piwik no script img

Rechte von ArbeitnehmerInnenAuf, auf zum Kampf

Arbeitnehmerrechte werden weltweit abgebaut, warnt der Internationale Gewerkschaftsbund. Wer sich engagiert, lebt oft gefährlich: Morde nehmen zu.

Unter Druck: Tunesischer Gewerkschaftsführer Taboubi beim Generalstreik am 16. Juni 2022 Foto: Yassine Manjoub/NurPhoto via AFP

Berlin taz | Selbst die krassesten Fälle schaffen es – wenn überhaupt – oft nur kurz in die Schlagzeilen: Im November wurde der kolumbianische Erzieher Clemito Rengifo Salazar vor seinen Schü­le­r:in­nen aus dem Unterricht verschleppt. Seine Leiche fand man noch am gleichen Nachmittag. Im Januar wurde der ecuadorianische Transportarbeiter Sandro Arteaga Quiroz mit seinem Laster auf einer Landstraße angehalten und mit acht Schüssen in den Kopf getötet. Beide Männer hatten zuvor Morddrohungen erhalten, weil sie als Gewerkschafter aufgefallen waren.

Es sind keine Einzelfälle. Allein in diesem Jahr starben in mindestens 13 Ländern Ge­werk­schaf­te­r:in­nen im Zusammenhang mit ihrem Engagement. Das zeigt der am Dienstag veröffentlichte „Globale Rechtsindex 2022“ des Internationalen Gewerkschaftsbundes IGB. Mit dem Index dokumentiert der IGB jedes Jahr, wo und wie Regierungen und Unternehmen international anerkannte Ar­beit­neh­me­r:in­nen­rech­te verletzen. Dafür greift er auf Berichte und Untersuchungen aus 148 Ländern zurück.

Demnach wurden von April 2021 bis März 2022 in Ecuador, Kolumbien, Guatemala, dem Irak, auf den Philippinen und in Südafrika gezielt führende Ge­werk­schaf­te­r:in­nen getötet. Allein in Kolumbien gab es zusätzlich mindestens 6 Mordversuche und 99 Morddrohungen.

Von zunehmender Gewalt in der Arbeitswelt betroffen sind aber nicht nur Gewerkschafter:innen, sondern auch einfache Beschäftigte. Der Index listet 50 Länder auf, in denen Menschen an ihrem Arbeitsplatz körperlicher Gewalt ausgesetzt waren, das sind 5 Länder mehr als 2021. Daneben dokumentiert der IGB auch Fälle von willkürlichen Verhaftungen und zeigt, wo Rede- und Versammlungsrechte beschnitten werden, der Zugang zur Justiz beschränkt und das Streikrecht kriminalisiert ist.

So schlecht wie zuletzt 2013

Die Bedingungen für Arbeitende und Gewerkschaften verschlechterten sich seit Jahren, sagte IGB-Generalsekretärin Sharan Burrow. In einigen Bereichen sei die Situation trotz aller internationalen Bemühungen so schlecht wie zuletzt 2013. Aktuell hätten 113 Länder Beschäftigte vom Recht ausgeschlossen, Gewerkschaften zu gründen oder sich ihnen anzuschließen.

Zu den gefährlichsten Ländern für Ge­werk­schaf­te­r:in­nen und Beschäftigte gehören dem Index zufolge unter anderem weiterhin Kolumbien, wo die meisten Todesfälle gemeldet werden, sowie Belarus und die Philippinen, in denen der Aufruf, brutal gegen unabhängige Gewerkschaften vorzugehen, direkt von den Präsidenten Alexander Lukaschenko und Rodrigo Duterte stammte.

Es geht auch gegen die Demokratie

Neu dabei ist neben Guatemala Eswatini. Das frühere Swasiland sei „in eine Spirale von Unterdrückung und Gewalt“ geraten, als die Regierung im letzten Jahr prodemokratische Proteste niederschlug, heißt es im Index. Dabei seien 72 Teil­neh­me­r:in­nen getötet worden. In der Folge habe Lobamba das Rede- und Versammlungsrecht eingeschränkt.

Als „schlimmste Region“ bezeichnet der Index den Nahen Osten und Nordafrika. Dort hätten „100 Prozent der Länder“ die Zulassung von Gewerkschaften behindert, Beschäftigte vom Beitritt zu Gewerkschaften ausgeschlossen und das Recht auf Tarifverhandlungen verletzt. In Tunesien wurden Versammlungen, dieden zehnten Jahrestag des sogenannten Arabischen Frühlings feierten, mit Gewalt aufgelöst, ohne Genehmigung des Regierungschefs dürfen keine Tarifverhandlungen mehr geführt werden.

Warum die Gewerkschaften so stark unter Beschuss sind, ist für Burrow klar: „Wir wissen, dass arbeitende Menschen an vorderster Front zahlreicher außerordentlicher Krisen stehen“, sagte sie zur Vorstellung des Index. Dazu gehörten „die Ungleichheit, die historische Dimensionen erreicht hat, Klimanotstand, eine Pandemie, die Leben und Lebensgrundlagen zerstört, und Konflikte mit verheerenden Auswirkungen auf nationaler und internationaler Ebene.“ Die Daten zeigten aber auch, dass diese Instabilität von Regierungen und Arbeitgebern ausgenutzt werde.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Es wäre gut, wenn sich die taz mit den Einschränkungen der Gewerkschaftsrechte



    auch in unserem Land kontinuierlich berichten würde.



    Der Versuch Streiks zu kriminalisieren findet fast bei jedem Streik statt. ZB. jetzt bei den Streikmaßnahmen von Verdi oder der DLG.



    Arbeitgeber verlassen die Tarifgemeinschaften, sodass die Tarifgebundenheit dramatisch sinkt.



    Ausgesperrte Arbeitnehmer erhalten keine finanzielle Unterstützung der Bundesanstalt für Arbeit mehr, was die Streikmöglichkeiten und Durchsetzung von AN Forderungen sehr verschlechtert hat.



    Meine Bitte an die taz: Bitte berichtet regelmäßig über auch bei uns vorhandenen Trend des Abbaus von AN-Rechten.

    • @KielerSprotte:

      Anschließe mich uneingeschränkt !