piwik no script img

Abschied vom FC St. PauliEwald Lienen entlässt sich selbst

Ewald Lienen hat in idealer Weise die Markenstrategie des FC St. Pauli verkörpert. Deshalb musste er auch übers Traineramt hinaus bleiben – bis jetzt.

Wirkte bei St. Pauli wie einer, der endliche angekommen ist: Ewald Lienen Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

Hamburg taz | Ewald Lienen verlässt den FC St. Pauli. „Was, ist der noch da?“ werden sich gemäßigt Fußballinteressierte vielleicht fragen. Schließlich ist es schon fünf Jahre her, dass Lienen den Trainerposten auf dem Kiez nach zweieinhalb mittelerfolgreichen Jahren räumen musste, und derzeit ist schon der vierte Nachfolger im Amt. Aber rausschmeißen konnte ihn St. Pauli damals nicht einfach, wie das sonst in der Branche üblich ist. Denn als der Klub 2014 zu Lienens zwölfter Station als Cheftrainer im Profifußball wurde, war das keine schnöde Anstellung auf Zeit, sondern eine Liebesheirat.

Lienen, der der breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde, als Norbert Siegmann ihm 1981 im Bremer Weserstadion mit seinen Stollen den kompletten Oberschenkel aufschlitzte, war einst der einzige offen linke Spieler in der Fußball-Bundesliga. Er engagierte sich gegen Atomkraft und hatte einmal, in den Achtzigern, sogar für die DKP-nahe „Friedensliste“ – erfolglos – zum nordrhein-westfälischen Landtag kandidiert. Er hat die Spielergewerkschaft VDV mitgegründet.

Es schien eine Frage der Zeit zu sein, wann er mit dem FC St. Pauli zusammenfinden würde, dem einzigen deutschen Profiklub, der ein klares linkes Selbstverständnis lebt. Und tatsächlich wirkte Lienen in Hamburg oft wie einer, der endlich angekommen ist, nach rastlosen Jahren in der Zweiten Bundesliga, in Spanien, Griechenland und Rumänien.

Bei St. Pauli konnte Lienen eins mit sich selbst sein. Mit Stolz trug er die Jacke, auf deren Rückseite stand: „Kein Fußball den Faschisten“. Er war sich aber auch für keinen Quatsch zu schade: Irgendwann vermarktete der Verein tatsächlich Honig, den auf dem Stadiondach beheimatete Bienenvölker gesammelt hatten, unter dem Markennamen „Ewald-Bienen-Honig“. Die Fans haben Lienen verehrt, wie vor ihm lange keinen Trainer. Lienen, der Volkstribun, wusste um diese Macht, peitsche das Publikum manchmal ganz bewusst auf, wenn er das Gefühl hatte, ein bebendes Millerntor könnte seiner Mannschaft helfen.

Ewald musste bleiben – egal wie

Deswegen erfanden sie beim FC St. Pauli den Posten des Technischen Direktors, als sein Co-Trainer ihn als Chef beerbte. Und auch als sich für solch einen Direktor keine plausible Position im Vereins-Organigramm mehr fand, war klar: Ewald muss bleiben. Lienen wurde „Werte- und Markenbotschafter“ des Vereins. Was bei anderen Klubs obszön klänge, ist bei St. Pauli nur konsequent: Der Verein hat die Verbindung von gesellschaftspolitischer Haltung und Vermarktung zum Programm erhoben, vermarktet Anti-Fa-Creme und Regenbogen-Deo. Lienen war der ideale Repräsentant dieser Strategie in seiner Position irgendwo zwischen Frühstücksdirektor und Außenminister.

Wobei es ihm für letzteres vielleicht an diplomatischem Geschick mangelt. Er tingelte über Werbeveranstaltungen, Podien und durchs Fernsehen – und polterte dort oft mit markigen Worten über den Kapitalismus im Allgemeinen und den Profifußball im Besonderen. Gegen Fifa und DFB teilte er so aus, dass die Vereinsoberen das eine oder andere Mal ins Schwitzen gekommen sein dürften. Unterm Strich überwog aber der Nutzen für den Klub, weshalb Präsident Oke Göttlich zum Abschied ganz ehrlich sagen kann: „Ich bin Ewald-Fan.“

Diesen Abschied hat Lienen – natürlich – selbst eingeleitet: Er hat seinen Vertrag nicht verlängert, geht zurück ins Rheinland, wo er einst mit Borussia Mönchengladbach seine größten Erfolge als Spieler feierte. Irritierend, dass er dabei auch von einer Verlagerung seiner „beruflichen Aktivitäten“ spricht: Der Mann ist 68! Und gibt es überhaupt ein Berufsleben nach dem FC St. Pauli?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Ich mag ihn als Trainer und Mensch. Er ist authentisch und ein positiver Charakter. Mainstream liegt ihm genauso fern wie Dogmatismus.

  • Es gibt sie doch, die Guten