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Die soziale Joghurtfabrik

ARMUT Kathrin Hartmann unterzieht in ihrem Buch die Wohltätigkeit der Reichen einer scharfen Kritik. Vom sozialen Gestus deutscher Lebensmitteltafeln bleibt da nicht mehr viel übrig

Die Ärmsten der Welt sind längst als Kunden- und Käuferschicht entdeckt worden

Eine sympathische Portion Wut zeichnet das neue Buch von Kathrin Hartmann aus. In „Wir müssen leider draußen bleiben“ seziert die Autorin „Die neue Armut in der Konsumgesellschaft“. Eine These: In Deutschland haben wir es nicht nur mit steigender Ungleichheit zu tun. Es verschärfen sich auch die ideologisch-politischen und kulturell-habituellen Begleiterscheinungen dieser Entwicklung.

Hartmann analysiert Phänomene wie die Entstehung von Gated Communities in Berlin, abgeschlossene Luxuswohnressorts gegen den bedrohlichen, weil potenziell delinquenten Pöbel, oder den politisch rücksichtslosen Kampf der Hamburger Oberschicht für den Erhalt des segregierenden Schulsystems im Jahr 2009. Und sie schaut auf besänftigende Initiativen wie die Lebensmitteltafeln.

Die freie Journalistin, von der 2009 das Buch „Ende der Märchenstunde. Wie die Industrie die Lohas und Lifestyle-Ökos vereinnahmt“ erschien, unterzieht dieses Kind der Hartz-IV-Gesellschaft einer vernichtenden Analyse. Die Tafeln kaschieren demnach nicht nur den Abbau des Sozialstaates und von Rechtsansprüchen. Sie drängen deren NutzerInnen auch in die Rolle passiver Bittsteller. Nicht zuletzt ermöglichen sie großen Discountern die kostenlose Entsorgung von Lebensmitteln und halten damit die Überschussproduktion am Laufen.

Neu sind solche Ansichten nicht. Auch Stephan Lorenz untermauert sie in seiner Anfang 2012 erschienenen wissenschaftlichen Arbeit „Tafeln im flexiblen Überfluss. Ambivalenzen sozialen und ökologischen Engagements“. Doch Hartmann gelingt es, ihre Vor-Ort-Beobachtungen und Reflexionen anschaulich und mit scharf geführter Feder aufzubereiten. Und soziale Realitäten in Deutschland oder Bangladesch zusammenzudenken. Als roter Faden dient ihr die Kritik der Philanthropisierung des Reichtums, den sie auf internationaler Ebene im Konzept des „Social Business“ und bei den Mikrokrediten ausmacht, die Weltbank, USA und EU fördern.

Die Folgen dieses Kreditwesens hat Hartmann eindrücklich in Bangladesch recherchiert. So entpuppen sich die Geschäftsmodelle des Friedensnobelpreisträgers und Wirtschaftswissenschaftlers Muhammad Yunus und seiner Adepten letztlich als Instrumente, die das ökonomische Elend der vor allem weiblichen Kreditnehmerinnen und ihrer Familien verschärfen und soziale Zusammenhänge in Dorfgemeinschaften zerstören. Eine „soziale Joghurtfabrik“ von Danone entblättert Hartmann als Initiative, mit der der Konzern den autochthonen Joghurtmarkt des südasiatischen Landes erobern will.

Dass die Armen draußen bleiben sollen, wie der Buchtitel suggeriert, stimmt aber nur bedingt. Es ist die Realität für die NutzerInnen von Lebensmitteltafeln und Sozialkaufhäusern in Deutschland, die von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen werden. Bei den anderen Beispielen zeigt sich aber: Die Ärmsten der dritten Welt sind längst als Kunden- und Käuferschicht entdeckt worden. Hartmanns Verdienst dabei ist es, marktindividualistische Lösungsansätze wie das Social Business von seinem sozialen Anstrich zu befreien. Letztlich, so ihr Urteil, geht es um Profitmaximierung für die einen. Und nicht um wirkungsvolle Rezepte zur Armutsbekämpfung für die anderen. EVA VÖLPEL

Kathrin Hartmann: „Wir müssen leider draußen bleiben. Die neue Armut in der Konsumgesellschaft“. Blessing Verlag, München 2012, 416 Seiten, 18,95 Euro

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