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Die AutobahnDas Band des Grauens

Ein Versuch, die Schönheit der Autobahn als etwas Vergangenes zu entdecken. Am Beispiel von Asterix und Obelix.

A9, Schnaittach: Wäldchen zwischen Autobahntrassen Foto: Michael Tewes

Im zweiten großen Asterix-Abenteuer, „Die Goldene Sichel“, gibt es ein Panel, in dem die beiden Gallier am Pont du Gard vorbeigehen, dem riesengroßen südfranzösischen Aquädukt, der gerade gebaut wird. Und zornig erklärt der kleine Krieger, dass die Römer mit ihren Bauwerken die ganze Landschaft verschandeln.

Weil er so gut ist, haben René Goscinny und Albert Uderzo damals für den Witz Chronologie und Topografie außer Kraft gesetzt: Die Landschaftszerstörung durch andere Großbauwerke, über deren Brücken nun die Autos fuhren, wurde in den frühen 1960ern mehr und mehr verurteilt. Und die Verschandelung der Römerzeit ist uns heute ein Weltkulturerbe, bewundernswert und ja, doch, schön. Mit diesem Blick, der ihre Schönheit wahrnehmen kann, müssen wir lernen, neu auf die Autobahn zu schauen.

Zu behaupten, Autobahnen wären schön, hat etwas Provokatives, und das wird immer gern genommen. Oft geht es dabei leider wirklich nur um diesen Effekt, und statt einen neuen Blick auf sie zu erproben, fassen jene, die dieser Schönheit das Wort reden, sie bloß in einem konventionellen Sinn auf. Heißt: Sie erliegen der Faszination des Gesamtkunstwerks Autobahn, das tatsächlich die Nazis erfunden haben: „Das graue Band“ war ihre Lieblingsbezeichnung für die Schose.

Denn, während es in der Weimarer Republik Schnellstraßen-Einzelprojekte gab, geht es dort um ein System, um ein übers gesamte Land gelegtes Netz, das nach den ästhetischen Prinzipien einer organischen Moderne eine Verschmelzung von neuester Technik und der Natur der heimatlichen Gauen vorspiegeln sollte. Es dient der Durchideologisierung des Landes: „Uniforme und individuelle Komponenten wurden sorgfältig kombiniert“, schreibt der Historiker Frank Becker. Die regionale Besonderheit trägt ihren Teil zur Einheit bei, mit dem das „graue Band“ das Reich zusammenbringt.

Diese Faszination, diese Freude an gigantischen in die Landschaft eingeschmiegten Be­ton­pfei­ler­kons­truk­tio­nen, ist im Grunde präautomobil. Sie leitet sich noch aus einer in der Renaissance entwickelten Ästhetik her, die Straßen als erhabenes artifizielles Ereignis in der Landschaft bewundert: Wege zur Schönheit. Diese Vorstellung ändert sich nach dem Zweiten Weltkrieg: Architekturhistoriker Éric Alonzo sieht da eine „pensée fonctionnaliste“ am Werk, ein funktionalistisches Denken, das „beginnt, das Schöne und das Nützliche, das Angenehme und das Funktionelle voneinander zu trennen und die Straße von der Route zu unterscheiden“. Dafür gibt es sicher Anhaltspunkte. Wichtiger scheint aber, dass die Perspektive wechselt und fortan aus dem Inneren der Maschine, als die Fahrbahn, Auto und dessen Insassen zusammenspielen, auf eine Welt geschaut wird, die aufs Auge zustürmt – oder, für Kinder, die aus dem Heckfenster schauen, sich ihm entzieht – und es überfordert: Sie fließt in Geschwindigkeit zusammen. Ihre Konturen lösen sich auf.

Aus dem Inneren der Maschine wird auf eine Welt geschaut, die aufs Auge zustürmt

Als Dromoskopie hat der französische Philosoph Paul Virilio diese Art des Bewegtbilds bezeichnet, ein wahnsinnig monotones Kino mit den Fah­re­r*in­nen als Re­gis­seu­r*in­nen ihres vermeintlich eigenen, aber vom Bau allen gleichermaßen vorgegebenen, tödlich langweiligen Films. Jetzt bloß nicht einschlafen! Und erstaunlicherweise werden von diesem Schwinden auch und sogar am nachhaltigsten die Orte erfasst, die in der Nähe liegen, aber nicht angeschlossen sind. In ihren Highway-Poems hat die amerikanische Lyrikerin Lisel Mueller Anfang der 1970er dieses entstehenden Schattenreich erfasst: „The town is dying / its blood being pumped into the new expressway“, durch die Umdeutung einer Lieblingsmetapher der Logistik macht sie die Autobahn zu einem abstrakten, unpersönlichen Vampir. Und jene, die in dieser sterbenden Stadt zurückbleiben, traurig und wundersam, sind „trans­figured by extinction“, verklärt durch die Auslöschung. Sie können in jedem Stephen-King-Roman mitspielen. Und sie tun es auch.

Paul Virilio hatte keinen Weg gesehen, dem dromoskopischen Blick und seiner eingebauten Temposteigerung bis zur Katastrophe, bis zum Crash je wieder zu entrinnen, aber vermutlich hat er sich geirrt: Die Zeichen mehren sich, dass ein neuer Blick die Autobahn bereits als Vergangenes zu sehen lernt, als Ruine – noch während eine fehlgeleitete Verkehrspolitik weiter an ihren Teilabschnitten bauen lässt. Es ist nicht gesagt, dass wir das wirklich erleben: Vielleicht wird die FDP am Ende gewinnen und mit schrankenlosem Tempo die Zukunft verbauen. Aber nicht mehr beseitigen kann sie die Vorstellung, wie die Autobahn ihren Reiz als Bühne einer Apokalypse entfaltet.

Denn diese Vorstellung ist ja in die Wirklichkeit getreten, zuerst selbstverständlich als Fiktion. Eine überwältigende Bildformel für diese neue postautomobile Schönheit der Autobahn hatte schon die vor zehn Jahren gestartete TV-Serie „The Walking Dead“ gefunden: Vermutlich hält genau das Zukunftsversprechen dieses Bilds die Serie, die rasch auserzählt war – es geht darum, dass fast alle Menschen Zombies sind und die anderen durch die Gegend ziehen und sie abknallen, um nicht von ihnen gefressen zu werden – über mittlerweile elf Staffeln am Laufen.

Zu sehen ist ein einsamer Mensch, der auf dem Rücken eines Pferds, von den Be­trach­te­r*in­nen weg, einen zehnspurigen Motorway entlang auf die banale Skyline von Atlanta zureitet. Das Pferd, es ist ein Fuchs, strahlt Gelassenheit aus, man sieht auch im Still, dass es sich im Schritt bewegt, und zwar auf der vierten Spur, ganz allein auf der leeren Fahrbahn. In der Gegenrichtung jedoch ist der Stau auf allen Streifen erstarrt: Eine Karambolage ist angedeutet, aber die ist viel zu klein, um diesen vollkommenen Stillstand zu erklären. Die Autos wirken eher, als wären sie da geparkt, lang, lang ist’s her, geparkt, vergessen und inzwischen eingestaubt, in einer Zeit weit vor der Epoche dieses doch erkennbar archaischen Lonesome Riders, der nun an ihnen vorbeizieht, als wären sie nicht bemerkenswerter als irgendein vertrockneter Kaktus in der Wüste. Herrlich.

Schon aber sind es nicht mehr bloß Fiktionen, die sich der Gewalt der gebauten Inszenierung widersetzen. Die Gegenwart der Kraftfahrzeugschnellstraße mit getrennten Fahrbahnen in beide Richtungen entdeckt Dokumentarfotografie seit ein paar Jahren als eine Vorgeschichte jener Zukunft, die visionär überhöht und mit Angstlust aufgeladen in den Horrorstorys aufscheint: Diesen Blickwandel erzwungen haben Ereignisse wie der Einsturz von Tribsees, der Teile der Ostseeautobahn im Herbst 2017 in eine Kraterlandschaft verwandelt hatte, oder der Zusammenbruch des Flyovers von Genua im Sommer drauf: 40 Menschen starben.

Etwa 400 Tote pro Jahr gibt es auf deutschen Autobahnen. Die unmittelbaren Folgen dieser extremen Grausamkeit, die Autobahn bedeutet, hat Michael Tewes wie eine Gedenkkerze für die Opfer in einer einzigen Aufnahme seines gerade erschienenen Bildbands „Auto Land Scape“ festgehalten, der zugleich als Katalog seiner gleichnamigen Ausstellung im Deutschen Museum München fungiert: ein Wrack, dem jede Tiefe im Crash verloren gegangen ist, eine gesplitterte Windschutzscheibe, Motorschläuche, ausgelöste Airbags, alles in einem Blechknäuel zusammengepresst.

Die übrigen Bilder seiner im Laufe von sechs Jahren entstandenen Serie sind nicht weniger, aber viel mittelbarer gewalthaltig: Radikaler als ein Jahr zuvor Ostkreuz-Fotograf Jörg Brüggemann in seinem unschlagbar eingängig „Autobahn“ betitelten Band versagt sich Tewes aller Autobahnnostalgie (obwohl er sie hippiesk per VW-Bully erkundet hat) und vermeidet alle mitreißende Dynamik: In Symmetrie erstarrt begegnen einander zwei identische Lastwagen. Zufälle, Anekdotisches, Menschen gar, die bei Brüggemann mal am Rand der Route baden, mal sich im Stau aus ihrem Blechgehäuse auf die Fahrbahn wagen oder mal in einer Gruppe im Gänsemarsch an der Leitplanke entlanggehen, zeigt Tewes gar nicht: Zwar, zwei kommen vor, aber nur so gerade eben, auf der Schwelle zur Sichtbarkeit, als winzige Punkte, gesichtslos, verschmolzen mit der Wand der Baugrube, in der sie zusammen arbeiten.

Auf den besten Bildern haben noch nicht einmal Autos einen Auftritt. Im eiskalten Licht der frühen Morgenstunden liegt dann nur das Band des Grauens da, dessen Hauptprodukt die „Unverbundenheit zum Ort“ zu sein scheint, die Michael Tewes als Gegenstand seiner Arbeit bestimmt hat. Wie eine stille Rächerin aber greift die Landschaft die Straße an, die sich ihr entziehen will, zerstört sie, von den Rändern her, verursacht Risse im Beton, besiedelt sie, frisst sie auf. Und das ist schön.

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