Die These: Fußball kann vom Football lernen
Interessant ist der Titelkampf der Bundesliga schon lange nicht mehr. Ein Blick zum US-Namensvetter würde für mehr Spannung sorgen.
E igentlich bin ich ein großer Fußballfan. Im Stadion zu stehen, sein Team anzufeuern und es im besten Fall auch noch gewinnen zu sehen – das ist einfach geil. Mein letzter Stadionbesuch beim Relegationshinspiel in Berlin, als die beiden Fanreihen darum gekämpft haben, wer seine Mannschaft lauter anfeuern kann, ist mir noch sehr präsent.
Er erinnert mich aber auch an mein Problem mit dem Fußball: Dass der Abstiegskampf und die zweite Liga spannender sind als das Titelrennen der höchsten Spielklasse, kann einfach nicht sein. Ich kann mich noch an den Satz von Uli Hoeneß erinnern: „Wir wollen keine spanischen Verhältnisse.“ Gemeint war, dass nicht immer dieselben Teams die Titel abräumen sollen.
Insofern, herzlichen Glückwunsch! Der Titelkampf der Bundesliga ist mittlerweile in etwa so interessant wie die Minigolf-Meisterschaft in Hintertupfingen. Der FC Bayern ist zum zehnten Mal in Folge Meister geworden. Und die Champions League hat dieses Jahr wieder mal Real Madrid gewonnen.
Deshalb freue ich mich sehr, dass es jetzt endlich wieder American Football im Fernsehen zu sehen gibt. Vergangene Woche startete die European League of Football in ihre zweite Saison und begann direkt mit einem absoluten Kracher. Der Vorjahresmeister Frankfurt Galaxy verlor gegen Düsseldorf Rhein Fire. Ein Team, das erst seit diesem Jahr in der ELF spielt. Im American Football ist alles offen, denn die Leistungsunterschiede zwischen den Teams sind viel geringer als im Fußball.
Mehr Fairness durch Gehaltsobergrenze
Jetzt kann man sagen: American Football ist hierzulande einfach noch nicht so etabliert, sonst gäbe es da auch größere Unterschiede. Das wäre aber zu kurz gedacht. Es gibt auch mehrere strukturelle Gründe, warum die European Football League spannender als die FC-bayernisierte Fußballbundesliga ist.
Ein wichtiger Punkt ist die Gehaltsobergrenze, die es beim American Football gibt – die Salary Cap. Jedes Team in der Liga hat gleich viel Geld für Spielergehälter zur Verfügung. In der NFL, der US-amerikanischen Football Liga, liegt die Obergrenze in der kommenden Saison bei gut 208 Millionen Dollar pro Team.
Das sorgt dafür, dass das Vermögen eines Teambesitzers keinen entscheidenden Einfluss auf die Stärke des Teams hat. Teams mit größeren finanziellen Möglichkeiten können sich kein reines Starensemble zusammenkaufen, in dem sie alle Gegner mit einem Riesenbudget ausstechen. Mannschaften à la Paris Saint-Germain oder Real Madrid sind im Football quasi unmöglich.
Nur ein Team in der Geschichte der US-Liga NFL konnte eine längere Phase der Dominanz entwickeln. Die New England Patriots. Zwischen 2001 und 2019 gewann das Team um Star-Quarterback Tom Brady, der mittlerweile in Tampa spielt, sechs Titel. Eine Salary Cap gibt es auch in der europäischen Liga ELF. Wenn die Uefa eine Gehaltsobergrenze nach dem Vorbild des Footballs einführen würde, wäre das tatsächlich Financial Fairplay.
Unterstützung für schwächere Teams
Die Salary Cap allein reicht aber nicht aus, um Chancengleichheit herzustellen. Denn gute Spieler wollen Titel gewinnen und wechseln eher zu besseren Teams als zu schlechteren. Deswegen gibt es noch ein zweites Instrument zum Ausgleich der Teamstärke: den Draft. Einmal im Jahr werden die vielversprechendsten Nachwuchsspieler nach einer strengen Reihenfolge auf die NFL-Teams verteilt. Dabei darf das schlechteste Team der Vorsaison zuerst wählen, das zweitschlechteste als nächstes, die beste Mannschaft zuletzt.
So können Teams, die über Jahre nicht erfolgreich waren, in relativ kurzer Zeit ein Team aufbauen, das um den Titel mitspielt. Ein Beispiel sind die bereits erwähnten Patriots. Sie hatten vor ihrer Serie von sechs Super Bowls keinen einzigen Titel gewonnen.
Der Spieler hat im Draftsystem kaum eine Wahl, zu welchem Team er kommt. Den Draft gibt es in allen großen amerikanischen Sportligen. Dass es ihn in den großen europäischen Sportarten nicht gibt, liegt daran, dass in Amerika die Nachwuchsförderung nicht – wie im europäischen Fußball – in Vereinen stattfindet und die Spieler nicht seit Jugendjahren bei einem Team unter Vertrag stehen, sondern an Schulen und Universitäten ausgebildet werden.
Schwierig umzusetzen
Deswegen ist ein Modell nach dem Vorbild des Drafts schwierig zu übertragen. Um einen Draft nach amerikanischem Vorbild zu veranstalten, müsste unser ganzes Nachwuchssystem auf Schul- und Universitätssport zugeschnitten werden. Dabei hätte jede Schule und Universität verschiedene Sportmannschaften, die in einem Ligabetrieb gegeneinander antreten. Nach Ende der Schul- oder Universitätsausbildung würden die Sportler dann ins Profilager wechseln, ohne vorher an einen Verein gebunden zu sein. Wie in den USA eben.
Die Debatte darüber ploppt auch immer wieder auf. Nämlich alle vier Jahre nach den oft nicht zufriedenstellenden Ergebnissen der Olympischen Spiele. Würde ein solches System implementiert werden, wäre auch ein Draft im Fußball denkbar. Aktuell ist das leider nicht wirklich vorstellbar, da gerade im Fußball viel Geld in die Jugendförderung fließt und die großen Vereine das Privileg ihrer eigenen Nachwuchsschmieden wohl kaum aufgeben werden. Sie würden damit auch ein Stück weit auf Macht und Einfluss verzichten.
Tradition bremst Fortschritt
Um wirklich radikal etwas zu verändern, ist der Fußball hierzulande auch viel zu versessen auf seine Tradition. Man erinnere sich nur mal an das Drama um die Einführung des Videobeweises. Die NFL hat den Videobeweis seit 20 Jahren und dort funktioniert der einwandfrei.
Dass Football nicht so versessen auf seine Tradition ist, merkt man auch bei den Regeln. Jedes Jahr werden veraltete Regeln von der NFL geändert. Jüngstes Beispiel ist die Overtime-Regel. Bisher war ein Spiel, das in die Nachspielzeit ging, beendet, sobald ein Touchdown erzielt wurde. Auch wenn das gegnerische Team den Ball in der Nachspielzeit noch gar nicht in der Hand hatte. Ab der kommenden Saison werden in den Playoffs beide Teams den Ball zumindest einmal bekommen. Man probiert einfach mal aus, ob das besser funktioniert.
Eine einfache und schnelle Möglichkeit, für mehr Spannung in den nationalen Fußballligen zu sorgen, wäre die Einführung von Playoffs. Im Prinzip wie die K.-o.-Phase der Champions League. Wenn dann noch eine Gehaltsobergrenze hinzukommt, bin ich mir sicher, dass der Fußball und vor allem die Bundesliga viele Fans zurückgewinnen können, die momentan an der Verödung der Liga leiden.
Und wer Lust auf American Football bekommen hat, sollte sich mal mit der European League of Football beschäftigen. Die gerade gestartete reguläre Saison läuft noch bis zum 4. September. Danach – und darauf freue ich mich schon besonders – starten die Playoffs.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vermeintliches Pogrom nach Fußballspiel
Mediale Zerrbilder in Amsterdam
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Toxische Bro-Kultur
Stoppt die Muskulinisten!
Berichte über vorbereitetes Ampel-Aus
SPD wirft FDP „politischen Betrug“ vor
Scholz telefoniert mit Putin
Scholz gibt den „Friedenskanzler“