Ein Museum für Rolling-Stones-Fans: Endlager in Sachen Stones
Die Rolling Stones sind allemal reif fürs Museum. Und das einzige seiner Art steht im Wendland: In Lüchow stellt Uli Schröder aus.
I m August 2021 starb der ewige Stones-Schlagzeuger Charlie Watts. Einen Monat zuvor hatte er noch einen Konzerttermin, in einem kleinen Laden im Wendland. Nicht mit den Rolling Stones, sondern mit seiner Jazzband.
Stones, Jazz, Club-Gig – es ist nicht das, woran Musikbescheidwisser aus dem Großstadtrevier denken, wenn sie vom Wendland hören. In älteren Köpfen vor allem von Atomkraft-Nein-danke-Sagern und -Sagerinnen schweifen die Gedanken in die gute alte Protestzeit, als es gegen das Atommülllager Gorleben ging.
Die Endlagerproblematik hat sich für das Wendland qua Beschluss inzwischen erledigt, Gorleben ist da raus aus dem Rennen. Das Wendland kann sich nun auf Windkraft, Landliebe und Erholung konzentrieren. Schöne Gegend gibt’s genug und sogar ein touristisches Highlight, das im Rest der Republik relativ wenig bekannt ist. Weshalb der Ansturm auf das letztlich ausgefallene Charlie-Watts-Konzert auch nicht annähernd so groß gewesen wäre wie in Hamburg oder Berlin, wenn sich die Drummer-Legende in einem dortigen Club angesagt hätte.
Auf der Luftlinie zwischen diesen Großstädten liegt Lüchow etwa in der Mitte, näher an Hamburg. Es ist eine kleine Stadt, neuntausend Einwohner, aufgeräumte Straßen, eine Fußgängerzone. Beschaulichkeit geht vor Trubel, Leben musste hier noch nie pulsieren.
Das Museum
Das „Stones Fan Museum“ findet man in der Dr.-Lindemann-Straße 14 in Lüchow. Am 8. Juli kann man die Rolling Stones dort auch auf einem Konzert hören, in Form der Stones-Coverband Starfucker aus Berlin.
Das Original
Derzeit sind auch die Rolling Stones selbst in Europas unterwegs im Rahmen ihrer „Sixty“-Tour. Damit feiert die Band sich und ihre immerhin nunmehr sechzigjährige Geschichte: Am 12. Juli 1962 traten die Stones erstmals im Londoner Marquee Club auf.
Die Tour
Durch die aktuelle Corona-Erkrankung des Sängers Mick Jagger ist die Tour allerdings ein wenig ins Stottern geraten. Konzerte in Amsterdam und Bern wurden kurzfristig abgesagt, sie sollen nachgeholt werden. Im Rahmen der „Sixty“-Tour schauen die Rolling Stones auch noch einmal in Deutschland vorbei, am 27. Juli spielen sie im Stadion in Gelsenkirchen. Abschluss der Tour ist am 31. Juli in Stockholm.
Das tut es auch nicht auf der Mainstreet alias Lange Straße, an der sich Apotheke, Woolworth, Apollo-Optik, Friseursalon und nächste Apotheke aufreihen, bis man zur Pizzeria „La Cucina“ kommt. Wenn man um die Ecke in die Dr.-Lindemann-Straße biegt, erlebt man sein buntes Wunder. Wie eine Fata Morgana in der Norddeutschen Tiefebene erscheint ein großes Fachwerkhaus, das von riesigen Bildnissen geziert wird. Von der Hauptfassade blicken die Rolling Stones in Fotooptik herunter, von der Tür am Hinterausgang grüßt ihre Voodoo-Lounge-Figur. Auf einem Balken steht „Stones Fan Museum“.
Es ist das einzige weltweit, ausgerechnet hier zwischen Wiesen, Äckern und dem Flüsschen Jeetzel im Wendland, das man bisher nur mit dem besagten Atommülllager in Verbindung brachte. Doch das Stones-Haus ist kein Fake. Alles, was man hier antrifft, ist echt. Die unzähligen Exponate genauso wie der Mann, dessen Konterfei groß von der Außenfassade lächelt. Er heißt Ulrich „Uli“ Schröder und ist Chef des „Stones Fan Museums“. Seine Geschichte gehört eigentlich mit ins Museum, weshalb er sie auch gern Besuchern erzählt.
Schröder ist vor 73 Jahren im Nachbarort Uelzen geboren und mit der Pubertät zum Fan der Rolling Stones geworden. Als 15-Jähriger ist er ihnen auf ihrer ersten Deutschlandtour 1965 in drei der vier Städte nachgereist. Das Geld hatte er sich zusammengespart. Obwohl die Stones-Liebe (zum Leidwesen seiner Eltern) nicht schwand, machte er eine Lehre als Bankkaufmann. Vermutlich wäre er das bis zum Renteneintritt geblieben, wenn ihn nicht 1997 Ron Wood gefragt hätte: „Willst du ewig Bankmann bleiben oder kannst du dir vorstellen, noch ein bisschen Geld mit Sex and Drugs and Rock ’n’ Roll zu verdienen?“ Abgemacht. „Zu Hause musste ich meiner Frau erklären, warum ich an einem Wochenende in UK einfach meinen Beruf gewechselt habe.“ Ihr Mann war nun nämlich der offizielle Galerist des hauptberuflichen Stones-Gitarristen und nebenberuflichen Malers Ron Wood.
Zu verdanken hatte Schröder das seiner Neugierde an dessen Kunstwerken. Wegen der hatte er Kontakt gesucht zu Woods Umfeld, wo man erst mit Erstaunen reagierte und dann mit einer Einladung nach London sowie nach Dublin zur Geburtstagsparty zu Woods Fünfzigstem. Fortan hatte der Deutsche nicht nur Zutritt zum erlauchten Bandkreis, sondern tourte selbst mit den Bildern des berühmten Gitarristen für Ausstellungen durch Deutschland und Europa.
Globale Publicity für Lüchow
Von da an war es nicht so fern zur Museumsidee, denn viele Besucher fragten, ob es nicht weitere Stones-Exponate zu sehen gäbe. Für Uli Schröder kein Problem, da er in der elterlichen Scheune von früh an Devotionalien gehortet hatte: vom geklauten Tourplakat bis zu unzähligen T-Shirts, die ihm Freunde von Konzerten mitbrachten, wenn er selbst nicht hinreisen konnte. „Ich ließ mir sogar Zeitungen mit Berichten mitbringen, denn das Stones-Gefühl muss anfassbar sein. Das geht nicht im Internet, das ist ja wie tote Materie.“
Ein fester Platz zur Präsentation – warum nicht dort, wo seine Liebe zur Band geboren wurde, dachte sich der Stones-Besessene. Er mietete ein leer stehendes Supermarktgebäude in Lüchow, kaufte es sogar und war nach dem Umbau erst mal pleite. Nach einigem Hin und Her bewilligten die Stadtoberen – von denen noch niemand ein Stones-Konzert gesehen hatte – einen einmaligen Zuschuss. Allerdings unter der Bedingung, dass das Museum mindestens zehn Jahre bestünde. Die größten Bedenkenträger saßen derweil in London bei der Firma Rolling Stones.
Die hat nämlich ein waches Auge, wer vom Glanz der Band einen Schimmer bekommt. Als Mick Jagger mitbekam, dass das Museumsprojekt ernst wurde, habe er seine Crew in Bewegung gesetzt, sagt Schröder. „Sein Plattenboss, Marketingchef und zwei Werbestrategen kündigten sich bei mir in Lüchow an. Ich habe dann ein bisschen gegengerüstet und zum Treffen den Bürgermeister und die Stadtmarketingfrau von Lüchow mitgebracht.“ Die Briten bestimmten, dass die Zunge und die Marke Rolling Stones nicht verwendet werden dürften. Aber mit seinem auffälligen Fan-Aufzug könne er ja sein eigenes Bild ans Haus pinnen und es Fan-Museum nennen.
2011 wurde es eröffnet, kurz darauf hatte Lüchow globale Publicity. Weil eine holländische Künstlerin die Herrenurinale wie geschminkte Frauenmünder, ähnlich dem Stones-Logo, designt hatte, hagelte es Proteste von Feministinnen. Es folgten Aufrufe zur Stürmung des Museums, eingeworfene Scheiben und Polizeischutz.
Letztlich war es jedoch der Museumsinhalt, der das Museum zum kulturellen Anziehungspunkt des Landkreises machte. Wo früher Discountware für den täglichen Bedarf zum Verkauf stand, lagert nun exklusives Zeug von der größten Rock-’n’-Roll-Band der Welt: ein signierter Snookertisch, der Keith Richards und Ron Wood bei Konzerten zum Backstage-Vergnügen diente. Auch an den Flipperautomaten sollen die Rockidole höchstpersönlich gedaddelt haben. Die größten Hingucker sind zwei (fahrbereite) Mercedes-Limousinen aus dem einstigen Besitz von Mick Jagger und Bill Wyman, der lange der Bassist der Stones war. Es gibt signierte Gitarren und natürlich Fotos, Eintrittskarten, Goldene Schallplatten, Plakate, ausgefallene Merch-Artikel sowie alte Schallplatten, Tonbänder und Kassetten der Band.
Bestaunt haben das inzwischen viele tausend Fans aus ganz Europa, auch aus Kuba, Brasilien und Neuseeland.
Reiner Hackbarth ist aus Köln angereist Der 63-jährige Berufskraftfahrer ist Stones-Fan, seit er Musik als Fanliebe denken kann. Sein erstes Konzert sah er mit 15. „Ich habe in meiner eigenen Wohnung selbst ein halbes Stones-Museum. Ich besitze allein 54 T-Shirts, keins doppelt.“ Jedes Jahr kommt er nach Lüchow, in einem war er fünfmal hier. Dabei hatte er bis vor zehn Jahren den Namen des Ortes noch nie gehört. Nun baut er das Städtchen regelmäßig in seine Urlaubsplanung ein. „Ich bin Junggeselle, habe keine Kinder. Was soll ich zu Hause in Köln, ich freu mich immer, hier zu sein. Die tolle Umgebung, kein Lärm, kein Gestank von Bayer aus Leverkusen. Da fahr ich lieber mit meiner Freundin zu Uli und bleibe zwei, drei Tage. Sein Museum finde ich absolute Klasse.“
Dass er die Exponate schon zigmal gesehen habe, egal? „Ich kann mir das immer wieder ansehen. Als Fan fasziniert mich das alles.“ Welche Bedeutung die Band für ihn habe? Er überlegt. „Nicht alles hineinschlucken, was man dir erzählt. Sich auflehnen gegen dies und das. Die hatten auch so bisschen Erziehungscharakter. Den Lebensweg gehen mit seinen Höhen und Tiefen. Was mich noch fasziniert: Die Jungs können einfach alles spielen, Rock ’n’ Roll, Country, Jazz und es hört sich gut an.“
Darüber lässt sich auch immer gut schwatzen am Tresen im Museum, was vor allem die Mitglieder des Museumfreundeskreises gern tun. Rund 200 Stones-Fans, Reiner Hackbarth inklusive, unterstützen das einzigartige Museum mit einem Jahresbeitrag, der dem Unterhalt des Hauses hilft. Einmalige Spenden kommen auch von einzelnen Fans, die beispielsweise Fotos mit Originalautogrammen schicken. Deren Verkaufserlös darf ebenfalls zur Finanzierung des Museums verwendet werden.
Neuerdings gibt es sogar Briefmarken, mit denen Uli Schröder sein eigenes 60-jähriges Fansein würdigt. Er hat sie selbst gestaltet und von der Deutschen Post genehmigen lassen. Vom Verkaufspreis von 2,50 Euro geht 1 Euro ans Museum. Schon länger gibt es auch Konfirmationen und Geburtstagsfeiern im Museum. Und selbst zwei Trauerfeiern für krebskranke Fans hat Schröder schon veranstaltet. „Die Fans wollen sich mit ihrer Lieblingsmusik verabschieden.“ Die Nachfrage scheint da, zuletzt gab es sogar Trauerfeierlichkeiten außerhalb des Museums, in Uelzen und Berlin.
Die Verbindung von Kreativität und Stones-Kult ist notwendig, schließlich soll sich das Museum rechnen. Das Finanzamt duldet kein Minusgeschäft aus Liebhaberei. Tatsächlich ist das „Stones Fan Museum“ das einzige von 13 Museen im Landkreis, das kostendeckend läuft. Nicht zuletzt dank der Unbeirrtheit des Gründers. „Ich zeige einfach das, wovon ich glaube, dass es die Fans interessiert“, sagt Uli Schröder. Das können auch stoneslippenhafte Pissoirs sein.
Corona als Bremse
Uli Schröder ist damit gut gefahren. Nur gegen die Auswirkungen der Coronakrise war auch er nicht gefeit. Einnahmen durch die Museumskonzerte für knapp 400 Zuschauer fielen in den vergangenen zwei Jahren weg. Auch ein Chuck-Berry-Abend von Ron Wood sei ausgefallen, erzählt Schröder, der 2021 auch noch einen Schlaganfall hatte, den er aber gut überstand.
Seit Frühjahr tut sich wieder mehr auf der kleinen Bühne. Woodstock-Oldie Albert Lee trat mit seiner Band auf. Am 8. Juli spielt die Berliner Stones-Coverband Starfucker, als Opening zum großen Ereignis am nächsten Tag. Dann wird vor dem Museum ein Denkmal enthüllt, eine Statue von Stones-Mitgründer Brian Jones. Die von der Künstlerin Sissi Piana aus Marseille gestaltete Bronzefigur hat 20.000 Euro gekostet. Zusammengekommen sind sie durch Spenden. Die Zeiten, in denen Stones-Fans nur poor boys ohne einen Penny in der Tasche waren, sind zum Glück lange her. Auch der regionale Museumsverband hat einen Zuschuss gegeben.
Anlass für das Brian-Jones-Denkmal ist das 60. Bandjubiläum der Rolling Stones. Das erste Konzert der Band, die gerade wieder durch Europa tourt, fand am 12. Juli 1962 im Londoner Marquee-Club statt. Am Jubiläumstag wird im Lüchower Museum eine interne Feier stattfinden. Ohne Einladung, sagt Uli Schröder. „Wir schauen, wer vorbeikommt.“ Es dürften etliche Fans werden, da an diesem Tag kein Konzert auf der aktuellen Stones-Tour ansteht. Auf der ist ansonsten auch Uli Schröder unterwegs. Sechs Konzerte stehen auf seinem Programm, inklusive Londoner Hyde Park. Das, meint er, müsste dann sein 208. Stones-Konzert sein.
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