI-5, der die Bürgerrechte außer Kraft setzte. Oppositionelle wurden verhaftet oder verschwanden, Künstler:Innen drangsaliert.
Auch die Sänger Gilberto Gil und Caetano Veloso wurden aufgegriffen; beide waren Mitte 20, der eine ein Schwarzer mit kurzen Afro, der andere ein schmächtiger androgyner Weißer. Nach monatelangem Hausarrest mussten sie das Land verlassen und emigrierten nach London.
Andere blieben in Brasilien und versuchten unter dem Radar der Zensur fortzuführen, was in Form der Compilation „Tropicália ou Panis et Circencis“ („Tropicália oder Brot und Spiele“) 1968 für Aufregung gesorgt hatte – eine kulturell-politische Bewegung um Gil, Veloso, die Sängerin Gal Costa, den Multiinstrumentalisten Tom Zé und die Psychedelic-Rockband Os Mutantes.
Indem die Musiker:innen propagierten, das Eigene mit dem Fremden zu vermischen, revolutionierten sie die Unterhaltungsmusik Brasiliens und schrieben unter dem Namen Tropicália (aka Tropicalismo) Geschichte.
E-Gitarren und Orgeln vom Klassenfeind
„HKW do Brasil“ in Berlin im Haus der Kulturen der Welt: Dienstag 5. Juli, Gilberto Gil; Mittwoch 13. Juli, Gal Costa
Die jungen Ikonoklasten stammten überwiegend aus Salvador de Bahia und fusionierten die reiche afrobrasilianische und indigene Folklore Brasiliens furchtlos mit verzerrten E-Gitarren und wabernden Farfisa-Orgeln. Dieser Einfluss aus den imperialistischen USA gefiel übrigens einem Teil der brasilianischen Linken überhaupt nicht, worüber sich vor allem Caetano Veloso heftige Auseinandersetzungen lieferte.
Gal Costa hat mit ihrer umwerfenden, transparenten Stimme viele der lyrischen Songs aus der Feder Caetanos bekannt gemacht. Auch die Sängerin mit der mächtigen dunklen Lockenmähne kommt aus Salvador de Bahia. Die Stadt wurde in den 1950er Jahren zur „diasporischen Zentrale afrikanischer Kultur in Brasilien“ (Diedrich Diederichsen) und die dortige Uni, an der auch europäische Emigranten wie die Komponisten Hans-Joachim Koellreutter und Walter Smetak lehrten, zum Treffpunkt von Modernisten aus aller Welt.
In diesen Bohemezirkeln bewegten sich Gal Costa, Gilberto Gil und Caetano Veloso. Zusammen mit Velosos Schwester, der Sängerin Maria Bethânia, hatten die drei bereits 1964 eine Musikshow zur Einweihung des Theaters Vila aufgeführt. Der Durchbruch gelang Gal aber erst im besagten Jahr 1969, als sie schon nach Rio des Janeiro übergesiedelt war und gleich zwei Alben vorlegte.
Kammerpop und hippiesk nonkonform
Zwischen Big-Band-orchestriertem Kammerpop à la Brasil und hippiesker Nonkonformität angesiedelt, sind beide Werke längst Klassiker der „Música Popular Brasileira“ (MPB). Das Debüt („Gal Costa“) ist noch vom Bossa Nova geprägt. Es enthält Hits wie Gals mit Streichern unterlegten Erkennungssong „Baby“, das von Gil und Veloso komponierte barocke „Divino Maravilhoso“ und Jorge Bens (in Gals Version absolut betörendes) „Que pena (ele já não gosta mais de mim)“ – „Wie schade (er mag mich nicht mehr)“.
Das zweite Album („Gal“) klingt dagegen experimenteller und psychedelischer. In der Reihe „HKW do Brasil“ gastieren nun innerhalb einer Woche zunächst Gilberto Gil (5. 7.) und dann auch Gal Costa (13. 7.) im Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) – bei gutem Wetter auf der Dachterrasse. Gil ist fast schon Stammgast im HKW, seit er dort als Kulturminister der linken Regierung unter Präsident Lula zur Fußball-WM in Deutschland 2006 das Kulturfestival „Copa da Cultura“ veranstaltet hat.
Seltene Auftritte
Umso mehr kann man sich auf Gal Costa freuen, deren Auftritte hierzulande Seltenheitswert haben. Dabei fühlt sich die heute 76-Jährige nirgendwo so wohl wie auf der Bühne. Konzerte zu geben, sei „kreativer und demokratischer“, als ins Studio zu gehen, hat sie in einem Interview erklärt. Wer ihre einzigartige, klare und durchdringende Stimme je gehört hat, wird sie jedenfalls nicht mehr so schnell vergessen.
Mit dem Poeten Caetano Veloso habe sie zwar eine „engere musikalische Verbindung“ als mit dem inzwischen 80-jährigen Gilberto Gil. Aber auch mit ihm verbinde sie eine „gewisse Komplizenschaft“, sagt Gal. Sie bewundere in erster Linie Gils rhythmische Finesse und seinen Wagemut, Neues zu erkunden. „Damals haben wir viel Musik zusammengehört, neue Sachen wie Jimi Hendrix und die Beatles.“ Bis heute scheint die persönliche Chemie zwischen beiden zu stimmen: „Ich bin leicht zu handhaben, und Gil ist es auch.“
Von ihrer künstlerischen Zusammenarbeit zeugen unter anderem der Mitschnitt eines berührenden Akkustik-Konzerts von beiden während Gils Exil 1971 in London und Gals von Gil nach seiner Rückkehr produziertes Album „Índia“ (1973). Doch Gil hat auch ihr erstes veröffentlichtes Lied geschrieben – das programmatische Bossa-Stück „Eu vim da Bahia“ (1965): „Ich komme aus Bahia“. Über 50 Jahre später singt Gal Costa schließlich: „Ich bin die Tochter aller Stimmen, die vor mir da waren / Ich bin die Mutter all der Stimmen, die nach mir kommen.“
In Berlin präsentiert Gal in kleiner Besetzung neue Arrangements ihrer vielen Hits und Lieder aus ihrem aktuellen Album „As várias pontas de uma estrela“. Den Auftakt macht aber Gilberto Gil, unterstützt von Familie und Freund:Innen – mit einer Hommage an die musikalische Vielfalt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung
Serpil Temiz-Unvar
„Seine Angriffe werden weitergehen“