piwik no script img

Neuausgabe Kathy AckerDie wilde Heldin

Endlich wird ein Fehlurteil revidiert: „Bis aufs Blut“, Kathy Ackers Underground-Klassiker, erscheint in einer Neuausgabe.

Inzest, Pädophilie und allerlei ausgefallener Sex sind die Ingredienzen in Kathy Ackers Roman Foto: Kathy Brew

Janey Smith, die Anti-Heldin aus Kathy Ackers „Blood and Guts in Highschool“, ist Punk. Gerade mal zehn Jahre alt, hat sie ein Verhältnis mit ihrem Vater, aber der will sie loswerden und schickt sie auf eine heruntergekommen Schule im New Yorker East Village.

Janey jobbt in einer Hippie-Bäckerei, hasst die Vollwert-Heuchelei und die Kunden noch viel mehr, nimmt allerhand Drogen, treibt sich mit einer gewalttätigen Straßengang herum, randaliert, raubt und plündert, bis fast alle Bandenmitglieder bei einer Verfolgungsjagd draufgehen. Sie lebt promiskuitiv, hat zwei Abtreibungen. Ihre grausam-klinischen Tagebuch-Aufzeichnungen zum ersten Eingriff, die ihre tiefe Traumatisierung offenbaren, gehören zu den eindrücklichsten Passagen des Romans.

Schließlich wird sie von Einbrechern verschleppt und landet im Gefängnis eines persischen Sklavenhändlers, der ihr zweimal am Tag aufwartet, um ihr beizubringen, wie man eine Hure wird. Aber hier findet sie auch Muße zum Schreiben.

Liebesgedichte für den Peiniger

Dass sie etwas später, krebskrank, in Tanger mit dem großen Zuchthaus-Literaten Jean Genet zusammentrifft und ihre letzten Tage verbringt, ist womöglich nur eine Fieber- und Fluchtfantasie. In Ermangelung eines Besseren verliebt sie sich in ihren persischen Peiniger, schreibt ihm Liebesgedichte, lernt seine Sprache, und mehr und mehr beginnt sich nun ihr Ich aufzulösen.

Kathy Ackers bereits 1978 erschienenes Romanexperiment wächst sich aus zu einer surrealen, den Leser fordernden Fuge, einer dissoziativen Text-Bild-Collage, die Pimmel- und Mösenbilder, Grundrisse von Maya-Gebäuden, „Traumkarten“, Höhlenmalereien und immer wieder Zitate beziehungsweise Plagiate hart aneinanderfügt.

„Bis aufs Blut. Zerfleischt in der Highschool“ ist ein frühes Beispiel transgressiven Schreibens im Zeichen weiblicher Selbstermächtigung. Die Ich-Erzählerin identifiziert sich mit der „wilden“ Heldin Hester Prynne aus Nathaniel Hawthornes „Der scharlachrote Buchstabe“, die wegen ihres Ehebruchs aus der puritanischen Gesellschaft ausgestoßen wird.

Prynne ist für Janey der Archetyp einer emanzipierten, Lust und Laster auch gegen kollektive Widerstände voll auslebenden Rebellin. Und im Gegensatz zu Hawthorne darf Acker das jetzt auch voll ausschreiben.

Inzest, Pädophilie und ausgefallener Sex

Transgressiv ist dieses Buch aber nicht nur inhaltlich mit seinen vielen, Inzest, Pädophilie und allerlei ausgefallenen Sex beschreibenden „Stellen“, sondern nicht zuletzt formal. Acker spielt mit Avantgarde-Techniken der konkreten Poesie, des Cut-up, sie nutzt Text-Bild-Montagen der Surrealisten, collagiert fremde Texte und überschreibt sie. Später entwickelt sie daraus eine eigene Plagiatstheorie.

Das Buch

Kathy Acker: „Bis aufs Blut. Zerfleischt in der Highschool“. Aus dem Englischen von Johanna Davids. März Verlag, Berlin 2022, 212 Seiten, 34 Euro

Das Buch avanciert zu einem Underground-Klassiker in den USA, der 1985 in deutscher Übersetzung erscheint und den die Bundesprüftstelle für jugendgefährdende Schriften sofort auf den Index setzt. Die Gutachter torpedieren mit einiger argumentativer Perfidie die offensichtliche literarische Konstitution des Buches, um es zur Bückware zu degradieren. Der März-Verlag revidiert dieses Fehlurteil jetzt erfreulicherweise mit einer auch buchgestalterisch sehr schönen Neuübersetzung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare